Tage des Widerspruchs

Wort zum Tage
Tage des Widerspruchs
23.11.2016 - 06:23
22.11.2016
Pfarrer Dirck Ackermann

Es sind widersprüchliche Urlaubstage im sommerlichen Elsass. Ich erinnere mich gut. Gleich am ersten Tag höre ich vom Amoklauf in München, am Sonntag vom Attentat in Ansbach. Am Mittwoch dann: Ein Priester wird in Frankreich während der Frühmesse von zwei Attentätern hingemeuchelt. Schreckensnachrichten im Sommerurlaub.

Gleichzeitig fahre ich durch eine bezaubernde Landschaft. Das Elsass: abwechslungsreiche Natur mit Bergen, sanften Hügeln und der Rheinebene. Städte, die aus einer Märchenwelt zu entstammen scheinen: mit Fachwerkhäusern, kleinen Stadtmauern, Burgruinen, die zum Träumen einladen, Kirchen aus dem Mittelalter mit eindrucksvoller Architektur. Schier endlose Blicke in Weinberge. Winzerdörfer, in denen ich gutes Essen und Wein genießen kann. Ferien: Es geht mir gut.

Wenn da nicht der Blick in die Zeitung mich aus diesem Traum reißt und die Bilder von Krieg und Terror im Nahen Osten mich verfolgen. Tage in der Widersprüchlichkeit.

Mit diesen widersprüchlichen Gefühlen besuche ich Kaysersberg. Wieder so ein zauberhafter Ort mit romantischen Gässchen. Hier wurde Albert Schweitzer geboren, der Theologe, Organist und „Urwalddoktor“, wie er in unserem Reiseführer regelmäßig betitelt wird. Wir gehen zur Kirche. Das romanische Portal hält unsere Blicke lange gefangen. Daneben ein Schild mit dem Leitwort Albert Schweitzers: „Ich bin Leben, das Leben will, inmitten von Leben, das Leben will.“ Wie wahr, denke ich, über die Zeiten hinweg.

Ich lasse meinen Blick nach links schweifen. An der Ecke der Kirche steht ein Schild. „Memorial“. Eine Gedenkstätte für Kriegstote? Mitten in dieser idyllischen Stadt? Neugierig blicke ich um die Kirchenecke. Tatsächlich: An die zwanzig Kriegsgräber zähle ich auf einem kleinen Friedhof. In einer Reihe aufgestellt. Zeugnisse der Kämpfe aus den Weihnachtstagen 1944. Ich lese die Sterbedaten: 16.12.1944, 24.12, 26.12. Sie lassen mich erschauern; Sterben an Weihnachten. Gleichzeitig bin ich beeindruckt. Wie verschieden die Grabmäler sind! Kreuze stehen neben Grabplatten mit arabischer Inschrift. Hier liegen Muslime und Christen nebeneinander, Menschen verschiedener Herkunft und Religion, weil sie nebeneinander für die gleiche Sache gekämpft haben: „für die Freiheit“ heißt es in einer Widmung.

An diesem Tag, an diesem Ort spüre ich, was das bedeutet: Wenn Menschen, aus welchen Gründen auch immer, anderen das Lebensrecht streitig machen, sollen Christen und Muslime gemeinsam Widerspruch erheben und gemeinsam für Frieden und das Leben eintreten.

22.11.2016
Pfarrer Dirck Ackermann