gemeinfrei via unsplash / DDP
Entfeindung
Feindesliebe im Praxistest
25.03.2025 06:35
Die andere Wange hinhalten, empfiehlt Jesus. Unsere Autorin überlegt, ob und wie sie das kann. 

Sendung nachlesen:

"Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halt ihm auch die linke hin." Aua! Das ist einer der heftigsten Sätze aus der Bibel. Auch nach über 2000 Jahren provoziert er noch. Warum sollte ich das machen? Warum sollte ich nicht zurückschlagen? Warum sollte ich auf den Hass-Post keine deftige Antwort setzen? Warum sollte ich dem Fahrer, der mir die Vorfahrt genommen hat, nicht den Stinkefinger zeigen?!

"Entfeindung" heißt das Stichwort. Der jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide hat dieses Wort erfunden: Entfeindung.

1922 in Wien geboren, wurde Lapide als 16-Jähriger von den Nazis ins Konzentrationslager gebracht. Er konnte fliehen und schaffte es nach Palästina. Er kämpft in der British Army gegen die Nazis. In den 1970er Jahren kommt er nach Deutschland und wird einer der wichtigsten Brückenbauer bei der Verständigung zwischen Juden und Christen nach dem Holocaust.

Einer, der zum Opfer gemacht worden war, im Land der Täter. Einer, der, nur weil er Jude war, zum Feind gemacht wurde und der mit den Alliierten gegen den deutschen Feind gekämpft hat, setzt sich ein für Annäherung und Versöhnung. Lapide studiert die Bergpredigt von Jesus und formuliert: "Die Entfeindung bekämpft die Feindschaft – aber nicht den Feind."

Ich will ernst nehmen, was in der Bergpredigt steht. Ich will reden über diese Möglichkeit, mit Provokation und Gewalt umzugehen: die andere Wange hinhalten. Wie bekämpfe ich die Feindschaft und nicht den "Feind", meinen Mitmenschen?

Bei einer Demo Anfang des Jahres gegen Rechtsextremismus und für Demokratie wurde von der Bühne skandiert: "Ganz Nürnberg hasst die AfD!" Tausende Menschen haben mitgebrüllt. Ein Gefühl von: Hier sind wir, die Guten, da sind die Bösen, da ist der Feind. Eine Freundin neben mir sagte: "Das gefällt mir nicht. Ich will nicht hassen." Das hat nicht nur sie so empfunden. Auf folgenden Demos gab es diesen Slogan nicht mehr.

Nicht hassen. Jesus geht in der Bergpredigt sogar noch weiter. Er sagt: "Liebt eure Feinde." (Matthäus 5,44) Es ist ja schon nicht immer leicht, die nächsten Menschen zu lieben, die Mutter, die den Sohn lebenslang nicht ernst nimmt, den Mann, der jeden Schritt seiner Frau kontrolliert.

Meine Feinde lieben. Ich spüre, dass es dabei um meine Angst geht. Angst vor dem anderen, dem Fremden, das ich nicht kenne. Angst vor Auseinandersetzung. Angst vor anderen Verhaltensweisen, anderen Kulturen.

Ich vermute, ich muss mir meine Angst anschauen: Wo ist sie begründet, wo nicht? Zur Entfeindung gehört der Mut, offen zu sein und mich auf mein Gegenüber einzulassen. Ich handele als Mensch gegenüber einem Menschen. Wir sind verschieden. Wir kommen aus verschiedenen Ländern, aus verschiedenen Kulturen. Wir sprechen verschiedene Sprachen. Aber wir haben eine gemeinsame menschliche Erfahrung, die wir uns erzählen und die wir achten können.

Ob das zwischen zwei verfeindeten Staaten funktioniert, weiß ich nicht. Aber in meinem Umfeld versuche ich, nicht in dem Freund-Feind-Denken gefangen zu bleiben.

"Denn Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte", sagt Jesus. Was mir so schwerfällt, ist bei Gott möglich: die Überwindung der Trennung zwischen "Wir" und "Die". Denn wir alle sind Teil von Gottes Schöpfung. Ich bin nicht besser, die andere ist einfach nur anders. Dieser Gedanke bewirkt etwas in mir. Entfeindung fängt in meinem Herzen an.

Es gilt das gesprochene Wort.

Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage! 

Morgenandacht