Sendung zum Nachlesen
Dankbarkeit wird oft als ein neuer Trend in der Gesellschaft dargestellt. Es ist ein guter, wie ich finde. Ein Zitat ungeklärter Herkunft lautet: „Es ist nicht Freude, die uns dankbar macht. Sondern es ist Dankbarkeit, die uns fröhlich macht.“ Freude ist also bis zu einem gewissen Maße eine Frage der Einstellung. Wenn ich dankbar bin, werde ich glücklicher. Nicht andersrum. Also nicht „Sobald ich mich glücklich fühle, kann ich dankbar sein“. Dankbarkeit ist wie ein Muskel, den man trainieren kann. Zum Beispiel kann man jeden Tag drei Dinge aufschreiben, für die man am Tag oder am Vortag dankbar war. Eine Freundin von mir tut dies morgens, während die Kaffeemaschine läuft. Ich setze mich gerne abends hin, um den Tag noch einmal Revue passieren zu lassen. Manchmal gibt es tagsüber Momente, in denen ich schon genau spüre, dass ich sie abends als ein Stück Dankbarkeit notieren werde. Wenn ich eine liebe Person treffe, die ich selten sehe. Wenn es etwas besonders Leckeres zu essen gibt. Wenn eine neue Staffel meiner Lieblingsserie erscheint. Wenn ein ganzer U-Bahn-Waggon minutenlang verzückt einem Kleinkind oder einem Hundewelpen beim Leben zusieht.
An anderen Tagen fällt es mir schwer. Ich habe Bauchweh oder Stress, jemand ist schwer krank, die politischen Meldungen machen mir Angst. Dann ist die Herausforderung größer. Die Momente leuchten nicht so auffällig. Ich starre auf die leere Seite meines Tagebuchs. Vielleicht war das Schönste am Tag der Kaffee am Morgen. Dann soll es so sein. Manchmal schreibe ich auch auf, dass ich immerhin gesund bin. Wenigstens eine Wohnung habe. Dass es Menschen gibt, die mich lieben. Dinge, für die ich immer und überall dankbar sein könnte, aber es eben zu selten bin. So wie wenn man Schnupfen hat und dann erst merkt, wie herrlich das Leben mit freier Nase ist. [Man gewöhnt sich so schnell an die guten Dinge. Darum hilft es, wenn ich sie mir ab und zu ebenfalls bewusst mache.]
Man findet immer drei Dankbarkeiten. Und man trainiert den Dankbarkeitsmuskel. Ich habe durchaus das Gefühl, dadurch glücklicher zu werden.
Früher haben meine Eltern mit uns vor dem Einschlafen gebetet. Wir haben dabei erzählt, was alles schön war am Tag, haben uns bei Gott bedankt. Meine Dankbarkeitsübung ist auch eine Gebetsform, selbst wenn ich sie in mein Tagebuch schreibe und nicht mit gefalteten Händen ausspreche. Dankbarkeit braucht ein Gegenüber. Das Leben oder das Schicksal, das Universum oder Gott, das kann man niemandem vorschreiben. Ich weiß, welchem Gegenüber ich meinen Dank ausspreche. Und das macht mich fröhlich.