Heilige Nächte

Feiertag
Heilige Nächte
26.12.2015 - 07:05
26.07.2015
Antje Borchers

Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsre Nacht nicht traurig sein. Der immer schon uns nahe war, stellt sich als Mensch den Menschen dar.

 

Weil Gott in der tiefsten Nacht erschienen ist, kann unsere Nacht nicht traurig sein. So textet der Liederdichter Dieter Trautwein. – Darüber will ich heute reden: über Nächte. Über normale Nächte, über schlaflose, über außergewöhnliche Nächte und über heilige Nächte. Und über Gott, der alle Nächte begleitet. Das glaube ich.

 

Fange ich mit den normalen Nächten an. Normalerweise muss man über Nächte gar nicht reden. Weil da nichts passiert. Wenn alles gut läuft, dann legt man sich abends hin und schläft in der Nacht. Wahrscheinlich hatten etliche so eine normale Nacht, haben sich erholt vom ersten Weihnachtsfeiertag gestern, haben neue Kräfte getankt und sind heute früh einfach wieder aufgewacht. Ja, und da gibt’s dann auch nicht viel zu reden. Gut geschlafen? Ja. War sonst was? Nö. Geträumt? Vielleicht, ich kann mich aber nicht erinnern. – Ob so eine Nacht voller Wolken war oder klar, besonders dunkel oder mondhell, das interessiert nicht. War sie stürmisch oder still? Keine Ahnung! Das weiß man nicht, wenn man eine normale Nacht erlebt hat. Man hat geschlafen, nicht der Rede wert. – Ein Glückspilz, wer vor allem solche Nächte kennt – und nichts zu reden hat! Ein echter Grund, um Gott zu danken!

 

Neben den normalen Nächten gibt es auch ganz andere Nächte: die schlaflosen. Reden über Nächte tun wir erst, wenn sie nicht normal sind: ohne Schlaf, ohne Erholung, dafür mit viel Grübelei oder sogar mit Herzeleid. Nach solchen Nächten muss man manchmal nicht mal aufwachen, weil man gar nicht eingeschlafen ist. Weil man sich Sorgen gemacht hat. Weil man Angst hat vor dem nächsten Morgen, in der Familie, in der Einsamkeit. Weil man sich schuldig fühlt. Weil die Seele trauert. Weil die Schmerzen unerträglich sind. Weil man zweifelt an Gott und der Welt. In schlaflosen Nächten, da ist alles, was sowieso schon schlimm ist, noch viel schlimmer: die Sorgen, die Angst, die Schuld, Trauer, Schmerz und Zweifel. Schlaflose Nächte kommen einem endlos lang vor. Endlos dunkel. Man sehnt sich nach dem Tag, aber die Zeit vergeht einfach nicht. – Ein Unglücksrabe, wer zurzeit solche Nächte erlebt! Wie gut, Gott bitten zu können, dass er einem durch diese Nächte durchhilft und die Seele ruhig macht.

 

Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern. Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der helle Stern bescheinet auch deine Angst und Pein.

 

Dem alle Engel dienen, wird nun ein Kind und Knecht. Gott selber ist erschienen zur Sühne für sein Recht. Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt. Er soll errettet werden, wenn er dem Kinde glaubt.

Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf! Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf von Anfang an verkündet, seit eure Schuld geschah. Nun hat sich euch verbündet, den Gott selbst ausersah.

 

Dunkle Nächte, schlaflose Nächte, die kennt fast jeder in seinem Leben, und darum konnten sie auch zum Synonym werden, zur Gleichbedeutung für „schwere Zeiten“. Denn jeder erfasst sofort die Bedeutung im übertragenen Sinne; zum Beispiel auch die Bedeutung von dem uralten biblischen Satz: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht.“ Der Prophet Jesaja hat ihn gesagt. Dem Volk Gottes zum Trost, das schwere, dunkle Zeiten erlebt. Und sich nach Licht sehnt, nach Licht am Ende der Nacht. Dieses Trostwort wird auch uns heutzutage gesagt, jedes Jahr zu Weihnachten. In dunklen Zeiten sehnen auch wir uns nach Licht, nach einem Silberstreifen am Horizont, dass es endlich wieder hell wird, fröhlich, dass wir wieder lachen können. „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“, sagt Jesaja.

 

Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende. Jesaja 9, 5-6a

 

So geht Jesajas Trostwort weiter, Jesajas Trost für dunkle Zeiten, für unruhige Seelen. Jahrhunderte nach dem Propheten Jesaja haben es die Menschen auf Jesus bezogen, der da in einer dunklen langen Nacht geboren wurde. Und mit dem der ewige Gott sich verbindet und uns Menschen als Mensch nahe kommt: als Ratgeber, Held und Retter, der frei machen will von dunklen Ängsten einer schlaflosen Nacht, der als himmlischer Vater kommt, als Friedensbringer.

Über unsere schlaflosen, dunklen Nächte reden wir durchaus. Mit wenigen, mit Vertrauten: den Freunden, dem Lebenspartner, einer Seelsorgerin. – Wir reden darüber, und das ist gut so. Denn es kann sein, dass sich mit dem Reden schon der Silberstreif am Horizont zeigt, dass im Dunkeln der Nacht schon Gottes Morgenstern leuchtet.

 

O komm, o komm, du Morgenstern, lass dich uns schauen, unsern Herrn. Vertreib das Dunkel unsrer Nacht durch deines klaren Lichtes Pracht. Freut euch, Freut euch, der Herr ist nah. Freut euch und singt Halleluja.

O komm, o Herr, bleib bis ans End, bis dass uns nichts mehr von dir trennt, bis dich, wie es dein Wort verheißt, der Freien Lied ohn Ende preist. Freut euch, Freut euch, der Herr ist nah. Freut euch und singt Halleluja.

 

Neben den normalen und den schlaflosen Nächten gibt es eine dritte Sorte Nächte: die außergewöhnlichen Nächte. Außergewöhnliche Nächte, das sind die Nächte, in denen wir wach sind, weil etwas passiert. Anders als in normalen Nächten, in denen nichts passiert und wir schlafen. Auch anders als in schlaflosen Nächten, in denen auch nichts passiert, in denen wir aber grübeln – und doch so gerne schlafen würden.

In außergewöhnlichen Nächten wollen wir nicht schlafen, da müssen wir wach sein, denn es passiert Außergewöhnliches. Das kann etwas Schweres sein: Zum Beispiel wenn ein geliebter Mensch stirbt. Und wir wachen in der Nacht, halten seine Hand bis zum letzten Atemzug und sagen: „Adieu, Geliebter, geh mit Gott!“

 

Oder das Außergewöhnliche kann etwas Schönes sein: Ein Mensch wird geboren und wir wachen in der Nacht, halten ihn im Arm nach dem ersten Atemzug und sagen: „Willkommen, geliebtes Menschenkind! Willkommen auf Gottes schöner Erde!“ Oder es fallen Mauern, und wir wollen alles genau mitbekommen. Rufen uns gegenseitig zu: Willkommen! Und feiern miteinander.

In außergewöhnlichen Nächten können wir nicht schlafen, denn wir wollen nicht schlafen. Und über außergewöhnliche Nächte wollen wir auf jeden Fall reden. Und das nicht nur mit vertrauten Menschen, mit Familie, Freunden, auch mit weniger vertrauten, mit Nachbarn, Mitschülern, Kolleginnen. Alle sollen es wissen, alle müssen es wissen. Viel zu groß sind Ereignisse in außergewöhnlichen Nächten, als dass man sie für sich behalten könnte, man würde ja platzen vor Glück. Oder vor Schmerz.

Und: Über die außergewöhnlichen Ereignisse von außergewöhnlichen Nächten reden viele Menschen sogar ganz öffentlich. Zum Beispiel mit einer Anzeige in der Zeitung: mit einer Geburtsanzeige oder einer Todesanzeige. Damit sagen wir unserem Umfeld: Das ist mir passiert. Welche Trauer! Welche Freude! Welches Glück! – Da geht es uns ähnlich wie den Engeln damals über Bethlehem, auch die mussten unbedingt von der Geburt eines außergewöhnlichen neuen Erdenbürgers reden:

 

Vom Himmel hoch, da komm ich her, ich bring euch gute neue Mär; der guten Mär bring ich so viel, davon ich singn und sagen will.

Euch ist ein Kindlein heut geborn, von einer Jungfrau auserkorn, ein Kindelein so zart und fein, das soll eur Freud und Wonne sein.

 

Über Freude oder Leid in außergewöhnlichen Nächten reden wir, reden wir immer wieder, mit vielen. Und das ist gut so. Allein kann man solche außergewöhnlichen Ereignisse nämlich gar nicht bewältigen. Solche Ereignisse um Leben und Tod, die über uns kommen und uns fast umhauen. Ein Kind des Lebens, wer zum Zeugen des Lebens wird! Ein wunderbarer Grund, um Gott zu danken.

 

Euch ist ein Kindlein heut geborn, von einer Jungfrau auserkorn, ein Kindelein so zart und fein, das soll eur Freud und Wonne sein.

Es ist der Herr Christ, unser Gott, der will euch führn aus aller Not, er will eur Heiland selber sein, von allen Sünden machen rein.

 

Normale Nächte, schlaflose Nächte, außergewöhnliche Nächte. Und nun die vierte Sorte: heilige Nächte. Heilige Nächte – welche sind das? Heilige Nächte, das sind Nächte, in denen Gott uns ganz nahe ist. Nächte, in denen ich es höre, spüre, glaube: Gott ist nahe. Mir nahe. Und ich bin Gott nahe.

Nächte wie zurzeit für viele Menschen. In diesen Weih-Nächten haben wir uns aufgemacht zu Gott, weil Gott sich schon längst zu uns aufgemacht hat. In diesen Weihnächten erinnern wir uns an die eine heilige Nacht vor gut 2000 Jahren: als der allmächtige Gott ein ohnmächtiges Baby wurde. Ein kleiner Mensch unter Menschen. – Der Evangelist Johannes beschreibt es in der Bibel so:

 

Das Wort wurde Mensch und lebte unter uns. Wir selbst haben seine göttliche Herrlichkeit gesehen, wie sie Gott nur seinem einzigen Sohn gibt. In ihm sind Gottes vergebende Liebe und Treue zu uns Menschen gekommen. Johannes 1, 14

 

Und Gott in der Gestalt von Jesus erlebte das Leben aus unserer menschlichen Perspektive, sprach unsere Sprache, erlebte unser Licht und unsere Dunkelheiten. Er lernte Freundschaft kennen und Liebe, Zweifel und Sorgen. Gott, „der immer schon uns nahe war, stellt sich als Mensch den Menschen dar“. Und ist doch der König der Welt.

 

Heute geht aus seiner Kammer Gottes Held, der die Welt reißt aus allem Jammer. Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute, Gottes Kind, das verbind‘t sich mit unserm Blute.

 

Sollt uns Gott nun können hassen, der uns gibt, was er liebt über alle Maßen? Gott gibt, unserm Leid zu wehren, seinen Sohn aus dem Thron seiner Macht und Ehren

Nun er liegt in seiner Krippen, ruft zu sich mich und dich, spricht mit süßen Lippen: „Lasset fahrn, o liebe Brüder, was euch quält, was euch fehlt; ich bring alles wieder.“

 

Ei, so kommt und lasst uns laufen, stellt euch ein, Groß und Klein, eilt in großen Haufen! Liebt den, der vor Liebe brennet; schaut den Stern, der uns gern Licht und Labsal gönnet.

 

Die ersten, die damals mitten in der Nacht zu Gott eilten, waren die Hirten. Sie hörten diese unglaubliche Nachricht: Fürchtet euch nicht! Fürchtet euch nicht in eurer dunklen Nacht, ihr seid nicht allein. Der große allmächtige Gott verlässt seinen Thron und kommt zu euch, der König der Welt interessiert sich für euch, für dich. Und er will, dass dein Leben gut wird, dass alles, was dich quält, verschwindet, in dieser heiligen Nacht und in allen Nächten.

Und damit die Nachricht damals nicht nur ein Wort blieb, haben die Hirten nicht nur gehört, sie haben auch gesehen: ein helles Licht in der dunklen Nacht. Licht vom Himmel. Licht von Gott. – Wir heute können uns das ganz real vorstellen. Und wir können es uns im übertragenen Sinn vorstellen: Unsere dunkle Nacht bleibt nicht endlos dunkel. Der Silberstreifen am Horizont ist da. Der Tag ist nicht mehr fern, es wird wieder hell.

 

Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern. Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der helle Stern bescheinet auch deine Angst und Pein.

 

Der kleine ohnmächtige König hat die Nacht besiegt, so erzählt es die Bibel auf den nächsten Seiten nach der Weihnachtsgeschichte. Als erwachsener Mann, als Jesus von Nazareth, erlebte er irgendwann die dunkelste Nacht seines Lebens und wurde gekreuzigt. Dann aber ist er – in einer unvergleichlichen Nacht, in der Osternacht – auferstanden von den Toten in das ewige, leuchtende Leben. Diese Geschichte von der machtlosen Liebe, die das Dunkel doch besiegt und das helle Leben gewinnt, ist schwer zu glauben. Denn was wir erleben, spricht so oft dagegen. Und doch hat diese Geschichte Kraft, ist eine Gottesgeschichte. Jochen Klepper, der Schriftsteller und Journalist, hat im Dezember 1937, in allerdunkelsten Zeiten im Hitlerreich ein Gedicht geschrieben. Weihnachtslied hat er es genannt:

 

Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld. Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld. Beglänzt von seinem Lichte hält euch kein Dunkel mehr, von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.

 

Ja, noch manche Nacht wird fallen auf unser menschliches Dasein. Es gibt sie weiterhin, die Nächte, die dunklen Nächte, die normalen Nächte, die schlaflosen, die außergewöhnlichen, sie gehören zu unserer Welt dazu, solange wir leben. Aber sie haben nicht die letzte Macht, sie alle sind aufgehoben in der heiligen Nacht der Geburt und in der heiligen Nacht der Auferstehung.

 

Heilig bedeutet: herausgehoben, ausgesondert für Gott. Also, zu Gott gehörig. Heilig ist alles, was zu Gott gehört. Das heißt: Meine ganz normale Nacht kann eine heilige Nacht sein, weil sie zu Gott gehört. Die Nacht und ich mit ihr. Auch eine schlaflose Nacht kann heilige Nacht sein, denn auch sie gehört Gott. Ich finde das sehr tröstlich. Und dass außergewöhnliche Nächte, in denen es um Leben und Tod geht, zu Gott gehören, der der Herr über Leben und Tod ist, das liegt für mich auf der Hand.

Heilige Nächte – ein Gotteskind, wer von sich sagen kann: Ich habe heilige Nächte erlebt. Ein Gotteskind vor allem, weil es zu Gott gehört und selber heilig ist.

 

Über heilige Nächte muss man übrigens reden, im Himmel und auf Erden. Wie die Hirten, die haben es überall erzählt. Und wie die Engel, die singen es durch die Jahrtausende bis zu uns. Und genau so erzählen Menschen bis heute die gute Nachricht weiter, reden von dieser heiligen Nacht und sagen es aller Welt: Gott ist uns nah – in jeder Nacht.

 

Engel schweben jubelnd nieder und die Hirten auf dem Feld hören staunend immer wieder: Hoffnung gibt es für die Welt. Gloria in excelsis deo.

Wie es klingt in ihren Ohren, was der Chor der Engel singt: Heute ist ein Kind geboren, das den Menschen Frieden bringt. Gloria in excelsis deo.

26.07.2015
Antje Borchers