Die Geschichte der Freien evangelischen Gemeinde Bonn

Die Geschichte der Freien evangelischen Gemeinde Bonn

Die Anfänge

"Und an dem selben Tage sprach er zu ihnen, als es Abend geworden war: Lasst uns hinüberfahren ans andere Ufer [..]." Mit diesem Satz beginnt eine der zentralen Stellen des Markusevangeliums (Markus 4, 35–41). Mit diesen Zeilen beschäftigt sich aber auch die eben neu gegründete Freie evangelischen Gemeinde Bonn an ihrem ersten Abend, dem 21. Juni 1862. Die Gründung der FeG Bonn geht auf die Initiative von Leopold Bender (1833–1914) zurück, der sich im Evangelischen Brüderverein in Elberfeld engagiert und auch die heutige FeG Köln-Lindenthal gründet. Außerdem betreibt er eine Sonntagsschule, um, so Bender, "einesteils der verwahrlosten Jugend Nachhilfeunterricht zu erteilen, andernteils die Kinder am Sonntage religiös zu beschäftigen und von der Straße fernzuhalten".

 

Doch weder Bonn noch Köln sind zu dieser Zeit die ersten Freien evangelischen Gemeinden in Deutschland. Bereits 1854 gründet der Kaufmann Hermann Heinrich Grafe (1818–1869) die Gemeinde in Elberfeld-Barmen. Damit verwirklicht er nach der Aufhebung des bis 1850 bestehenden Vereinigungsverbotes für christliche Bewegungen Anregungen aus Frankreich und England. Weitere Gemeinden folgen und 1872 vereinigen sich 22 von ihnen zum Bund Freier evangelischer Gemeinden, dem die FeG Bonn 1886 beitritt und bis heute angehört.

 

In den ersten Jahren entwickelt sich die junge Bonner Gemeinde durchaus positiv. Aus anfänglich acht Mitgliedern werden bis zur Jahrhundertwende knapp vierzig. In praktischer Hinsicht leidet die Gemeinde jedoch darunter, dass sie keine eigenen Räumlichkeiten besitzt. Sie ist daher zu häufigen "Lokalwechseln" gezwungen. So treffen sich die Gläubigen zwischen 1862 und 1919 an mindestens acht verschiedenen Versammlungsorten. Diese Unstetigkeit ist nicht Zeichen unglücklicher Gemeindeführung, sondern ergibt sich einerseits aus äußeren Zwängen, andererseits aufgrund steigender Mitgliederzahlen.

 

Durch schwere Zeiten

Im Jahr 1880 überträgt Leopold Bender die Leitung der FeG Bonn an Florenz Pape (1829–1900), der die Gemeinde von der Gründungs- in die Konsolidierungsphase führt und die Reihe der bisher insgesamt 23 Pastoren nach Bender eröffnet. Außerdem werden ab 1904 "Älteste" in die Gemeindeleitung mit einbezogen, um so die Pastoren zu entlasten. In diesen und den nachfolgenden Jahren festigt sich die Gemeinde und geht selbst aus dem Drama des Ersten Weltkrieges ohne äußerlich sichtbare Einbußen hervor. Im Gegenteil, trotz der schwierigen Rahmenbedingungen gelingt es, während des Pastorats von Johannes Hallenberger (1913–1927) mit der ehemaligen Schreinerei im Rosental 24 erstmals eine eigene Immobilie zu erwerben, die bis 1961 als Gemeindehaus dient. Das geistliche Leben beinhaltet zu dieser Zeit aber durchaus nicht nur den sonntäglichen Gottesdienst, sondern auch die Veranstaltung von Bibelstunden an externen Standorten wie Oberwinter, Remagen und Honnef und evangelistische Veranstaltungen in Bonn. Die Mitgliederzahl liegt während dieser Jahre wie bereits zur Jahrhundertwende recht konstant bei etwa 40 Personen.

 

Betrachten wir die Geschichte der FeG Bonn über die letzten 145 Jahre und verwenden die Mitgliederzahlen als äußerlich messbaren Indikator der Gemeindeentwicklung, so fällt auf, dass es nach der Konsolidierung neben kleineren Problemen zwei schwerere Krisen zu überstehen gilt: Die erste zur Zeit des Zweiten Weltkrieges, die zweite in den materialistisch gepräg¬ten Jahren des "Wirtschaftswunders" der späten 1950-er und der 1960-er Jahre.

 

Es ist denkwürdig, dass in der Frühzeit des "Dritten Reiches" ein deutlich wahrnehmbares Gemeindewachstum stattfindet, so dass Mitte der 1930-er Jahre 63 Mitglieder gezählt werden. Damit ist ein vorläufiger Höchststand seit der Gründung erreicht. Am Ende des Zweiten Weltkrieges gibt es jedoch nur noch 35 Gemeindemitglieder. Das Gemeindehaus ist zerstört und die Aussichten sind trübe. Doch hat Gott es so eingerichtet, dass während und nach den beiden Weltkriegen Pastoren die Gemeinde führen, die besonders lange im Amt sind. Dadurch gewährleisten sie zusammen mit den Gemeindeältesten Kontinuität und Neuanfang. So wird der Wiederaufbau sowohl in geistlicher als auch in materieller Hinsicht die wesentliche Aufgabe von Karl Betz, der von 1937–1956 in der FeG Bonn tätig ist: Das Gemeindehaus entsteht praktisch neu, es finden wieder "externe" Veranstaltungen in der damals noch selbstständigen Stadt Beuel und in Siegburg statt und die Mit¬gliederzahl steigt bis 1956 wieder auf 70 Personen.

 

Kaum ist dies erreicht, sinken mit Beginn des wirtschaftlichen Aufschwunges in Deutschland die Mitgliederzahlen wieder und erreichen 1970 mit 43 Mitgliedern das Niveau der 1920-er Jahre. Allerdings sind Mitgliederzahlen zwar ein leicht messbares Kriterium für die Größe einer Gemeinde, aber sie sind kaum geeignet, geistliche Qualitäten auszudrücken. Denn auch in dieser Zeit des äußerlichen Niederganges findet ein reges geistliches Leben statt, wovon der Neubau eines Wohnhauses mit Saal und Gemeinderäumen auf einem noch zu Betz' Zeiten angekauften Grundstück in der Neustraße 8 (heute Hatschiergasse 12) zeugt. Auch die Zweigarbeit in Siegburg geht weiter und für kurze Zeit engagiert sich die Gemeinde sogar in Koblenz. Dennoch sind die äußeren Umstände in dieser Phase wirtschaftlicher Blüte und des Verfalls überkommener Werte alles andere als rosig.

 

Bei Gott ist alles möglich

Besteht die Entwicklung der FeG Bonn in den ersten 70 Jahren des 20. Jahrhunderts vor allem aus Phasen der Konsolidierung oder "Re-Konsolidierung" nach krisenhaften Erschütterungen, so beginnt mit den 1970-er Jahren eine Wachstumsphase ungeahnten Ausmaßes. Zwischen 1970 und 1980 verdreifacht sich die Mitgliederzahl nahezu. Um 1990 überschreitet sie die 200er-Marke. Zehn Jahre später sind es bereits 352 und Ende 2006 schließlich rund 470 Mitglieder.

 

Diese an sich erfreuliche Entwicklung stellt die Gemeindeführung vor neue Herausforderungen. Die Kapazitäten des Gemeindehauses haben bald ihre Grenzen erreicht und selbst ein 1982 abgeschlossener Erweiterungsbau kann das Problem nicht nachhaltig lösen. Wieder einmal tritt für die FeG Bonn die "Lokalfrage" (so Pastor Hallenberger schon 1919) in den Vordergrund. In Abwandlung des Satzes Friedrich von Bodelschwinghs, dass neue große Nöte neuer mutiger Gedanken bedürfen, ist es wieder ein langjährig wirkender Pastor (Rudolf Diezel, 1984–1997), der zusammen mit den Gemeindeältesten diese Herausforderungen tatkräftig angeht. So wird zum Beispiel beschlossen, pro Sonntag zwei, später sind es sogar drei Gottesdienste anzubieten. Damit ist es aber nicht getan. Da die Herkunft der Mitglieder und Gäste der FeG Bonn sich nicht nur auf das unmittelbare Einzugsgebiet Bonns beschränkt, sondern immer stärker auch das Umland umfasst, ist die in dieser Phase erfolgende Gründung von Tochtergemeinden in Mechernich, Buisdorf, Köln-Porz, Brühl und Rheinbach nur konsequent. In den Fällen von Porz und Brühl geschieht dies in Zusammenarbeit mit der FeG Köln-Lindenthal. Alle genannten ehemaligen Tochtergemeinden sind heute selbstständige Freie evangelische Gemeinden. Währenddessen wird der Aufbau von Hausbibelkreisen, die es in geringerem Umfang schon immer gegeben hatte, vorangebracht. Zu Vortrags- und Fortbildungszwecken wird 1993 die Christliche Volkhochschule eingerichtet. Ende der 1990-er Jahre entschließt sich die Gemeinde angesichts des anhaltenden Wachstums, in weitere Pastorenstellen zu investieren. Heute arbeiten drei Pastoren mit unterschiedlichen Verantwortungsbereichen in der FeG Bonn.

 

Das neue Gemeindezentrum

In dieser Zeit fällt der Blick des Ältestenrates wieder auf zwei alte Wagenhallen schräg gegenüber dem Gemeindehaus, die der Stadt Bonn gehören. Ein Erwerb brächte Platz für ein erweitertes Gemeindezentrum. Im Jahr 2002 führt eine Bauvoranfrage an die Stadt Bonn zunächst nicht zum gewünschten Erfolg. Dennoch wird das Projekt intern weiter verfolgt und ein Bauausschuss gegründet. Ein Jahr später signalisiert die Stadt Entgegenkommen. In langwierigen und zum Teil schwierigen Verhandlungen gelingt es der Gemeindeleitung, das Projekt zu sichern. Als in der Mitgliederversammlung 2003 der Grundsatzbeschluss für den Umbau der Wagenhallen erfolgt, kommt der Stein – wenn auch noch zögernd – ins Rollen. Noch manche Hürde ist zu nehmen, aber am 10. Dezember 2005 wird in einem feierlichen Akt unter Beteiligung der Presse und Vertretern der Stadt Bonn der Grundstein zu einem Gemeindezentrum gelegt, das 500 Gottesdienstbesuchern Platz bietet. Nur sieben Monate später wird am 23. Juni 2006 das Richtfest gefeiert. Die feierliche Einweihung des neuen Gemeindehauses am 25. Februar 2007 setzt einen nur vorläufigen Schlusspunkt, denn der Umbau des alten Gemeindehauses in ein Zentrum der Kinder- und Jugendarbeit steht noch bevor.

 

Autor: Dr. Gerald Schneider