Herr Gott

Morgenandacht
Herr Gott
26.07.2017 - 06:35
24.07.2017
Pfarrerin Silke Niemeyer

Der Herrgott hat abgedankt. Das einschüchternde, angsteinflößende Gottesbild von ehedem hängt im Museum des Glaubens und vergilbt dort. Zum Glück. Aber sein Nachfolger ist mir auch nicht wirklich sympathisch. Der Nachfolger vom alten Herrgott ist nämlich der nette Herr Gott. Dieser Herr Gott ist ein liebenswürdiger Herr, der immer die Blumen seiner Nachbarin gießt, wenn sie im Urlaub ist. Er liebt alle Kinder und ist gutmütig mit allen Menschen. Er kann gar keinem böse sein. Für jeden ist er da und verzeiht alles. Herr Gott liebt auch alle Tiere und isst deshalb kein Fleisch. Überhaupt ist er bescheiden und achtet auf seine Energiebilanz. Herr Gott ist einfach ein unheimlich guter Mensch.

 

So kommt Gott oft daherspaziert im geläufigen Gottesbild. Aus dem allmächtigen Vater ist der nachgiebige Papi geworden, aus dem heiligen himmlischen Herrscher der freundliche Kumpel von nebenan, mit dem man auf du und du ist. Das ganze Sperrige, Fremde, Heilige und Unnahbare ist von seiner Erscheinung wegpoliert. Und wenn man über ihn sagt, dass er vergilt, dass er zornig ist, dass er schweigt und verborgen ist, dann gibt es aufgeregten Protest. Das kann dann gar nicht „unser christlicher Gott“ sein. Das ist dann der Gott der Juden. Das ist der Allah der Muslime. Aber bitteschön nicht unser Herr Gott. Der tut sowas nicht. Denn der tut keinem was.

 

Das alte Bild von Gott ist als Karikatur erkannt und gebannt. Aber auch das neue, geläufige ist eine Gotteskarikatur, die Vorstellung eines lieben Gottes, der wie ein Talisman in der Tasche immer da, immer nah ist. Dieser Gott soll trösten.

 

Aber tröstet so ein Taschengott wirklich? Ich finde: Nein, er tröstet nicht. Ein solcher Gott ist kein Gegenüber mehr. Er ist wie eine Wattewand. Man kann darin versinken, aber man kann sich nicht daran abstützen, man kann auch nicht im Zorn dagegen schlagen. Man kann sich nicht mit ihm auseinandersetzen. Der liebe Gott ist stets an der Seite, aber er entgegnet nicht mehr, er greift nicht mehr an, er geht nicht mehr voraus, man kann ihm vor allem nicht mehr böse sein. Ein solcher Gott ist harmlos, er ist banal, und er ist langweilig. Einen harmlosen, banalen, langweiligen Gott aber kann man nicht ernstnehmen, geschweige denn an ihn glauben. Er ist wie eine geistliche Girlande, die an Tagen wie Weihnachten, Taufe und Schulanfang zur spirituellen Dekoration ausgerollt wird. Im Alltag wird sie wieder eingerollt.

 

Der Schauspieler Stephan Lohse wartet in seinem Debütroman mit einem frechen Titel für Gott auf: „Ein fauler Gott.“ Das ist nämlich das, was Ben von Gott denkt, nachdem sein kleiner Bruder Jonas gestorben ist. Seine Mami tröstet ihn auf der Beerdigung und sagt, „dass der liebe Gott einen Engel gebraucht hat. Und dafür hat er sich Jonas ausgesucht“. „Fauler Gott. Fauler Kackgott.“, diese vier Worte schießen da dem Ben durch seinen Elfjährigen-Kopf. Sie erschießen jede süßliche Vorstellung von einem lieben Gott, der das Böse nicht so schlimm macht.

 

Der Gott, den Ben verflucht, ist viel lebendiger als der Kitsch-Götze, der ihm als Zuckerguss über den bitteren Tod des Bruders angeboten wird. Manchmal braucht man einen Gott, den man beschimpfen kann, dem man böse sein kann, dem man die Schuld geben kann. Manchmal braucht man diesen Gott einzig, damit man noch irgendwohin weiß mit seinem Schmerz und seiner Auflehnung gegen das, was um Gottes Willen nicht sein darf. Dieser Gott ist der Gott, den Jesus gebraucht hat. Denn am Kreuz, da ist kein Platz für Glaubenskitsch. Am Kreuz, da ist kein lieber Gott für Jesus, und er schreit: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Mit dieser Frage brüllt er Gott an. Er überlässt sich nicht dem Nichts. Er braucht den Gott, den er anklagt, damit sich nicht alles in Sinnlosigkeit auflöst. Eine Rückkehr zum alten Gottesbild ist das nicht: Hier flackert in finsterstem Bild der Glaube an die Auferstehung. 

24.07.2017
Pfarrerin Silke Niemeyer