Das Wort zum Sonntag: "Nicht die Augen verschließen"

Das Wort zum Sonntag: "Nicht die Augen verschließen"
Pfarrer Dr. Wolfgang Beck
21.06.2014 - 23:55

"Grrrrr! Mist, gerade nicht hingeschaut! Jetzt warst Du wieder mal einen Moment nicht aufmerksam und gerade da fällt das Tor. Oder gerade in dem Moment wird das Foul gepfiffen."

 

Klar schaue ich die Fußballspiele zur Zeit auch als Fan. Aber es passiert mir immer wieder, dass ich entscheidende Dinge verpasse. Vielleicht geht Ihnen das ja auch so? Eine ganze Reihe der Tore sehe ich erst in der "Wiederholung“. Peinlich, das muss ich schon gestehen. Noch schnell etwas nebenbei erledigt; mit jemandem kurz ein paar Sätze gewechselt oder ans Telefon gegangen und schon habe ich das Entscheidende nicht gesehen. Ärgerlich ist das! Das Beste an der Fernsehübertragung ist dann, dass ich wenigstens die Wiederholung habe.

Den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, hinzugucken und diese Momente nicht zu verpassen, darum geht's – nicht nur, wenn Sie gleich die zweite Halbzeit des Fußballspiels schauen.

Na gut, dass Fußball ohnehin nicht gerade das perfekte Metier für uns Theologen ist, braucht nicht weiter erläutert zu werden. Gut, wenn wir dann wenigstens über uns selbst lachen können. Zum richtigen Zeitpunkt die wichtigen Dinge wahrzunehmen, das ist immer eine zentrale Frage des Lebens, nicht nur im Sport. Und auch bei den Nachrichten über die aktuellen Entwicklungen im Irak und dem ganzen Nahen Osten legt sich die Frage nahe: Kriegen wir die wichtigen Dinge mit?

 

Da war in der letzten Woche nicht nur von den neuen kriegerischen Auseinandersetzungen im Irak die Rede. Es kam auch zu einer überraschenden Gesprächsbereitschaft zwischen dem Iran und den USA. Hatten nicht iranische Politiker vor kurzem noch Hasstiraden in die westliche Welt und Richtung Washington geschickt? Hatte nicht ein amerikanischer Präsident auch im Blick auf die Diktatur der Mullahs im Iran von einem "Schurken-Staat" gesprochen? Ich kann mir nur verwundert Augen (und Ohren) reiben. Habe ich zwischenzeitlich irgendetwas verpasst?

 

Und ich hoffe, dass der Blick geschärft wird für Themen, die in der Weltpolitik und den Nachrichten bislang weitgehend unbeachtet bleiben: Seit Jahren gibt es massive Formen der Christenverfolgung und Verbrechen von Islamisten, vor allem im Irak und auch in Syrien. Da gibt es Vertreibungen ganzer Familien und das Auslöschen einer uralten Kultur, die eigentlich Jahrtausende lang durch ein gutes Miteinander der Religionen bestimmt war. Und da gibt es Bilder, Berichte und Gewaltvideos, vor denen ich mich nur abwenden kann.

 

Bei den wirklichen Tragödien dieser Welt gibt es keine einfache Wiederholung. Da gilt: Schaut gefälligst genau hin! Ignoriert nicht länger diese großen Tragödien unserer Zeit. Mit aller guten Laune ist es in diesen Tagen angesagt, die Fußball-WM zu feiern und ausgelassen zu sein. Ganz klar! Aber das darf uns nicht dazu verführen, die Augen länger vor den Dramen unserer Tage zu verschließen, die nur selten die Nachrichten und Schlagzeilen erreichen. Und jetzt? Jetzt ist erstmal die Zeit für die zweite Halbzeit.