Auch über den Tod hinaus!

Wort zum Tage
Auch über den Tod hinaus!
27.05.2017 - 06:20
27.05.2017
Pfarrer Jörg Machel

Um kurz vor neun er­reicht mich ein An­ruf der Not­fall­seel­sor­ge. Es geht dar­um, eine To­des­nach­richt zu über­brin­gen. Zwei Po­li­zi­sten er­war­ten mich vor dem Wohn­haus ei­ner Rei­hen­haus­sied­lung. Eine Frau ist am frü­hen Abend mit ih­rem Fahr­rad von ei­nem Last­wa­gen er­fasst wor­den und noch auf dem Weg ins Kran­ken­haus ver­stor­ben.

 

Wir klin­geln und so­fort spie­gelt sich der Schreck im Ge­sicht des äl­te­ren Herrn, der uns die Tür öff­net, es ist der Ehe­mann. „Ein Un­fall?“, will er wis­sen. „In wel­chem Kran­ken­haus liegt sie?“ Auf die Nach­richt, dass sei­ne Frau tot sei, rea­giert er mit Ent­set­zen. Ei­nen Arzt will er nicht, aber dass ich als Pfar­rer mit­ge­kom­men bin und auch Zeit für ihn habe, das ist gut.

 

Zwei Stun­den re­den wir mit­ein­an­der. Im­mer wie­der wird er von Pa­ni­kat­tac­ken ge­schüt­telt. „Was soll nun wer­den? Ich bin doch äl­ter als sie, ich bin krank, sie war top­fit. Sie war doch erst Mit­te sieb­zig und ich bin schon über acht­zig, was soll ich nur ma­chen?“ Er er­zählt mir, wie sie sich ken­nen­ge­lernt hat­ten, wie sich ihre Wege trenn­ten und dann doch wie­der zu­sam­men­fan­den. Frü­her war er ak­ti­ver Rad­sport­ler ge­we­sen, auch sei­ne Frau war lei­den­schaft­li­che Rad­fah­re­rin. Aus­ge­dehn­te Rad­tou­ren ha­ben sie un­ter­nom­men, die letz­te vor kur­zem erst! Und nun soll das al­les vor­bei sein?

 

Das war im No­vem­ber. Ge­ra­de wa­ren sie noch da­bei ge­we­sen, den Gar­ten win­ter­fest zu ma­chen. Er war mit den Pflan­zen im Kel­ler be­schäf­tigt, als sie sich noch­mal das Rad nahm, um Klei­nig­kei­ten im Super­markt zu be­sor­gen. Nur ganz schnell, viel zu kurz, um sich erst lan­ge zu ver­ab­schie­den und nun kam sie nicht zu­rück, nie mehr.

 

Wir hat­ten viel ge­re­det und wa­ren bei­de er­schöpft. Es war gut, dass ich dann ging.

 

Doch am näch­sten Mor­gen noch vor sechs Uhr war ich wach. Was, wenn er sich et­was an­ge­tan hat? An Wei­ter­schla­fen war nicht zu den­ken. Um sie­ben wag­te ich es an­zu­ru­fen. Er war so­fort am Te­le­fon. Ob ich zum Früh­stück kom­men kön­ne, frag­te ich, und er war froh über mein An­ge­bot. „Der Kaf­fee ist schon fer­tig und Bröt­chen bac­ke ich auf.“ Wir re­de­ten wei­ter und na­tür­lich stand ir­gend­wann die Fra­ge im Raum: Wo war Gott? Wie konn­te das ge­sche­hen? Sei­ne Frau war so um­sich­tig, im­mer – viel mehr als er. Ich habe mehr ge­schwie­gen als ge­re­det.

 

Wo Gott war, als der Un­fall ge­schah, wir wuss­ten es nicht. Aber die Emp­fin­dung, dass sie jetzt bei Gott ist und dass das Band die­ser lan­gen Lie­be auch durch die Tren­nung nicht zer­ris­sen ist, das war et­was an­de­res. Die­sen Trost konn­te er sich zu­ge­ste­hen. Wür­de Got­tes Ge­gen­wart, wür­de die Lie­be zu ei­nem Men­schen an der Gren­ze des To­des en­den, es wäre un­er­träg­lich. (Ja,) Gott sieht mich, auch über den Tod hin­aus!

27.05.2017
Pfarrer Jörg Machel