Nicht immer lieb, nicht immer mutig

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Nicht immer lieb, nicht immer mutig
07.12.2019 - 10:00
26.08.2020
Angelika Obert
 

 

 

Eine Mutter in Wut

Lieblich und hold – viele Jahrhunderte lang gab es von der Maria mit dem Kind nur schöne Bilder. Aber dann kam Max Ernst und malte auf großer Leinwand: „Die Jungfrau Maria verhaut den Menschensohn“. Riesig thront die weibliche Gestalt im Bild, an ihrem feuerrot-nachtblauen Gewand leicht als Maria zu erkennen. Nur dass sie das nackte Kind nicht trägt, sondern übers Knie gelegt hat, nicht milde auf den Betrachter blickt, sondern mit konzentriertem Grimm auf den schon geröteten Kinderpopo: Gleich wird ihr gereckter Arm wieder auf ihn niedersausen. Es ist ein seltsames Gefühl, dieses Bild anzuschauen – zwischen Schrecken und Lachen. Ja klar, das weiß ich als Tochter wie als Mutter:  Die Frau, die ihr Kind schützt und nährt, hat auch eine andere Seite. Sie ist nicht immer nur liebevoll, nicht immer nur gut. Jeder weiß das und trotzdem durfte man es lange nicht denken und schon gar nicht malen.

Die Ambivalenz aushalten

Erst seit wir mit den Einsichten der Psychoanalyse leben, gewöhnen wir uns an den Gedanken, dass sich das Helle und das Dunkle, das Wohltuende und das Bedrohliche nicht säuberlich voneinander trennen lassen. Immer gibt es auch die andere Seite. Keine Zuneigung ohne Abwehr, keinen Mut ohne Angst, keinen Glauben ohne Unglauben. Für mich ist diese Ambivalenz immer wieder etwas, was ich mir erst klar machen muss. Dass sie immer da ist, davon spricht nicht erst die Psychologie, das weiß schon die Bibel, auch da, wo sie von Maria erzählt.

Verrückt vor Angst

Nicht, dass sie den Jesusknaben verprügelt hätte – davon steht in der Bibel so wenig wie davon, dass sie hold umschleiert mit dem Kind auf dem Arm für die großen Maler Modell gesessen hat. Aber dass sie eine ganz normale Mutter war, erfahren wir. Eine Mutter, die sich furchtbare Sorgen machte, als ihr Zwölfjähriger plötzlich in der Menge verschwunden war. Die keineswegs vertrauensvoll dachte: „Dem Sohn Gottes wird schon nichts passieren...“ Wie jede andere Mutter irrte sie herum und fragte alle Leute und war schon ziemlich wütend und aufgelöst, als sie den Sohn endlich fand. Auch erleichtert, aber nicht für lange. Denn er fügte sich ja nicht.

Dann muss er verrückt sein

Richtig schlimm wurde es, als er sich von der Familie löste,  ein Leben als Wanderprediger begann. Ohne Wohnsitz, ohne Arbeit, ließ er sich mit fragwürdigen Leuten ein, übertrat die Gebote – es hieß, dass er auch heilte und mit Vollmacht lehrte: Viele Menschen vertrauten ihm. Nicht so Maria. Ihr war das Treiben des Sohnes bloß unheimlich. Sie ahnte wohl: Dieser Weg führt ins Unglück. Das wollte sie nicht zulassen. Darum nahm sie, als Jesus mal wieder in der Nähe war, ihre andern Kinder ins Schlepptau. Gemeinsam zogen sie los, den seltsamen Bruder nach Hause zu holen. Was natürlich misslang. „Er ist von Sinnen“, er hat sie nicht mehr alle, davon war die Familie nun überzeugt. Maria hat Jesus nicht geglaubt. Denn was er von sich behauptete, war einfach zu phantastisch. 

Was wir wirklich von Maria wissen

Maria hat in all ihrem Unverständnis aber auch nicht abgelassen von dem Sohn, an dem sie fast irre wurde. Sie war in Jerusalem, als ihm der Prozess gemacht wurde. Sie stand unter dem Kreuz. Und dann sah sie das leere Grab. Und glaubte an den Auferstandenen.

Es sind nur diese beiden Dinge, die wir wirklich von Maria wissen: Dass sie zur österlichen Gemeinde gehörte und dass sie den Wanderrabbi Jesus, ihren Sohn, für verrückt gehalten hat. Dass sie glaubte und nicht glaubte.

Wie selbstverständlich steht das auch in der Bibel: Es gibt sie nicht, die alles verstehende Mutter. Es gibt ihn nicht, den unangefochtenen Glauben. Für jedes Christenleben gilt, wie es in der Jahreslosung für 2020 heißt: „Ich glaube. Hilf meinem Unglauben.“ 

 

26.08.2020
Angelika Obert