"Du siehst mich!"

"Du siehst mich!"
Pfarrer i.R. Alfred Buß
27.05.2017 - 23:50
21.12.2016
Alfred Buß

Wort zum Sonntag 27.05.2017 aus Wittenberg

(Alfred Buß, Unna)

„Du siehst mich“

Willkommen in den Elbwiesen der Lutherstadt Wittenberg. Nicht nur der Pokalsieg wird gefeiert. Es ist auch Kirchentag - in Berlin und hier in Wittenberg, dem Ausgangpunkt der Reformation vor 500 Jahren. Mit zigtausenden Besuchern. Hier wird die Nacht der Lichter gefeiert. Der Kirchentag steht unter der Losung: Du siehst mich.

Du siehst mich? Ich habe junge Kirchentagsbesucher gefragt: Was sagt euch das? Du siehst mich. Unisono bekam ich diese Antwort: Kommt drauf an, wer mich ansieht. Es gibt kalte Blicke, die wollen in mich hineinsehen und lassen mich frieren. Aber wenn Gott mich ansieht, macht mich das frei. Ein Mädchen: Das ist, als wenn ein Freund zu mir sagt: Gut siehst du aus!

Und dann sah ich ein Plakat, hier in Wittenberg: Wenn Gott wirklich alles sieht, stand da, verdreht er auch manchmal die Augen?

Bestimmt verdreht Gott nicht nur die Augen, er bebt vor Zorn, wenn Kinder an Europas Grenzen ertrinken oder der IS Kinder ermordet, wie in Manchester.

Denn Gott ist ein Gott der Lebenden und der Toten. Ihm ist nicht gleichgültig, was mit seinen Menschen geschieht. Er sah dich schon, als du noch gar nicht geboren warst. Und er wird nie aufhören, dich anzusehen mit dem Blick der Güte.

Das legte die Reformation wieder frei vor 500 Jahren - gegen die Angst, die die Kirche den Menschen machte mit Gott. Gott als Popanz eigener Interessen und pfarrherrlicher Macht.

Mit Gott zu drohen blieb auch den Protestanten nicht fremd. Leider. Eine Anekdote erzählt: Kinder machen sich einen Spaß daraus, leckere Äpfel aus dem Pfarrgarten zu klauen. Erbost hängt der Pfarrer ein Schild auf: Der liebe Gott sieht alles! Am nächsten Tag liest er darauf in krakeliger Kinderschrift: Aber er verrät uns nicht.

Gott verrät uns nicht. Das gibt Rückenwind und Freude. Und lässt die Menschen singen.

Wie der ganze Kirchentag singt und hier die Menschen in den Elbwiesen. Schon die Reformation war eine singende Bewegung. Ob Bauern, Bürgerinnen, Handwerker, Knechte, Mägde, Bürgermeister  - alle sangen. Singen steckt Lichter auf.

Hier singen Kirchentagsbesucher zu den Klängen der Brüder von Taizé, einer ökumenischen Kommunität aus Frankreich. Sie setzt sich ein für Versöhnung  der Konfessionen, Religionen, Völker und Kulturen. Versöhnung ist heute nötiger denn je. Versöhnung soll jetzt ausgehen vom Ort der Reformation -damit Gott nicht mehr die Augen verdrehen muss.

21.12.2016
Alfred Buß