Das Wort zum Sonntag: "Niederlagen"

Das Wort zum Sonntag: "Niederlagen"
Pfarrerin Adelheid Ruck-Schröder
02.06.2012 - 21:50

Die Niederlage des FC Bayern gegen Chelsea war furchtbar. Furchtbar für die Fans und für die Spieler. Als Schweinsteiger den Elfmeter an den Pfosten schoss –, ich konnte kaum hinsehen: Wie er das Trikot übers Gesicht zog, als wolle er sich unsichtbar machen, und wie er dann an der ausgestreckten Hand des Bundespräsidenten vorbei schlich. „Ich war paralysiert.“ sagte er nach der Niederlage selbst.

 

Niederlagen.

Davon zeigen uns die Medien in diesen Tagen gleich mehrere:

Norbert Röttgen zum Beispiel: Erst hat er die Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen kassiert und dann gleich hinterher die Entlassungspapiere als Minister.

Oder Thomas Gottschalk: Am nächsten Donnerstag läuft seine Vorabend-Show zum letzten Mal. Die ARD hat sie abgesetzt. Was für eine Niederlage für diesen Meister seines Fachs!

 

Niederlagen sind schrecklich und faszinierend zugleich.

Medien inszenieren sie deshalb. Wir schauen uns gerne die Bilder der Abgeschlagenen an. Warum eigentlich? Ich glaube, weil Niederlagen an einen Nerv unserer Gesellschaft rühren. Wir setzen sonst ja auf Selbstdarstellung. Niederlagen faszinieren dann umso mehr. Und: sie erinnern uns nur zu gut an unsere eigenen Niederlagen.

 

Ich habe einmal bei einer Bewerbung eine Niederlage erlebt. Ich erinnere mich genau. Wie ich auf das Ergebnis wartete. Draußen war das, auf einem Platz, schon halb unterwegs zum Bahnhof. Und wie mein Handy klingelte mit einer Nachricht, die ich damals nicht hören wollte. Ich habe an jenem Abend alle Bewerbungsunterlagen in den nächstbesten Mülleimer am Bahnhof geworfen, ja geradezu hineingestopft. Ich hatte das unwiderstehliche Bedürfnis mich von der Niederlage zu befreien. Wenigstens fürs erste hat das funktioniert. Natürlich hat sie mich wieder eingeholt, die Last der Niederlage.

 

Weitermachen nach einer Niederlage. Das ist verdammt schwer. Die Last nicht mitschleppen. Wie geht das? Trost kommt oft zu schnell. Eine Niederlage wirft einen eben erst mal nieder. Schönreden hilft nicht.

 

Schweinsteiger sagte in einem Interview: Trost hilft gar nicht. Nur Vorbilder helfen.

Da hat er Recht. Auch andere müssen Niederlagen wegstecken. Wahrscheinlich jeder. Je nach dem, wie Leute damit umgehen, werden sie einem manchmal sogar sympathisch.

 

In der Bibel gibt es eine Figur. Sie heißt Jakob:

 

Es ist Nacht. Jakob ist allein, unten an der Furt. Er kämpft. Er kämpft mit einem Unbekannten. Eigentlich hat er Angst vor seinem Bruder. Den hatte er vor Jahren betrogen. Morgen soll Jakob seinem Bruder gegenübertreten. Aber zuvor muss Jakob mit diesem Unbekannten ringen. Jakob kämpft um den Sieg. Er versucht die Niederlage abzuwehren. Den Kampf kann er nicht gewinnen. Er spürt das. Und jetzt ringt er seinem Kampfpartner trotzig etwas ab: nicht den Sieg, aber - einen Segen. „Segne mich!“. Jakob fordert das trotzig: „Segne mich! Erst dann gebe ich den Kampf auf.“

 

Am nächsten Morgen hinkt Jakob. Das finde ich verblüffend. Er hinkt wie nach einer Niederlage und hat doch einen Sieg errungen: Er ist gesegnet. Ob da Gott im Spiel ist bei diesem Kampf, bei diesem Segen? So genau wird das nicht gesagt.

 

Dieser Jakob taugt für mich als Vorbild.

Denn genau so fühlte ich mich nach jener Niederlage: Ich „hinkte“ im übertragenen Sinn wie Jakob. Niederlagen hinterlassen eben Spuren. Aber am Ende kommt es aufs Weitergehen an.

 

Nelson Mandela sagte das so: „Der größte Ruhm im Leben liegt nicht darin nie zu fallen, sondern jedes Mal wieder aufzustehen.“

Vielleicht mit einer gepfefferten Niederlage im Gepäck, vielleicht „hinkend“, aber trotzdem gesegnet.