Morgenandacht
Mahlzeit!
14.11.2016 05:35

Zu den anrührendsten Erlebnissen im Krankenhaus gehört das Abendmahl mit Patienten. Direkt am Bett der Patienten, abends um 10 Uhr, oder, wie mit einer Patientin der Psychiatrie, in einem winzigen Zimmer, einer Abstellkammer, mit spärlicher Möblierung: zwei Stühle und als Tisch ein umgedrehter Pappkarton. Die Patientin nahm ihr schönes Seidenhalstuch, um es als Decke darüber zu legen. Eine winzige Blume fand sich auch noch. So feierten wir das Abendmahl, mit Brot und Traubensaft. Und dem Wort: das tut zu meinem Gedächtnis.

 

Warum so anrührend? Weil man deutlich spürt: diese Worte sagt Jesus zu uns Menschen, wo immer wir gerade sind. Er gibt damit ein Zeichen für alle, die fühlen wollen: Gott ist da und vergibt uns. Abendmahl im Krankenhaus rührt an, weil es zeigt, dass Gott wirklich überall ist, auch in der Abstellkammer der Klinik, auch im Krankenzimmer zwischen Infusionsschläuchen.

 

Beim Abendmahl mit Patienten spüre ich: es gibt noch einen anderen Hunger als den auf Pizza und Schnitzel. Wenn Patienten sterbenskrank sind, wollen sie oft nicht mehr essen, und trinken. Die Angehörigen reagieren in der Regel entsetzt und fragen die Schwestern: Wollen Sie ihn verhungern lassen? Aber das Essen und Trinken bereitet Sterbenden oft nur noch Qual. Für dieses Leben brauchen sie kein Mittagessen mehr. Sie hungern, wie wenn sie wüssten, dass es bald etwas Besseres gibt als das, womit Menschen sich hier normalerweise ernähren. Sterbende wünschen allenfalls noch eine Seelenspeise wie das Abendmahl. Essen und Trinken zu Jesu Gedächtnis.

Traurig ist, dass Jesu einfache Worte: „Nehmt hin und esst, das ist mein Leib...“ so viel Streit in der Geschichte seiner Kirche hervorgerufen haben. Das kann Jesus nicht gewollt haben.

 

Schon im 9. Jahrhundert waren sich die Christen uneins über die Fragen: Sind Brot und Wein Zeichen für Leib und Blut Christi, oder findet wirklich eine Wandlung statt? Ist der Kelch nur für Kleriker bestimmt? Und wer darf das Abendmahl austeilen?

 

1215 wurde die Wesensverwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut zum Dogma erhoben. Dahinter steckten komplizierte theologische Überlegungen. Seit dem 12. Jahrhundert gab es den Kelch nur noch für die Kleriker, nicht mehr für die Laien. Das hat die Reformation geändert, aber auch die Protestanten stritten sich. Die Reformierten sehen in Brot und Wein Zeichen, die an Christus erinnern. Brot bedeutet Leib, ist es aber nicht, so sah Zwingli das Abendmahl, während Calvin betont, dass Christus im Zeichen von Brot und Wein wirklich gegenwärtig ist. Luther selbst glaubte an die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl. Er war überzeugt davon: So wie Christus Gott und Mensch zugleich ist, so sind Brot und Wein im Abendmahl zugleich Leib und Blut. So heißt es dann im Augsburger Bekenntnis: „Vom Abendmahl des Herrn wird gelehrt, dass der wahre Leib und das wahre Blut Christi unter der Gestalt des Brotes und Weines im Abendmahl wahrhaftig gegenwärtig sind...“

 

Der Streit ist unangemessen: Da lädt Jesus ein, zu essen, zu trinken und an ihn zu denken – und die Christen rätseln, wie die Speise beschaffen sein mag und mäkeln herum, wenn sie das Abendmahl nicht von einer bestimmten Person gereicht bekommen. Aber ich hoffe, Gott wird uns Christen sogar die Abendmahlsstreitereien vergeben.

 

„Mögen die christlichen Theologen“, notiert Heinrich Heine, „sich noch so sehr streiten über die Bedeutung des Abendmahls; über die Bedeutung des Mittagsmahls sind die ganz einig.“ Vielleicht werden sich in ferner Zukunft auch die Theologen einmal einig über die Bedeutung des Abendmahls sein. Die Patienten in der Klinik wissen jetzt schon, dass es nährt und stärkt und hilft zu glauben.