Warten können

Morgenandacht
Warten können
14.12.2015 - 06:35
18.06.2015
Pfarrerin Petra Schulze

Ob die Klingel wohl kaputt ist? Anna verlässt die Wohnung, rennt die Treppe runter, macht die Haustür auf und klingelt – bei sich selbst. Ah, ja, sie kann es bis hier unten hören, oben in ihrer Wohnung läutet es. Noch ein paar Mal drücken, ja, ja, doch die Türklingel funktioniert. Schnell wieder rauf. Nicht dass er grad kommt, wenn sie noch im Hausflur ist. Anna ist nervös. Wann kommt er denn endlich… ob er vielleicht versucht hat, anzurufen? Hat sie ihr Handy vielleicht aus Versehen stumm geschaltet? Oh Gott, wenn er nach dem Weg fragen wollte und sie ist nicht rangegangen… Das Handy aber zeigt keinen „Anruf in Abwesenheit“ an, auch keine SMS. Halb acht wollte er da sein. Jetzt ist es schon fast viertel vor acht. Wenn er nun doch nicht kommt? Wenn er es sich anders überlegt hat? Gut, dass er nicht sieht, wie sehnsüchtig sie wartet, wie groß ihre Hoffnung ist. Mit ihm soll alles anders, alles gut werden.

 

Warten – das kann furchtbar sein. Warten, das ist nicht nur täglich ein Türchen am Adventskalender öffnen und sich gedulden bis zu den Geschenken am Heiligen Abend. Warten – das wissen Kinder und Erwachsene, kann große Schmerzen bereiten.

 

Das deutsche Wort „warten“ kommt von „auf der Warte wohnen“. Die „`Warte` ist der Ort der Ausschau, der Wachtturm. Warten meint also: Ausschau halten, ob jemand kommt, umherschauen, was alles auf uns zukommt.“ (Anselm Grün) Manchmal ist es ein einsames, vergebliches Warten dort auf dem Turm.

 

Die Bibel ist voller Geschichten vom Warten. Kinderlose warten darauf, endlich schwanger zu werden. Menschen werden getrennt durch List, Flucht, Deportation und Krieg. Sie vermissen einander. Liebenden werden lange Wartezeiten auferlegt, bis sie zusammen kommen können. Und alle warten auf den Messias. Den Retter der Welt, den Gott versprochen hat. Mit ihm soll alles anders, alles gut werden.

 

Und wenn das lang Ersehnte dann endlich da ist – dann müsste doch eigentlich unbändige Freude ausbrechen. Denn am Ende des langen Wartens steht doch das, weswegen sich das Warten lohnt: die Freude. Aber Warten ist mehr als ein Zustand, den man am liebsten ganz schnell hinter sich bringen will, weil danach das Gute und Richtige kommt. Das zeigt die zweite Bedeutung des deutschen Wortes „warten“. Warten kann auch heißen: „auf etwas Acht haben, etwas pflegen“.

 

Wer wartet, ist manchmal blind für das, was zu ihm kommen will. Wenn ich auf den Traumprinzen oder die Traumprinzessin warte, habe ich oft eine so feste Vorstellung davon wie er oder sie sein soll, dass ich die wahre Liebe übersehe. Wenn ich immer nur abwarte, dass es endlich einen besseren Job, eine schönere Wohnung gibt, wenn ich meine, mein Leben müsse ganz genau so und so sein, um ein wirklich gutes Leben zu sein, verpasse ich nicht nur das Gute im Hier und Jetzt. Sondern womöglich auch Hinweise und Zeichen, die Gott mir gibt. Zeichen und Hinweise darauf, wie mein Weg weitergehen kann. Vielleicht anders, als ich mir das ausmale und vorstelle. Ganz anders. Beängstigend anders. Lustvoll anders. In jedem Fall aber verheißungsvoll.

Warten im Advent – das heißt achtsam Ausschau halten nach dem, was zu mir kommen will und was schon längst da ist. Ich habe es nur noch nicht bemerkt. Warten im Advent, das heißt: den Schmerz des Wartens annehmen. Denn er zeigt mir, wonach mein Herz sich sehnt. Und Warten im Advent – das heißt achthaben auf die Zeichen, die Gott sendet. Die den Weg weisen zu dem, was Mensch und Welt rettet.

18.06.2015
Pfarrerin Petra Schulze