Die Schuhe des Nikolaus

Morgenandacht
Die Schuhe des Nikolaus
05.12.2015 - 06:35
18.06.2015
Pastor Matthias Viertel

Es ist schon ein eigenartiger Tag heute: Da nehmen selbst Erwachsene ihre Schuhe und stellen sie vor die Tür, natürlich nur sorgfältig geputzt, damit alles schön glänzt. Auch wenn man über den Anblick dieser ordentlich aufgereihten Schuhe staunen kann, der Grund ist ja allen bekannt: Morgen ist der 6. Dezember, und der Legende nach kommt in der vorangehenden Nacht der Nikolaus, um die kleinen und auch die großen Kinder zu beschenken. Tatsächlich sind auch eine ganze Menge Erwachsener erpicht darauf, etwas zu bekommen. Es ist lange Tradition, dass zum Nikolaustag Süßigkeiten und kleine Präsente in die Schuhe gesteckt werden, vorausgesetzt natürlich, sie sind geputzt und werden am Vorabend vor die Tür gestellt.

 

Dieses Ritual mit den Schuhen und Geschenken ist ein Volksbrauch, der auf Bischof Nikolaus zurückgeht. Und ihn gab es wirklich, im frühen 4. Jahrhundert wirkte er in Myra, das ist eine antike Stadt, die ganz in der Nähe der heutigen Touristenmetropole Antalya liegt. Myra gehörte damals zum Römischen Reich, genau gesagt in die Provinz Lykien, die auch der Apostel Paulus auf seinen Missionsreisen schon besucht hatte. Dieser Teil Kleinasiens spielt also eine ganz besondere Rolle bei der Ausbreitung des frühen Christentums. Nicht umsonst verlegte Kaiser Konstantin später den Mittelpunkt des Römischen Reiches in die nach ihm benannte Stadt Konstantinopel, dem heutigen Istanbul.

 

Bischof Nikolaus von Myra, derjenige, dem wir unseren Nikolaustag verdanken, kommt also aus dem Gebiet der heutigen Türkei. Aber er ist nicht der einzige, den wir aus unserer christlichen Geschichte kennen. Auch Paulus stammt aus dem Gebiet der heutigen Türkei, genauer gesagt aus Tarsus in der damaligen Provinz Kilikien. Wer auf die Landkarte schaut, kann entdecken, dass die Geburtsstadt des Apostels Paulus ganz in der Nähe zur syrischen Grenze liegt. Es ist genau das Gebiet, in das in diesen Monaten die Menschen aus Homs und Aleppo vor dem syrischen Bürgerkrieg fliehen. Dort kommen sie in Auffanglager oder sie machen sich von dort weiter auf den Weg nach Europa. Und dabei weisen die Heimatstädte von Paulus und Nikolaus ihnen den Weg.

 

Von eben diesem historischen Nikolaus ist überliefert, dass er damals sein ganzes geerbtes Vermögen einfach an die armen Menschen verteilen ließ. Als Bischof wollte er keine Reichtümer um sich horten. Er befürchtete, durch diesen Reichtum die Glaubwürdigkeit zu verlieren. Ganz unbegründet sind solche Bedenken ja auch heute nicht. Seine selbstlose Tat ist sogar historisch verbrieft, er hat damals wirklich sein ganzes Vermögen einfach verschenkt. Und das genügte, um unzählige Legenden in die Welt zu bringen. Fortan wurde Nikolaus als Wundertäter verehrt, übrigens von Katkoliken, Protestanten und Orthodoxen gleichermaßen: Auf Nikolaus verstehen sie sich alle. Sein ganzes Vermögen hat Bischof Nikolaus verschenkt – und das erklärt, warum heute zum Nikolaustag noch immer Geschenke gemacht werden.

 

Viel interessanter ist aber die Frage, warum für die Süßigkeiten ausgerechnet Schuhe vor die Tür gestellt werden sollen. Es gibt mehrere Erklärungsversuche, die das Geheimnis lüften sollen: Folgt man den älteren Kirchenvätern, dann gilt der Schuh als Symbol für das Schiff, von dem Nikolaus einst auf wundersame Weise Korn erhielt, mit dem er die Notleidenden in seiner Heimatstadt Myra beschenkte.

 

Naheliegender ist allerdings eine andere Erklärung: Bischof Nikolaus kam aus dem Orient, und bei Orientalen gehört es zum guten Ton, die Schuhe vor der Tür abzustellen. Wenn wir heute Abend also die Schuhe vor die Tür stellen, dann machen wir das nicht nur, um ein paar Geschenke zu bekommen; zugleich würdigen wir damit auch die Herkunft des Nikolaus, dem türkischen Vorläufer des Weihnachtsmanns. Und wir können uns angesichts der Schuhe vor unserer Tür an den langen Weg erinnern, der von der syrischen Grenze über Tyros und Tarsus bis zu uns nach Europa führt.

18.06.2015
Pastor Matthias Viertel