Zefix! – 20 Jahre Kruzifixurteil

Morgenandacht
Zefix! – 20 Jahre Kruzifixurteil
10.08.2015 - 06:35
16.06.2015
Pfarrerin Silke Niemeyer

„Zefix!“, entfährt es meinem gesprächigen Sitznachbarn im Zug nach München. „Sie wissen schon, was das heißt?“ fragt er mich und bleckt eine Reihe spitzer Zähne in seinem fröhlichen Mund. Heute vor zwanzig Jahren – der junge Mann hatte damals noch Milchzähne – riss das ganze Bayernland in heller Empörung das Maul auf und fluchte: Zefix! Am 10. August 1995 veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht nämlich den so genannten Kruzifix-Beschluss. Der besagte: Es ist verfassungswidrig, per Gesetz vorzuschreiben, in jedem bayerischen Klassenzimmer ein Kruzifix aufzuhängen. Wohlgemerkt: Das Gericht verbot nicht, ein Kreuz im Klassenzimmer aufzuhängen. Es verbot, das Kruzifix per Gesetz an die Wand zu nageln. Tausende Menschen, allen voran der Ministerpräsident Edmund Stoiber, trieb das damals zum Protestieren auf die Straße. Stoiber bekannte: „Kreuze gehören zu Bayern wie die Berge.“[1] 256 000 wütende Proteste gingen beim Gericht ein. Politiker dachten in heiligem Zorn laut über den Boykott des Urteils nach.

Und darauf lief es tatsächlich hinaus. Sage und schreibe sechs Kreuze wurden abgehängt, und Bayern streckte dem höchsten Gericht die Zunge raus. Es beschloss das alte Gesetz von neuem: „Angesichts der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns wird in jedem Klassenzimmer ein Kreuz angebracht.“ Der Kniff besteht seither darin, das christliche Kreuz zu einem rein kulturellen Symbol zu erklären.

 

Muss man sich als guter Christ nicht freuen, wie viele Kreuzritter das Hauptsymbol unseres Glaubens retten wollten? Nein, es kann einen schaudern. Ich bin froh über das Urteil damals. Ich bin froh in einem Staat zu leben, der kein religiöser ist. Ich bin froh, dass nicht alles unter dem Zeichen des Kreuzes steht, was in Schulen oder Gerichten oder Finanzämtern verhandelt wird. Es ist auch kein schlauer Kniff, sondern ein fauler Trick, wenn man das Kreuz zum Zeichen einer allgemeinen abendländischen Kultur erklärt. Ich will nicht, dass das Kreuz Christi zu einem Allerweltszeichen wird für die so genannte Leitkultur „mia san mia“, weder auf Bayerisch, noch auf Hochdeutsch, noch auf Sächsisch. Dann streicht man es am Ende schwarz-rot-gelb an und trägt es zur Verteidigung des christlichen Abendlandes vor sich her und schreit „Asylanten raus“.

 

Das Kreuz ist ein Symbol des Glaubens an Jesus Christus und soll es bleiben. Das haben auch die Richter damals so gesehen. Sie haben im Kreuz nämlich mehr gesehen als einen Wandschmuck, auch mehr als ein Symbol für Menschlichkeit. Hätten sie das Kreuz zu einem bloßen Dekorationsgegenstand erklärt und es im Klassenzimmer hängen lassen – dann hätten sie das christliche Glaubenssymbol wirklich herabgewürdigt. Sie verstanden es jedoch ganz recht als Sinnbild des Leidens und der Herrschaft Christi. Weil die Herrschaft Christi aber kein staatliches Regiment ist, deshalb gehört es nicht per Gesetz in staatliche Räume.

Nur ein in Religionsangelegenheiten neutraler Staat kann glaubwürdig die Religionsfreiheit verteidigen. Und von der leben nicht nur die Muslime und die Atheisten, sondern mit mir auch meine christlichen Brüder und Schwestern.

 

Ein religiös neutraler Staat ist kein religionsfeindlicher Staat, der aseptisch rein ist von religiösen Äußerungen. Ein religiös neutraler Staat kann z.B. seinen Angestellten die Freiheit lassen, ihre religiöse Überzeugung kenntlich zu machen. Er kann ihnen erlauben zu zeigen, ob sie buddhistisch, christlich, muslimisch oder jüdisch sind. Eine Ordensschwester kann unterm Schleier an der Universität lehren, und eine Muslimin kann unterm Kopftuch zur Steuerprüfung kommen, und ein Jude kann unter der Kippa den städtischen Kindergarten leiten, solange alle drei vernünftig und im Einklang mit den Gesetzen ihren Dienst tun. Auch das ist Religionsfreiheit. Ich möchte einen Staat, der den Religionen möglichst große Spielräume lässt und möglichst wenig verbietet. Diese Freiheit hilft den gesellschaftlichen Frieden zu halten. Und zu dieser Freiheit gehört schließlich und endlich auch, den Spott über Gott nicht gesetzlich zu verbieten. Oder sollte Gott etwa zur Verteidigung seiner Ehre auf staatliche Bestrafung seiner Kritiker angewiesen sein?

 

[1] http://www.deutschlandfunk.de/zehn-jahre-kopftuch-verbot-in-baden-wuerttemberg-ein-stueck.724.de.html?dram:article_id=281780

16.06.2015
Pfarrerin Silke Niemeyer