Wider die Bescheidwisser

Morgenandacht
Wider die Bescheidwisser
12.12.2016 - 06:35
11.12.2016
Pfarrerin Annette Bassler

„Bescheidwisser“ – so nennt ein Kollege die Leute, die meinen, sie wüssten Bescheid. Wer ist der wahre Gott? Was ist die wahre Religion? Nach welchen Werten sollen wir leben? Bescheidwisser meinen es zu wissen. Es gibt christliche und muslimische, jüdische, buddhistische und atheistische Bescheidwisser. Und sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Sie behaupten, selber der wahren Religion anzugehören, den wahren Gott anzubeten oder eben keinen Gott, weil den ja nicht gibt. Bescheidwisser neigen außerdem dazu, Mauern zu bauen. Um sich und ihre Gemeinschaft vor den Bösen zu schützen – die natürlich immer die anderen sind. Bescheidwisser bleiben nämlich gern unter sich.

 

Manchmal wäre ich auch gern eine Bescheidwisserin. Und würde den anderen Bescheidwissern gerne mal den Marsch blasen. Aber ich bin es leider nicht.

 

Ich weiß nicht, was die Wahrheit ist und wer unterm Strich wirklich zu den Guten und zu den Bösen gehört. Ob ich an den wahren Gott glaube, hoffe ich, einmal zu erfahren. Bis dahin aber vertraue ich darauf, dass mein Glaube mich der Wahrheit näher bringt. Wie überhaupt mein Glaube weniger eine Summe von Faktenwissen ist als vielmehr ein Vertrauen. Ich werfe mich ins Leben und vertraue darauf, dass Gott mich begleitet und meine Schritte lenkt.

 

Deshalb halte ich es für keinen Zufall, dass die Geschichte von der Geburt Jesu mit einer Reise beginnt. Maria, die Gottesmutter und Josef, ihr Verlobter, müssen von Nazareth nach Bethlehem. Wegen der Volkszählung. Das sind zwei Wochen Fußmarsch. Für Maria im hochschwangeren Zustand. Wie passt das zusammen: Sie soll das Kind Gottes gebären und sich und das Kind solchen Strapazen unterziehen? Jeder Gynäkologe würde heute strikt davon abraten. Und Josef, der Patriarch, soll seine Ehre mal ganz hinten anstellen und seine Verlobte unterstützen. Das widerspricht allen guten Sitten.

 

Und trotzdem gehen die beiden los. Hoffen und vertrauen darauf, dass Gott es gut mit ihnen meint und sie behütet und dass sie irgendwann verstehen, was das alles zu bedeuten hat.

 

Wie sehr diese Reise die beiden verändert, erzählt die Bibel nur in Andeutungen. Josef kämpft in der Nacht mit seiner Ehre. Lässt sich aber von einem Engel dazu überreden, für dieses Kind Vater zu sein und es zu beschützen. Maria bleibt auf der Reise seltsam stumm, aber sie „bewegt“ alles in ihrem Herzen. Sie kann sich keinen Reim machen auf das, was passiert, aber sie spürt, dass es wichtig ist.

 

Maria und Josef, sie wissen grade nicht Bescheid. Und umso mehr hoffen und vertrauen sie auf Gott und halten ihr Herz offen.

 

Und deshalb haben die frühen Christen diese Geschichte erzählt und aufgeschrieben. Damit auch wir sie in unseren Herzen bewegen. Und unsere Herzen offen halten. Vielleicht brauchen wir heute genauso viel Mut, wie Maria und Josef. Weil wir ja auch nicht wissen, ob der Weg, den wir bisher gegangen sind, ein gutes Ende nimmt. Ob wir es weiterhin schaffen, den Menschen, die vor Krieg und Terror geflüchtet sind, gute Gastgeber zu sein. Ob wir auf dem Weg der Nächstenliebe bleiben, auch wenn andere sich über uns lustig machen.

 

Die Geschichte von der Geburt Jesu erzählt, wie Gott sich schutzlos den Menschen preisgibt. Der Gott der Christen ist kein Gott der Bescheidwisser und er will auch nicht mit Gewalt und Schutzmauern verteidigt werden. Gott will, dass wir uns auf den Weg machen. Und ihm in jeder Phase unseres Lebens vertrauen. Auf seine Kraft und seinen Geist. Das glaube ich. Bis wir irgendwann mal Bescheid wissen, was Gott mit uns vorhat. Der Advent lädt ein, genau das zu probieren. Oder anders gesagt:

 

Dreh dich um und sieh die Kehrseite,

entkleide dich des Besserwissens,

umlächle den Eifer…

 

Herze die Güte,

knistere mit Gefühl,

ummantel das Verlorene…

 

Lockere die Eigentumsrechte,

umschwärme die Stille,

genieße das Wohnrecht im Heiligen…

11.12.2016
Pfarrerin Annette Bassler