Spurensuche
Lachen, aber mit Bedacht
16.02.2019 09:00

 

In Darmstadt versuchte ich diese Tage, drei Wochen vor dem Karnevalswochenende ein originelles Kostüm zu finden. Doch die Bedienstete im Kaufhaus warnte mich gleich: „Eine große Auswahl gibt es leider nicht mehr.“ Unverrichteter Dinge musste ich wenig später weiterziehen und mich zunächst am reichlich bestückten Stand mit Fastnachtskrapfen trösten.

Der Karneval wirft seinen Schatten immer schon Wochen vor dem eigentlichen Termin voraus. Er prägt unser Einkaufsverhalten ebenso wie die Aktivitäten in den Bildungseinrichtungen und das Vereinswesen in den Ortschaften. Dass diese Periode vielerorts als die „fünfte Jahreszeit“ bezeichnet wird, ist ein Indiz darauf, dass der Lebensrhythmus in diesem Zeitraum unter ganz anderen Vorzeichen steht. Er ist die Zeit des ausgelassenen, kreativen Spaßes und ermöglicht es, für kurze Zeit in eine fremde Identität zu schlüpfen.

Lautstarke, farbenfrohe und schillernd schrille Bräuche gehören nicht nur in den Hochburgen zu den wesentlichen Begleiterscheinungen des Karnevals. Hier und da würdigen Menschen die besondere Zeit, indem sie einen bedeutsamen Teil ihres Jahresurlaubs opfern. Schlechtes Wetter schreckt kaum einen ab, hohe Preise für Getränke ebenso wenig, wenn der Karnevalsspaß es fordert. Einen Höhepunkt bilden die Umzüge durch die Innenstädte. Dann zieren Menschen in Scharen die Straßen, um die Kreativität und den Erfindungsreichtum der einzelnen Vereine zu würdigen.

Häufig werden zeitgemäße gesellschaftspolitische Themen und namhafte Persönlichkeiten dargestellt. Manche Vereine und einzelne Personen lassen sich aber auch gerne von der Kolonialgeschichte inspirieren. Sie schöpfen aus einem mehr als ein Jahrhundert alten Fundus. Die Erscheinung als Afrikaner, das sogenannte „Blackfacing“ ist hier ein beliebtes Motiv. Nicht jedoch die hier in Europa lebenden Fußballstars afrikanischer Herkunft werden dabei gemimt. Bekannte afrikanische Politiker oder sonstige Repräsentanten der Elite aus afrikanischen Gesellschaften lassen sich auch dabei nicht finden. Das Lieblingsmotiv ist das in der Kolonialzeit verbreitete Bild des wilden Afrikaners. Baströckchen oder Leopardenfell, Knochen durch den Kopf, bzw. Knochenketten um den Hals, Strohhütten als Wohnstätten gehören zu seinen Merkmalen. Devot, unterwürfig und fügsam hat er auch zu sein. Zur Belustigung seiner Zuschauer erscheint er gelegentlich mit einer Karnevalsmütze. Vermutlich um die Situation besser in der Kolonialzeit anzusiedeln, ist häufig der so dargestellte Afrikaner von Personen in Kolonialuniform umgeben.

Diese gehört zu den Karnevalstraditionen, die ich bis heute noch nie verstehen konnte. Es ist zu fragen, ob die Menschen hierzulande wirklich so wenig über die Kolonialzeit wissen, dass sie ausgerechnet diesen beschämenden Tiefpunkt der Geschichte Europas in Bezug auf Afrika, Asien und Südamerika mit Humor verbinden. Die heitere Gelassenheit, die gemeint ist, wenn von Humor die Rede ist, steht in krassem Gegensatz zu der Tatsache, dass die Kolonialherrschaft zwischen den 1880er Jahren und dem ersten Weltkrieg auf der Grundlage rassistischer, entmenschlichender Lehren erwuchs. Hier wird auch ignoriert, dass in dieser Epoche ein defizitäres Menschenbild etabliert wurde, das einen ganzen Kontinent in eine koloniale Identität festsetzte. Die Afrikaner*innen müssen mit dieser Identität heute leben. Eine Identität jedoch, in der Trauer, Wut und Verbitterung tief verankert sind und die eine Entfaltung positiver Zukunftsperspektiven schwer machen. Bei einem Humor, in dem dieser Abschnitt der Geschichte von Europäern thematisiert wird, fällt es den dargestellten Afrikaner*innen schwer, mitzulachen. Und das Mimen kolonialer Inhalte am Karneval weckt unvermittelt den Eindruck, dass man als Afrikaner*in von denen ausgelacht wird, die einem die koloniale Identität aufgedrückt haben.

Der Humor ist sicher ein elementares Bedürfnis des Menschen. Ihm werden positive psychologische Eigenschaften zugeschrieben. So kann er individuell in Krisensituationen strategisch wirken und die Widerstandskraft erhöhen. Auch sozial lassen sich verkorkste Situationen mit Hilfe des Humors lösen. Verständnis und Verständigung werden wieder in Gang gesetzt. Gleichwohl scheint der Humor ein rahmenloses Terrain zu sein, da klare ethische Normen kaum ausgemacht werden können. Genau diese Tatsache zwingt uns dazu, unseren Humor immer wieder zu hinterfragen. Finden sich Respekt und Empathie nicht, wenn wir andere mimen, dann hat unser Humor seine soziale Funktion verloren. Ob er dann noch gute Dienste leistet ist sehr fraglich.

Sendungen von Pfarrer Jean-Félix Belinga Belinga