„Fresh Expressions“

Morgenandacht
„Fresh Expressions“
26.08.2015 - 06:35
17.06.2015
Superintendent Jan von Lingen

Ein anglikanischer Bischof war zu Gast in einer Veranstaltung einer kleinen britischen Landgemeinde. Während einer Diskussion hörte er eine laute Stimme aus dem Hintergrund und ahnte: „Jetzt gibt es Ärger!“ Tatsächlich: „Bischof!“, meldete sich ein älterer Mann lautstark zu Wort und stand auf: „Wir machen uns Sorgen. Wir werden immer weniger in unseren Gottesdiensten. Und es kommen nur die Alten. Glauben Sie, dass unsere Gemeinde so noch eine Zukunft hat?“

 

Stille im Gemeindesaal. Der Bischof überlegte. Sollte er diplomatisch sein, Für und Wider abwägen, Möglichkeiten aufzeigen? Er entschied sich für ein klares Wort: „Ich glaube nicht.“ Angespanntes Schweigen. „Wir auch nicht“, antwortete dann der Mann aus der Gemeinde, und stellte in die Runde die Frage: „Was also können wir tun?“

 

Das erzählt dieser anglikanische Bischof bei einem Besuch in Deutschland. Und dann berichtet er von ungewöhnlichen Aufbruchbewegungen in Großbritannien. Er spricht von „Fresh Expressions“ und wie nötig „Church planting“ sei: „Fresh Expressions“, „frische Ausdrucksformen“ oder auch: "Junge Triebe“ von Kirche. Oder „Church Planting“ – „Kirchenpflanzungen“. Kann man Kirchen „pflanzen“?

 

Ja, man kann, gerade aus der Not heraus, so berichtet der Bischof. Viele Gemeinden haben das in Großbritannien getan: Sie haben schlicht und einfach Neuanfänge versucht. Denn sie haben erkannt: Die britische Gesellschaft des 21. Jahrhunderts ist eine völlig andere als die, in der einst die traditionellen Gemeinden gegründet wurden. Das Lebensgefühl hat sich verändert. Darum gibt es jetzt neben dem sonntäglichen Gottesdienst Überraschungsgottesdienste für Familien, Jugendkirchen, Café-Gemeinden, Kreativgruppen, sogar eine Skaterkirche – mehrere tausend dieser neuen kirchlichen Gruppen wurden bereits gegründet. „Fresh expressions“, frische Formen von Kirche – weil Menschen gefragt haben: „Hat unsere Gemeinde so noch eine Zukunft? Was für eine Gemeinde würde unseren Enkeln gefallen? Was also können wir tun?“

 

Ich denke dabei an zwei Sätze, die von dem lateinischen Kirchenvater Augustin überliefert sind. Der sagt: „Bete, als hinge alles von Gott ab. Handle, als hinge alles von Dir ab.“ Ich finde diesen Gedanken sehr treffend – auch wenn es um die Zukunft der Kirche geht. Die Kirche ist größer als die Form, die wir ihr geben, sie lebt aus einem tieferen Sinn, als wir verstehen. Es kann nicht ohne Beten gehen, nicht ohne Spiritualität, nicht ohne Lieder, nicht ohne Feste und geistliche Räume. Eine Kirche kann es nicht geben ohne die Kraft aus der Tiefe. Bete, als hinge alles von Gott ab...

 

Aber eben auch: Handle, als hinge alles von Dir ab! – Vielfältig können wir die Kirchengemeinden in unserer Zeit gestalten. In der einen Kirche erklingt eher Gospelmusik mit jungem Chor, in der anderen dagegen häufiger Mendelssohn mit Kantorei. In manche Gottesdienste zieht die Literatur ein, die Autorin kommt ins Gespräch mit dem Pfarrer. Andernorts sind es Ausstellungen, die Kirchentüren und manche Augen öffnen. Vielgestaltig können die Räume sein, in denen etwas Neues entsteht, in denen der Glaube wachsen, die Liebe wurzeln und die Hoffnung blühen kann. So unterschiedlich wie die Menschen, die diese Orte aufsuchen, und die Gemeinden, die solche Anfänge wagen.

 

So hat es auch jene Landgemeinde erlebt, die der anglikanische Bischof in Großbritannien besucht hatte. Am Anfang standen die Fragen: Hat unsere Gemeinde so noch eine Zukunft? Und: Was also können wir tun? Zwei Jahre nach dieser Gemeindeversammlung ist aus dem düsteren Gemeinderaum ein Gemeindehaus im Caféstil geworden. Jung und Alt haben hier inzwischen ihren Platz gefunden, die Begegnung nach dem Gottesdienst ist wichtig geworden. Zu den Gottesdiensten gehörten nun auch zeitgemäße Lieder und junge Stimmen. „Junge Triebe“, eben, „frische Ausdrucksformen“ – „fresh expressions“.

 

Und der eher konservativ geprägte Bischof war mit den Veränderungen in der Gemeinde einverstanden. Mit einer schönen Begründung: „Wenn Gott will, dass da eine Blume wächst – warum sollte ich derjenige sein, der sie abschneidet?“

17.06.2015
Superintendent Jan von Lingen