Einen Muslim könnte man an seiner Gebetskette erkennen, einen frommen Juden an der Kippa. Und eine Christin?
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"Ich will ein Zeichen setzen gegen den Islamismus!" Vor mir sitzt ein Mann, so Mitte 50 und will wieder in die Kirche eintreten. Und das ist seine Motivation: "Ein Zeichen gegen den Islamismus!" Das habe ich so bisher noch nicht gehört. Menschen treten ein, weil sie wieder mehr an Gott glauben oder weil sie ihr Kind taufen lassen möchten. Aber dass jemand wieder zur Kirche gehören will sozusagen in Abgrenzung, das kannte ich noch nicht. Der Mann sagt, er will zeigen, dass er gegen eine radikale Ausprägung des Islam ist, die er als Bedrohung empfindet. Und deswegen will er wieder zur evangelischen Kirche dazugehören, um die Kirche zu stärken und um zu zeigen, dass er Christ ist und Deutschland ein christliches Land.
Was das wohl konkret für ihn heißt? Wird der Mann seinem türkischen Kollegen gleich erzählen, dass er jetzt wieder dabei ist, bei der Kirche? Wird er sich engagieren in seiner Kirchengemeinde? Wird er anregen, die islamische Nachbargemeinde zu besuchen, um die Menschen dort kennenzulernen und zu hören, wie sie ihren Glauben leben? Wenn ich so über die Begegnung nachdenke, dann kommt bei mir die Frage auf: Woran erkenne ich eigentlich, dass jemand Christ ist? An der Kirchenmitgliedschaft? Offensichtlich ist das für den Mann ja so. Andere würden da ihre Zweifel anmelden und sagen: Ich kann auch gut ohne Kirche Christ sein. Ja, mag sein, aber das ist auch noch keine Antwort auf die Frage: Woran erkenne ich, dass jemand Christ ist?
Vielleicht am Kreuz um den Hals. Aber das ist schon lange ein modisches Accessoire geworden. Oder an dem Fisch-Aufkleber hinten am Auto, weil der Fisch ein uraltes Geheimzeichen unter Christen ist. Naja, eben Geheimzeichen, kennt nicht jeder. Einen Muslim könnte ich an der Gebetskette in der Hand erkennen, eine Muslima am Kopftuch. Einen frommen Juden an der Kippa auf dem Kopf, einen indischen Sikh daran, dass er die Haare lang wachsen lässt und einen Turban trägt. Schöne äußere Zeichen, mit denen jemand sagt: "Schau her, ich bin gläubig. Gott und meine Religion und wie ich lebe sind mir wichtig." Aber genauso gibt es in allen Religionen Gläubige, die eben kein äußerliches Erkennungszeichen tragen. Und sie sind genauso fromm.
Jesus sagt in der Bergpredigt: "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen" (Matthäus 7,16) – an dem, was jemand hervorbringt. Und wenn diese "Früchte" Hass und Mord sind, dann sind es laut Jesus falsche Propheten, "die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe" (Matthäus 7,15). Menschen also, die etwas verkünden, was Zwietracht sät, was Menschen Angst macht, was sie klein hält. Was Menschen verführt zu einem schnellen Urteil, was sie dazu bringt, sich abzuwenden, weil man selber alles ja viel besser weiß. Weil man sich selbst zum Maßstab für andere macht.
Ja, woran kann man denn nun einen Christen erkennen? Bei meinem Christsein ist mir wichtig, dass ich die Quelle meines Glaubens kenne, die Bibel, die Gemeinschaft mit anderen Christen, die christliche Tradition, ihre Geschichten und ihre Lieder. Ich spreche anderen gegenüber davon, welches Vertrauen in Gott mich trägt. Ich möchte Kontur haben. Und zugleich beanspruche ich nicht, dass meine Art zu glauben der Weisheit letzter Schluss ist. Gott ist größer als meine Vorstellungen von ihm – oder ihr! Das erleichtert mich ungemein, ich muss Gott nicht beweisen, nicht alles wissen. Als Christin kann ich mir die Freiheit nehmen, mich und meine Art zu glauben, nicht absolut zu setzen, sondern neben mir auch die anderen wahrzunehmen, die anderen Lebensentwürfe, die anderen Religionen, die anderen Wahrheiten und Hoffnungen.
Ich bin eine unter vielen. Mein Glaube ist einer unter vielen, wenn auch für mich einzigartig kostbar. Und das macht mich frei, die Menschen im anderen Glauben als meine Geschwister zu sehen, als Menschen wie mich und gleichzeitig ganz anders als ich. Das ist für mich ein Zeichen für meinen christlichen Glauben, zum anderen hingehen und mit ehrlichem Interesse zu fragen: "An was glaubst du?"
Es gilt das gesprochene Wort.
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