Würdiges Sterben

Morgenandacht
Würdiges Sterben
26.09.2015 - 06:35
18.06.2015
Pfarrer Jost Mazuch

Um Würde geht es: um die Würde des Menschen in der letzten Phase seines Lebens und Sterbens. Darüber wird seit einiger Zeit eine wichtige Debatte geführt, im Bundestag und in der Öffentlichkeit. Wie soll in Zukunft die sogenannte Sterbehilfe gesetzlich geregelt werden? Soll unheilbar kranken Menschen, die nicht mehr leben wollen, das Sterben ermöglicht werden? Oder soll Sterbehilfe verboten bleiben? Für Ärzte, weil ihr Berufsethos sie verpflichtet, Leben zu erhalten und nicht zu beenden. Und soll die organisierte, vielleicht sogar kommerzielle Sterbehilfe, weiter verboten werden?

 

Viele verstehen unter einem würdigen Sterben vor allem die Möglichkeit, selbst den eigenen Tod zu bestimmen. Sie wollen ein qualvolles, langsames Dahinsiechen vermeiden. „Mein Ende gehört mir“, war der Slogan einer Plakataktion. Mit vielen Prominenten hat sie für diese Position geworben. Aber wird das der Würde des Menschen gerecht: das eigene Sterben selbst in die Hand zu nehmen? Oder Mitmenschen damit zu beauftragen, das Sterben einzuleiten, wenn man das selbst nicht mehr kann? Ich glaube das nicht.

 

In meiner nächsten Nachbarschaft haben zwei ältere Menschen den Tod durch Suizid gewählt, auf unterschiedliche Weise und unter sehr verschiedenen Umständen. Beide waren nicht lebensbedrohlich krank. Beide hatten vorher deutlich diese Haltung vertreten: Mein Ende gehört mir; ich will selbst bestimmen, wann ich sterbe.

 

Zweimal musste ich dieses angeblich selbstbestimmte Ende miterleben. Mit Würde hatte das für mich nichts zu tun. Eher mit Angst, Schrecken und Hoffnungslosigkeit. Und beide Male erlebte ich, was diese Suizide auslösten: eine Belastung für die Angehörigen, für Freunde und Nachbarn. Der Tod eines Menschen betrifft eben nicht nur diesen einen.

 

„Niemand von uns lebt für sich allein, und niemand stirbt für sich allein.“ Das schreibt der Apostel Paulus im Römerbrief in der Bibel. Sterben ist immer ein sozialer Prozess. Auch wenn jeder Mensch, wie es heißt, diesen letzten Weg ganz alleine gehen muss, so betrifft jedes Sterben doch viele andere. Jeder Mensch, der sich das Leben nimmt, hinterlässt Mitmenschen, meist auch Angehörige. Für viele von ihnen wirkt diese Erfahrung jahrelang, wenn nicht lebenslang nach. Die ganze Umgebung der Verstorbenen ist betroffen: Arbeitskollegen, Freunde, Nachbarn. Der scheinbar selbstgewählte Suizid eines Menschen stellt die bisherige Gemeinschaft in Frage. Schon deshalb halte ich es für falsch, Sterbehilfe nur unter dem Aspekt der Selbstbestimmung zu verhandeln.

 

Ich sehe die Angst vor Schwäche und Abhängigkeit am Ende des Lebens; die Angst vor Schmerzen. Ich verstehe den Wunsch nach Autonomie. Und doch erscheint mir aus der Sicht des Seelsorgers der selbstgewählte Tod nicht der Würde eines Menschen zu dienen. Zum Sterben gehört Zeit, die sich nicht abkürzen lässt. Sie ist nötig, um sich auf den Tod vorzubereiten. Das Aufbegehren gegen den Tod gehört dazu wie die Zeit, Abschied zu nehmen. Einwilligen zu können. Von Angehörigen, aber auch von Sterbenden höre ich oft, wie wichtig und wie wertvoll gerade diese letzte Zeit ist. Schwer und traurig sicher auch. Aber eben auch Lebenszeit. Zeit voll Würde, mit Lachen und Weinen. Das alles gehört zum Menschsein.

 

„Niemand von uns lebt für sich allein, und niemand stirbt für sich allein.“ Das heißt für mich: ich hoffe darauf, am Ende nicht allein gelassen zu sein. Darauf, dass Menschen da sind, die meinen schweren letzten Weg liebevoll mitgehen.

 

Der Satz in der Bibel geht noch weiter: „Leben wir, so leben wir dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum, wenn wir leben und wenn wir sterben, sind wir des Herrn.“ Daran glaube ich: was immer geschieht, ich bin mit Christus und mit dem Schöpfer verbunden. Auch wenn ich ganz schwach bin. Auch wenn ich nichts mehr tun kann: ich gehöre zu Gott. Und Gott lässt mich nicht fallen. Und darin liegt, so glaube ich als Christ, das Unvergängliche der Würde jedes Menschen.

18.06.2015
Pfarrer Jost Mazuch