Springen, Fallen, Geborgen werden

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Springen, Fallen, Geborgen werden
01.10.2016 - 10:00
31.10.2016
Pfarrer Gerhard Engelsberger

Über die Sendung

Wenn sich unter einem der Abgrund öffnet, hilft nur Vertrauen. Gerhard Engelsberger erzählt für die evangelische Kirche von der erstaunlichen Kraft des Vertrauens.

 

Sendung zum Nachlesen

Kletterspiele

Zwei Jungs spielen an einer Stadtmauer. Sie klettern, graben, suchen Schätze. Als sie eines Tages hoch oben herumklettern, bricht unter ihnen ein Stück weg und sie stehen oben. 4, 5 Meter. Alles droht zusammenzubrechen. Wer weiß, ob die Helfer rechtzeitig zur Stelle sind. Unten bröckelt schon der Mörtel. Und ein Mann unten ruft: „Spring!“ Nach kurzem Zögern springt der eine, wird aufgefangen und lebt. Der andere springt nicht. Warum springt der eine und warum verweigert der andere die Rettung?

Ernst Lange erzählt die Geschichte und löst das Rätsel. Der Mann, der unten zum Springen auffordert, ist der Vater des einen Jungen.

Wenn wir springen sollen, dann müssen wir vertrauen, dass uns jemand auffängt. Und Vertrauen stützt sich immer auf Erfahrungen.

 

Gute und schlechte Erfahrungen

Es gibt gute Erfahrungen.

Und es gibt die anderen.

Schüler haben die Prüfung nicht bestanden.

Erwachsene haben ihren Arbeitsplatz verloren.

Irgendwo wird immer geflohen, vor Hunger, vor Diktatur oder Bürgerkrieg.

 

Christinnen und Christen sind aufgerufen, „havarierte“ Menschen sanft in liebenden Händen zu bergen. Aufgabe der Kirche ist es, Fallende aufzufangen und Strauchelnde zu stützen.

Jesus lädt ein, seinem Vater zu vertrauen, „unserem Vater“ zu vertrauen.

Mit einem so einfach dahin gesagten „Du musst dich in die Arme Gottes fallen lassen!“ ist es nicht getan. Ich möchte wissen, in wessen Arme ich falle.

Grundvertrauen ist zum Teil das Ergebnis schwerer Prüfungen, zum Teil die Folge herzlicher Erziehung und Begleitung wie bei den Lummen.

 

Geleitflug ins Leben

Im Fernsehen sah ich eine Sendung über Lummen. Lummen sind Meeresvögel. Sie nisten in Kolonien auf nordatlantischen Inseln, an den Küsten Grönlands und Alaskas. Die Nistplätze liegen auf  zerfurchten Felsen, die 300 Meter senkrecht nach unten abfallen. Es gibt dort nur für etwa zwei Monate zu essen. Dann friert das Meer zu, und die Vögel kommen nicht mehr an die Fische. Die Lummen müssen rechtzeitig wieder nach Süden kommen, um zu überleben. Aber die Jungen können bis dahin noch nicht fliegen.

Eines Tages macht sich die junge Lumme zusammen mit  dem Vater trotzdem auf den Weg. Wie Pinguine watscheln sie vom Nistplatz durch die ganze Lummenkolonie, durch Schnabelhiebe und Geschrei der anderen hindurch, ganz vorn an die Klippe. Unter ihr ein Brausen, Spritzen, Tosen, Rollen und Donnern aus der Tiefe.

 

Nach einigem Zögern lässt sie sich einfach nach unten fallen, Flügel halb angelegt. Kein Flügelschlag. Sie fällt fast wie ein Stein.

Kaum hat sich die junge Lumme in die Tiefe gestürzt, stürzt der Vater hinterher. Er ist schwerer, schneller, kann mit seinen schmalen Flügeln, die er wie Ruder verwendet, ausgezeichnet lenken und fliegt die dreihundert Meter fast senkrecht ins Meer hinab - mal über, mal unter, mal neben ihr. Ein richtiger Geleitflug. Sie ist nie allein, hat auf diesem Wahnsinnsflug in die Tiefe den Vater immer dicht dabei.

Unten platscht sie ins Wasser, taucht kurz und schwimmt dann an die Wasseroberfläche. Und lebt. Wird zusammen mit den Eltern und den anderen Vögeln aus der Kolonie in wärmere Gegenden schwimmen, dort das Fliegen lernen und erwachsen werden.

 

Das wünsche ich Ihnen:

Das Grundvertrauen des Jungen auf der Mauer.

Den Mut der jungen Lumme vor Grönland.

Eine Gemeinschaft, in der Sie geborgen sind.

Und das liebende Geleit Gottes.

Der „Zweitname“ Jesu nach dem Matthäusevangelium lautet: Immanuel. Zu Deutsch: „Gott ist mit uns.“

31.10.2016
Pfarrer Gerhard Engelsberger