Vierundsechzig

Wort zum Tage
Vierundsechzig
27.11.2015 - 06:23
25.06.2015
Pfarrer Jörg Machel

Vierundsechzig Felder hat das Schachbrett; das sei eine gute Zahl, fand Reinhard. 64 Felder reichen aus für unzählige Spielzüge, für jede Menge Überraschungen, für Finten und weitsichtige Planungen.

 

Gern erzählte Reinhard die Legende, dass der Erfinder des Schachspiels bei seinem König einen Wunsch frei hatte. Er wünschte sich, dass man das Schachbrett mit Reiskörnern füllen möge und zwar so, dass ein Korn auf das erste Feld gelegt wird, zwei auf das zweite, vier auf der dritte und so weiter. Also immer doppelt so viele auf das nächste wie auf dem vorhergehenden lagen. Der König war erfreut über den bescheidenen Wunsch des genialen Erfinders und willigte ein. Doch als er seinen Kämmerer schickte, um das Versprechen einzulösen merkten sie bald, dass die Summe der Reiskörner so groß wurde, dass er dem Erfinder faktisch sein ganzes Königreich vermacht hatte.

 

Reinhard war jedoch nicht nur ein leidenschaftlicher Schachspieler, er mochte das ganze Drum und Dran. Das Aufstellen der Figuren, die Stille zwischen den Zügen, eine ungewöhnliche Zugfolge. Schach ist ein ruhiges Spiel, es passte zu ihm.

 

Zum Trauergespräch brachte Reinhards Frau seinen Konfirmationsspruch mit: „Alle Sorge werfet auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Nicht oft taugt der Konfirmationsspruch als Motto für ein ganzes Leben, bei Reinhard passte er. Er konnte das, seine Sorgen loslassen, entspannen, sein Leben gestalten, ohne dabei in Hast zu geraten. Er achtete die Kleinigkeiten des Lebens, den gut zubereiteten Kaffee, Rituale in der Küche und am Esstisch. Er richtete sich die Leseecke ein, legte eine Platte von Frank Zappa auf und war zufrieden mit sich und der Welt. Wo kommt das schon vor, dass die Kinder nach Hause kommen und durch die Wohnung brüllen: „Vater mach die Musik leiser, wir müssen lernen!“

 

In seinem Job kümmerte er sich um Jugendliche, die dringend der Hilfe bedurften. Auch da hatte er einen besonderen Stand. Er nervte nicht und erreichte gerade so die jungen Leute. Er war für sie da; und als er starb traf es sie so schwer wie der Tod eines nahen Angehörigen.

 

Reinhard starb und ließ alle ratlos zurück. Hier starb kein gestresster Mensch, der für seine Lebensweise zahlen muss, es gab keine Krankheit, gegen die er den Kampf verlor, es gab nichts, was seinen völlig unzeitgemäßen Tod erklären könnte. Es gibt nur die Tatsache, dass er am Morgen tot in seinem Bett lag.

 

Vierundsechzig ist eine tolle Zahl, sagte der passionierte Schachspieler nicht lange vor seinem Tod, da passt eigentlich alles rein. Reinhard wurde genau vierundsechzig Jahre alt.

 

25.06.2015
Pfarrer Jörg Machel