Selfie von der Stange

Wort zum Tage
Selfie von der Stange
21.08.2015 - 06:23
23.06.2015
Pastor Diederich Lüken

Als eifriger Nutzer des Internet bin ich mit Facebook bestens vertraut. Dort entdecke ich immer wieder Fotos von Bekannten. Aber sie gefallen mir oft überhaupt nicht. Denn Sie sind merkwürdig verzerrt. Ich kenne diese Art der Verzerrung; sie tauchte bei Porträtfotos auf, die ich früher einmal von meinen Freunden gemacht habe, und zwar immer dann, wenn ich Ihnen mit der Kamera zu nahe auf die Pelle gerückt war. Das führt unweigerlich zu solchen unschönen Verzerrungen. Wie aber kommen solche Fotos ins Internet? Klar, es handelt sich um sogenannte Selfies, Bilder, die der Dargestellte mit seinem Smartphone von sich selbst gemacht hat. Er hat sich das Gerät mit ausgestrecktem Arm vor die Nase gehalten und abgedrückt. Leider war der Arm nicht lang genug; dafür erscheint die Nase um so länger. Doch nun ist Abhilfe geschaffen worden: der Selfie-Stick, die Selfie-Stange. Das ist sozusagen eine Armverlängerung. Man montiert das Smartphone vorn an die Stange, hält es sich vors Gesicht und kann es dann so ausrichten, dass ein optimales, verzerrungsarmes Selbstbildnis entsteht. Das Schönste aber ist: Der Hintergrund kommt mit ins Bild, der Kölner Dom z.B., die Elbphilharmonie, das Stadion „auf Schalke“ oder was auch immer. Denn wichtiger als der Tempel ist, dass ich dort war, es beweisen und der Facebook-Community mitteilen kann. Oft steckt einfach eine Art Schabernack dahinter, jugendliche Ausgelassenheit, die Unbedarftheit schierer Lebenslust. Das ist neidlos anzuerkennen. Aber die Gefahr besteht doch, dass auch eine gesteigerte Selbstsucht damit gepflegt wird, eine Eigenliebe, die die Welt nur noch als Kulisse des eigenen Ich wahrnimmt. Sicher, die Sache ist viel älter als der Selfie-Stick – und viel mehr verbreitet. Das Ich steht beinahe im wörtlichen Sinne zwischen mir und der Welt. Damit steht es oft auch zwischen mir und dem Mitmenschen. Das aber macht die Welt ärmer, weil ich mich der Welt entziehe, wenn ich sie nur auf mich selbst bezogen betrachte. Das macht auch den Mitmenschen ärmer, weil zwischen mir und dem Mitmenschen keine echte Begegnung möglich ist, wenn ich ihn nur auf mich selbst bezogen betrachte. Und das macht letztendlich auch mich selbst ärmer, denn die Welt ist größer, schöner, beunruhigender und spannender als ich selbst es jemals sein kann. Deshalb, denke ich, hat Jesus die Selbstliebe mit der Nächstenliebe verbunden: „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“, Dazu gesellt sich die Liebe zur Welt als Gottes Schöpfung. Alle drei, die Liebe zur Welt, zum Mitmenschen und zu sich selbst, gehören für Jesus eng zusammen. Ja, besser das Ich macht sich da im Vordergrund nicht zu breit!

23.06.2015
Pastor Diederich Lüken