Gedanken zur Woche 05. 06.

Gedanken zur Woche 05. 06.
05.06.2015 - 06:35
03.04.2015
Pfarrerin Annette Bassler

Ich weiß nicht mehr, welcher Kirchentag es war. Aber ich erinnere mich an die Messehalle, an die mehr als 2000 Menschen, die auf Pappkartons sitzend einen Vormittag lang Vorträgen und einer Podiumsdiskussion lauschen. Wir sitzen dicht an dicht, die Luft ist verbraucht und alle freuen sich aufs Mittagessen. Dann Schlussapplaus und alle stehen auf. Da greift der Sprecher nochmal zum Mikrophon und bittet um Aufmerksamkeit. „Eben ist hier auf dem Podium ein 100 Euroschein abgegeben worden“, sagt er. Es wird still, die Leute schauen sich verwundert um. Der Sprecher: „Schaut in euren Geldbeutel. Wer diesen Schein vermisst, möge ihn bitte hier vorne abholen.“ Ich fühle noch den Moment der Stille, auf den dann- nein, kein Run ans Podium- ein tosender Applaus losbricht und die Leute sich in die Arme fallen.

 

Wenn mich jemand fragt, was Kirchentag ist, dann fällt mir diese Geschichte ein und das Gefühl von Miteinander, das ich damals mit den Tausenden geteilt habe.

 

„Damit wir klug werden“ ist das Motto des evangelischen Kirchentags, der seit Mittwoch in Stuttgart stattfindet. Kein dummes Motto angesichts einer Welt, die „aus den Fugen geraten ist“ – so ein Gast des Kirchentags, der ehemalige Uno- Generalsekretär Kofi Annan. Klug zu werden wäre wünschenswert, jeder weiß ja: alles hat mit allem zu tun. Wenn du ein T-Shirt aus Südostasien kaufst, beeinflusst du die soziale Lage der Arbeiter dort. Wenn du Auto fährst, beeinflusst du das Klima. Das Klima wiederum ist Ursache für Hunger und Überschwemmung. Und gemeinsam mit Terror und Krieg auch Ursache für die Massenflucht übers Mittelmeer. Die Welt ist komplex geworden, aber unser Gehirn ist dieser Komplexität nicht gewachsen, meint der Umweltpsychologe Andreas Ernst. (Zeit Nr.23, 3.Juni2015)

 

„Damit wir klug werden“- mit diesem Motto lädt der Kirchentag ein, miteinander die großen Themen unserer Zeit zu bewegen: Klima, Hunger, Flüchtlinge. Kirchentag ist jedoch nicht Kirche. Kirchentag sind Christinnen und Christen, die sich als Laien zusammengetan haben, so ist der derzeitige Kirchentagspräsident Andreas Barner Chef eines Pharmakonzerns. Und dieser Kirchentag lädt Politiker, Künstler und Wissenschaftler ein. Und Bischöfe dann, wenn sie sich als ausgewiesene Experten den Fragen der Kirchentagsbesucher stellen.

Der Kirchentag ist also eine große demokratische Kraft, ein „Think Tank“ für kritisches Nachdenken und eine Art Schwarmintelligenz des Glaubens. Wo Spiritualität sich mit Weltverantwortung verbindet.

 

„Damit wir klug werden“- Man kann dieses Motto wie eine Zwiebel häuten. Klug werden wir nicht nur dadurch, dass wir uns schlau machen durch Information und Diskussion. Klug werden wir vor allem durch eine persönliche Entscheidung, durch Aktion. So verabschieden Kirchentagsbesucher zum Beispiel eine große Resolution zur europäischen Flüchtlingspolitik…

Im 90. Psalm, aus dem das Motto stammt, heißt es: Lehre uns Gott, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. Klug werden hat damit zu tun, wie ich mit der Begrenztheit meines Lebens umgehe. Ob ich mitnehme, was zu holen ist- nach dem Motto: nach mir die Sintflut.

 

Oder ob ich Gott darum bitte, dass er mir das Wissen meiner Sterblichkeit vom Kopf in den Bauch rutschen lässt. Sodass ich fühlen kann: mein Leben hängt oft am seidenen Faden – es hängt an Gott, an meinen Mitmenschen: am Miteinander.

 

Um herauszufinden, was das für mein Denken und Handeln bedeutet, ist der Kirchentag da. Als Lernfeld, als Spielwiese und auch als Vorgeschmack. So bunt und plural wie das Leben selbst. In diesem Jahr kann ich selber nicht auf dem Kirchentag sein. Aber ich bin sicher, dass dort derselbe Geist zu spüren ist wie damals, in der Messehalle.

 

Als 2000 Menschen sich darüber gefreut haben, dass einer seinen verlorenen 100 Euroschein wieder bekommt. Dass Menschen nicht einfach nehmen, was zu holen ist – sondern gerecht und liebevoll miteinander umgehen. Persönlich – und politisch.

 

Was macht klug? Wenn Sie mit mir darüber reden wollen erreichen Sie mich bis 8.00 Uhr unter 030 für Berlin und dann 325 321 344. Oder diskutieren Sie mit auf Facebook unter: „deutschlandradio.evangelisch“.

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03.04.2015
Pfarrerin Annette Bassler