Freund oder Feind

Freund oder Feind
Das Wort zum Sonntag mit Pfarrer Gereon Alter
01.08.2015 - 23:05

Guten Abend, meine Damen und Herren.

 

Wer ist Freund und wer ist Feind? Sind die Feinde unserer Feinde unsere Freunde? Oder entpuppen auch sie sich bald als Feinde? – Wenn ich auf den Konflikt in Syrien schaue, kann ich das kaum noch unterscheiden. Die Amerikaner gehen eine Allianz mit den Türken ein, um sie für ihre Offensive gegen den IS zu gewinnen. Aber denen scheint der Kampf gegen die Kurden viel wichtiger zu sein. Und die wiederum kämpfen gegen die Türken und den IS. Anschläge auf dieser und jener Seite … Wo wird dieses undurchschaubare Taktieren und Paktieren noch hinführen?

 

Es ist noch gar nicht lange her, da haben Forscher eine äußerst interessante Beobachtung im Tierreich gemacht. Sie haben einen Ameisenstamm entdeckt, der mit einem anderen Ameisenstamm paktiert, weil der ihm hilft gegen seine Feinde zu kämpfen. Dafür gewährt er ihm Kost und Logis. Das Verblüffende daran ist, dass der so unterstützte Ameisenstamm offenbar gar nicht merkt, dass der andere Stamm sich an seiner Brut vergreift und sich vor allem von der ernährt. – Was in einer Hinsicht hilfreich und nützlich erscheint, kann in einer anderen Hinsicht schädlich, ja sogar selbstzerstörerisch sein.

 

Mir kommt das irgendwie vertraut vor – nicht nur, wenn ich auf Syrien blicke, sondern auch, wenn ich auf mein eigenes Leben schaue. Wie oft habe auch ich mich schon mit anderen verbündet, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Für das Erreichen des Zieles war das gut. Aber in einer anderen Hinsicht manchmal auch ziemlich schädlich. Oder denken Sie an die Kompromisse, die wir gelegentlich eingehen um des sog. „lieben Friedens“ willen. Nur, was ist das dann oft für ein Friede? An einer Front ist vielleicht Ruhe, an einer anderen brechen dafür neue Konflikte auf.

 

Je länger ich darüber nachdenke, umso skeptischer werde ich gegenüber einem solchen Taktieren und Paktieren. Und umso wichtiger wird mir der Blick aufs Ganze. Dient das, was hier und jetzt Erfolg verspricht, auch auf lange Sicht dem, was ich eigentlich will? Oder ist der Schaden am Ende nur noch größer?

 

In der Bibel wird von einem Mann namens Josua erzählt, der auf der Suche nach einem „gelobten Land“ ist. Einem Land, in dem es sich gut leben lässt: ohne Terror, Krieg und Gewalt. Auf dem Weg dahin stellt er immer wieder die Frage „Bist du mein Freund oder bist du mein Feind?“, „Bist du mein Freund oder bist du mein Feind?“ – bis ihm schließlich ein Mann begegnet, der ihm auf die Frage antwortet: „Weder, noch. Ich bin der Anführer des Heeres des Herrn.“ (Jos 5,14).

 

Verstehen Sie, was da gemeint ist? – Während Josua völlig darauf fixiert ist: „Wer nützt mir gerade? Wer schadet mir?“, lenkt der fremde Mann seinen Blick in eine ganz andere Richtung. Auf DEN „ganz Anderen“. Auf Gott, den Herrn. Und Josua geht auf, dass ihn nicht sein ständiges Taktieren und Paktieren in das ersehnte Land des Friedens bringt, sondern eben jener Gott, der auf das Ganze schaut und das Leben aller will.

 

Ein friedliches und gutes Leben für alle wird es nicht geben, wenn auf dem Weg dahin nur gefragt wird „Wer ist mein Freund und wer mein Feind? Wer nützt mir gerade und wer schadet mir?“ Das kann morgen schon wieder ganz anders aussehen. Ein friedliches und gutes Leben für alle wird es nur geben, wenn das Ganze nicht aus dem Blick gerät und bei jedem einzelnen Schritt gefragt wird „Dient das, was ich jetzt tun will, letztlich dem Wohle aller? Und hat es auch dauerhaft Bestand?“ – Dem Josua hat dabei die Begegnung mit Gott geholfen.