Selbstverständlich von seiner Religion erzählen zu können, ist eine demokratische Errungenschaft.
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Wenn ich im Urlaub Leute kennenlerne, dann erzähle ich manchmal nicht gern, dass ich Pfarrerin bin. Die Frage kommt ja irgendwann, wenn man abends so beieinander sitzt auf dem Campingplatz: "Und, was machen Sie beruflich?!" In meiner Fantasie sage ich dann: "Ich bin in einer Werbeagentur."
Ich schäme mich ein bisschen für diesen Gedanken. Sich schämen ist unangenehm, das kennen wir alle. Man kann sich für vieles schämen: wenn man stolpert, dass man dick ist, dass man alt ist, dass man etwas nicht kann. Scham macht einen so passiv. Und die Scham tritt immer dann auf, wenn andere dabei sind. Wenn ich beim Aussteigen aus der Straßenbahn stolpere und andere das sehen. Wenn ich vergesslich werde und nicht mehr weiß, dass ich die Geschichte vor zehn Minuten schon erzählt habe.
Ja, man kann sich für vieles schämen – auch dafür, Christin zu sein. Auch diese Scham kommt dann zum Vorschein, wenn man andere trifft: "Was, du gehst sonntags in die Kirche?!" - "Du glaubst an Gott? Ist ja total altmodisch! Geh doch lieber zum Yoga, da hast du wenigstens was davon!"
Wegen solcher Sätze überlege ich manchmal, gar nicht zu erzählen, dass ich Christin bin und sogar Pfarrerin. Weil sie einem nahelegen, Glaube sei etwas, wofür man sich schämen muss. Der Apostel Paulus in der Bibel sieht das ganz anders. Er schreibt: "Zum Evangelium bekenne ich mich offen und ohne mich zu schämen, denn das Evangelium ist die Kraft Gottes, die allen, die glauben, Rettung bringt." (Römer 1,16)
Paulus schreibt das an die christliche Gemeinde in Rom. Die Christen waren damals um 55 nach Christi Geburt eine kleine Minderheit. Den anderen waren sie suspekt und ein beliebter Sündenbock für alle möglichen Missstände. Für jemanden damals in Rom war es lebensgefährlich, wenn er oder sie auf der Straße angesprochen wurde: "Sag mal, ich hab dich doch bei dieser neuen Versammlung gesehen, wie heißen die? Christen, oder? Ist das nicht verboten?" Da sagt man dann eher aus Angst denn aus Scham: "Ich doch nicht!"
Trotzdem sagt Paulus: "Ich bekenne mich zu Jesus Christus und schäme mich nicht. Denn das Evangelium ist eine Kraft Gottes." In der Situation damals hat Paulus diese Kraft und diesen Mut. Er schämt sich nicht zu sagen: Ich gehöre zu diesem Jesus Christus, der jämmerlich am Kreuz gestorben ist, diesem Gescheiterten. Ich glaube, dass Gott ihn vom Tod auferweckt hat. Der am Kreuz hängt, ist Gottes Sohn und leidet mit den Gescheiterten, mit den Leidenden, mit den Outsidern, mit denen, die sich dafür schämen, was sie sind oder nicht, was sie haben oder nicht, was sie können oder nicht.
Wenn ein Paulus damals sich nicht geschämt hat, sich zu Christus zu bekennen, dann brauche ich es erst recht nicht. Niemand muss heutzutage seinen Glauben verstecken. Jede und jeder hat die Freiheit, eine Religion zu haben und sie ungestört auszuüben. Und auch die Freiheit, keine Religion zu haben. Mir macht das klar, was für ein hohes Gut die Religionsfreiheit ist, die wir haben in Deutschland und in Europa.
Also: Keine falsche Scham! Das nehme ich mir zu Herzen. Und ich habe bei Urlaubsgesprächen höchstens kurz mit dem Gedanken gespielt zu verschweigen, was ich beruflich mache. Ich habe immer erzählt, dass ich Pfarrerin bin. Die bin ich gern, denn ich arbeite gern daran mit, dass Menschen so liebevoll angenommen werden, wie Jesus Christus das getan hat. Dass Menschen die Kraft entdecken, die ihnen hilft.
Ich schäme mich nicht, Christin zu sein. Ich schäme mich nicht für das Evangelium von Jesus Christus. Weil ich glaube: Es gibt eine neue Perspektive auf das Leben und das Miteinander. Jesus hat eine geradezu un-verschämte Freiheit vorgelebt und damit einen Freiraum aufgemacht, in dem jede einzelne Lebensgeschichte wertvoll und erzählenswert ist. Niemand muss sich für irgendwas schämen.
Es gilt das gesprochene Wort.
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