Predigt zum Nachlesen
„We shall overcome“ haben wir gerade gesungen. Wir werden überwinden. Vor uns haben es Menschen gesungen, die unterdrückt wurden, unfrei waren, zu Menschen zweiter Klasse gemacht. Frauen auf Tabakfeldern in den USA. Schwarze, die für ihre Rechte stritten.
In der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wurde es zu der Friedenshymne schlechthin. Joan Baez hat es nach der Amtseinführung von Barak Obama im Weißen Haus gesungen. Aber auch Apartheid-Gegner in Südafrika haben es zu ihrem Lied gemacht und sich damit ermutigt: „We shall overcome“: Der Kampf für den Frieden und für Menschen-rechte wird nicht vergeblich sein! Es lohnt den Einsatz. Wir halten zusammen. Das Unrecht wird den Sieg nicht behalten.
Und genau zu Menschen mit dieser Hoffnung sagt Jesus: „Glücklich, selig seid ihr!“
Er steht auf ihrer Seite. Sie werden in seinem Reich willkommen geheißen:
Die nach Frieden und Gerechtigkeit dürsten.
Die in dieser Welt nichts gelten.
Die sich gewaltlos wehren.
Die Erbarmen haben mit Menschen in Not und sich für ihre Rechte einsetzten.
Die schwach sind und wissen, dass sie Gott brauchen.
Die jetzt traurig sind und leiden und hoffen.
Sie werden von Gott getröstet werden.
„We shall overcome“. Lieder haben zu allen Zeiten Mut gemacht. Hoffnungslieder. Auch in der Bibel finden wir solche Lieder. Psalmen sind gesungene Gebete. Lieder, in denen sich Menschen nach Gott ausstrecken.
Eine solche Hoffnungshymne ist Psalm 85. Hier betet ein Mensch und bittet Gott um Gnade und Hilfe. Und er nimmt sich selber vor, sich für den Frieden einzusetzen. Ich lese die Verse 9-12 aus Psalm 85:
9 Könnte ich doch hören, was Gott der Herr redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, auf dass sie nicht in Torheit geraten. 10 Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne; 11 dass Güte und Treue einander begegnen,Gerechtigkeit und Frieden sich küssen;12 dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue.
Liebe Gemeinde,
Gott verspricht seinem Volk Frieden. Er hat es ihm schon zugesagt. Seine Hilfe ist nahe denen, die auf ihn hören. Gott will seine Menschen auf Spuren des Friedens stellen. Unsere Sehnsucht nach Frieden ist auch seine Sehnsucht.
„Könnte ich doch hören, was Gott der Herr redet!“ hat Martin Luther übersetzt. Das klingt wie ein Seufzer. Und ich kann es nachempfinden. Wie oft höre ich, was Gott redet, aber ich schaffe es nicht, es mit dem Herzen zu hören. Was ich von ihm höre, was ich von ihm weiß, das wird kein Teil von mir. Ich bin nicht immer ein Friedensstifter.
Gott ist barmherzig, unendlich geduldig, er ist treu. Ich bleibe dahinter zurück. Ich kann auch zurückschlagen. Verletzt reagieren. Mich zurückziehen oder mit Worten schlagen. Mich wehren auf nicht angemessene Weise.
Ich glaube, etwas davon verstanden zu haben, was Liebe ist und Gerechtigkeit. Bei Gott kann man das lernen. Man muss nur auf ihn achten. Aber ich liebe nicht immer wie er. Ich reagiere nicht immer gerecht. „Ach könnte ich doch hören, was Gott der Herr redet!“ Ich kann diesen Seufzer nachempfinden.
Neuere Bibelübersetzungen aber übersetzen den Satz anders. Im Indikativ: „Ich will hören, was Gott der Herr redet!“ Das heißt: Ich will nicht aufgeben, auch wenn ich selber immer wieder scheitere. Ich will mir diesen Frieden von Gott zusagen lassen und ich will mich für den Frieden einsetzten. Im Kleinen, ganz Persönlichen, und im Großen.
„Damit wir nicht wieder in Torheit geraten!“ Das ist das Ziel in Psalm 85. Denn es ist eine Torheit, zurückzuschlagen. Es ist dumm, den eigenen Blick nur auf das zu richten, wo mir vermeintlich Unrecht getan wurde. Es ist dumm, Konflikte zu verschärfen. Es ist ein trauriger Irrtum, wenn Regierungen meinen, mit Gewalt Frieden herstellen zu können. Gott will uns bewahren vor solchen Torheiten. „Ich will hören, was Gott zu sagen hat.“
„We shall overcome.“ Menschen, die sich für den Frieden einsetzen, kämpfen immer auch für Freiheit und für gleiche Rechte für alle Menschen. Das hängt zusammen. Es gibt das eine nicht ohne das andere. Das weiß auch der Sänger von Psalm 85: Frieden ist da, wo Güte und Treue einander begegnen und wo Gerechtigkeit und Frieden sich küssen.
MUSIKBRÜCKE
Wie zwei Liebespaare, die nicht ohne einander können, werden diese vier beschrieben: Wo Güte und Treue Hand in Hand gehen und Gerechtigkeit und Frieden sich küssen, da lebt der Frieden, den Gott uns schenken will.
Güte und Treue: Gütig sind Menschen, die anderen freundlich begegnen, andere achten, bereit sind, ihnen Gutes zu tun.
Treu sind Menschen, die zuverlässig sind, die sich an Regeln und Absprachen halten. Dadurch sind sie berechenbar. Man kann sich auf sie verlassen. Aber auch die Menschen sind treu, die andere nicht aufgeben, wenn sie ihr Wort nicht halten. Sie setzen sich weiter für ein gutes Miteinander ein, auch wenn der andere sich als ein schwieriger Partner zeigt. Gütig und treu sind Menschen, die nicht aufrechnen und nicht zurückschlagen.
Gerechtigkeit und Frieden, das zweite Paar: Ohne Gerechtigkeit kein Frieden. Gerechtigkeit in der Bibel meint das soziale Miteinander. Das Leben so regeln, dass man den Bedürfnissen jedes Einzelnen gerecht wird, dass jeder bekommt, was er zum Leben braucht.
Wo es gerecht zugeht, setzen die Stärkeren, die Reichen oder Klügeren ihre Interessen nicht auf Kosten anderer durch. Schwache werden geschützt. Sie können am Leben und an der Gesellschaft teilhaben.
Wo es gerecht zugeht, kommt der Einzelne in den Blick mit dem, was er braucht. In der Familie, im Betrieb, in der Kirchengemeinde. Auch im gesellschaftlichen Miteinander: Kinder brauchen etwas anderes als Senioren. Menschen mit Behinderungen, mit Einschränkungen, brauchen unterschiedliche Hilfen. Es ist ihr Recht, diese zu bekommen.
Gerecht zu leben kann beim Einkaufen anfangen. Fair einkaufen. Darauf achten, wie Konsumwaren hergestellt werden. Nicht nur bei Sonderangeboten zuschlagen, sondern Wert legen auf faire Bedingungen bei der Produktion und beim Lohn der Arbeiter.
Wer sich für Gerechtigkeit einsetzt, der setzt sich für den Frieden ein.
Frieden ist nie nur das Schweigen von Waffen. Das ist Waffenstillstand. Aber da weiß man nicht, ob man dem anderen trauen kann. Man hat keine positive Beziehung aufgebaut. Wer mich nicht angreift, der muss noch lange nicht für mich sein, mich achten, Gutes für mich wollen oder sich an Absprachen halten.
Wo Frieden wachsen soll, müssen Menschen sich vertrauen. Wahrer Frieden ist immer eine geheilte Beziehung. Das meint übrigens auch das hebräische Wort für Frieden: Schalom. Schalom ist ein umfassend geheiltes Miteinander. Alle Menschen sind füreinander.
Schalom meint weniger den Gegensatz zu Krieg. Schalom ist der Gegensatz zu Neid, zu Egoismus, Selbstbehauptung auf Kosten anderer. Schalom ist ein geheiltes Miteinander. Darunter ist echter Frieden nicht zu haben.
Wer sagt „Deutschland zuerst“ – oder welches Land auch immer „first“ – und damit meint „Wir setzen unsere Interessen durch, koste es andere Menschen und Völker was es wolle; wir sind die Größten und wollen es bleiben!“, wer so redet und agiert, der setzt den Frieden aufs Spiel. Er will gegen andere groß sein. Er verlässt das Miteinander.
Frieden braucht Gerechtigkeit. Man kann ihn nicht herstellen mit Gewalt, indem man droht oder einander erpresst. Wo der Frieden brüchig geworden ist, muss Vertrauen wieder hergestellt werden, das “Klima“ untereinander.
Ich finde es sehr gelungen, dass die ökumenische Friedensdekade in diesem Jahr unter dem Motto „Friedensklima“ steht. Frieden braucht ein Klima, das von Güte, Treue und Gerechtigkeit geprägt ist. Und Frieden in der Welt wird zukünftig viel stärker auch Klimagerechtigkeit brauchen.
Viele Wissenschaftler und warnen vor Klimakriegen: Der Klimawandel ist längst nicht mehr nur eine ökologische Herausforderung. Er ist auch eine Frage von Krieg und Frieden.
Schon jetzt hungern Menschen in Afrika. Künftige Trockenzeiten werden immer mehr Menschen zwingen, aus ihren Länder zu fliehen. Die mächtigen reichen Nationen zerstören das Klima. Sie hätten das Knowhow und die Möglichkeiten, den CO2-Ausstoß oder den Plastikkonsum zu drosseln. Arme Länder aber ohne Macht, sie müssen die Folgen des Klimawandels schon jetzt bezahlen. Das ist ungerecht. Der Frieden braucht auch Klimagerechtigkeit.
„We shall overcome.“ Wir werden überwinden! Wer glaubt das noch? Ist die Welt noch zu retten? Ich wünsche mir, dass wir Christen dieses Lied mitsingen und uns mit einsetzen für Frieden, Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit auf unserer Erde. Dass wir uns entscheiden: „Ich will hören, was Gott zu sagen hat!“
Gott will diese Welt retten. Das vollendete Friedensreich bleibt sein Versprechen. Wir werden es nicht vollenden. Er wird ihn einmal schenken: Umfassenden Frieden. Schalom. Wer aber auf Gott hört, der lässt sich seinen Frieden heute zusagen und der wird heute schon ein Friedensstifter. Amen.
Es gilt das gesprochene Wort.