Gedanken zur Woche
Christliche Leitkultur fängt bei den Füßen an
05.05.2017 06:35

Der Lehrer geht vor seinen erwachsenen Schülern auf die Knie. Neben ihm steht eine Schüssel. Er gießt Wasser rein. Dann nimmt er die Füße des ersten Schülers und zieht ihm die Schuhe aus. Er wäscht ihm die Füße, dann dem nächsten Schüler, allen reihum, einem nach dem anderen. Einige finden das peinlich. Einer widerspricht: Das geht doch nicht, der Lehrer tut sowas doch nicht für seine Schüler! Doch der bleibt dabei. Unter den Schülern ist auch einer, der wird den Lehrer später verraten. Der Lehrer weiß das. Er wäscht ihm trotzdem die Füße. Zum Schluss sagt er zu seinen Schülern: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben. Tut für andere, was ich für euch getan habe.“ (Johannes 13,15)

 

Diese Geschichte steht in der Bibel. Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße. Die Jünger nennen Jesus ihren Rabbi, also ihren Lehrer und Meister. Dieser Meister geht vor ihnen auf die Knie und tut für sie das, was damals sonst nur Sklaven tun oder ein Schüler für seinen Lehrer als Zeichen der Hochachtung. Diese Geschichte über den jüdischen Rabbi Jesus gehört zum weltweiten Christentum. Sie gehört zum christlichen Abendland. Das Beispiel, das Jesus damals seinen Jüngern gegeben hat, prägt und leitet bis heute Menschen auch in Europa und Deutschland.

 

Was leitet uns? Was prägt uns? Das hat in dieser Woche der Bundesinnenminister Thomas de Maizière gefragt. Er hat in einer Zeitung zehn Thesen aufgestellt und lädt damit vor den anstehenden Wahlen zu einer Diskussion ein über eine Leitkultur für Deutschland. Thomas de Maizière spricht in seinen zehn Thesen auch die Religion an. Er schreibt: „In unserem Land ist Religion Kitt und nicht Keil der Gesellschaft.“ Er nennt Kirche, Synagoge und Moschee und beschreibt, was die Kirchen für diesen Kitt in der Gesellschaft tun. Der Innenminister hält fest: „Unser Staat ist weltanschaulich neutral, aber den Kirchen und Religionsgemeinschaften freundlich zugewandt.“ Und er schreibt weiter: „Unser Land ist christlich geprägt. Wir leben im religiösen Frieden.“ Das gehört aus der Sicht von Innenminister de Maizière zu einer Leitkultur für Deutschland.

 

Wie prägt denn der christliche Glaube unser Land? Was für eine Leitkultur lässt sich von Jesus Christus lernen, der seinen Jüngern die Füße wäscht?

 

Leitkultur besteht aus zwei Worten: Leiten und Kultur. Leiten heißt bei Jesus: Dienen, den anderen Menschen an erste Stelle setzen. Jesus hat Hochachtung vor jedem einzelnen und macht keine Unterschiede zwischen den Menschen.

 

Und Kultur bedeutet bei Jesus: für den anderen Menschen da sein. Ihm oder ihr Gutes tun. Und das fängt ganz unten an, an der Basis. Jesus wäscht seinen Jüngern nicht den Kopf, sondern die Füße. Er lebt ihnen vor, wie sie selber handeln und leben können.

 

Jesus nimmt dabei in Kauf, dass manche das lächerlich finden oder nichts damit anfangen können. Jesus wäscht sogar seinem Jünger Judas die Füße, der ihn später verraten wird. Wenn ich versuche, mir an Jesus ein Beispiel zu nehmen, dann muss ich auch aushalten, dass das nicht jedem gefällt. Damit muss ich leben.

Wie Jesus sich verhalten hat, das prägt und leitet Christen überall in der Welt und auch in Deutschland. Das ist keine Leitkultur, die man anderen überstülpen kann. Man muss sie selber leben. Sie eignet sich nicht zum Auftrumpfen gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen. Sie eignet sich dafür, im Alltag gelebt zu werden.

 

Jesus stellt den anderen Menschen an die erste Stelle. Das ist eine Leitkultur der Hochachtung vor jedem Menschen. Und Jesus sagt: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben. Tut für andere, was ich für euch getan habe.“

 

Was denken Sie zum Thema Leitkultur? Sie können mit mir bis 8.00 Uhr darüber sprechen unter 030 für Berlin und dann 325 321 344. Ich wiederhole: 030 325 321 344. Oder diskutieren Sie mit auf Facebook unter „deutschlandradio.evangelisch“.