Lange fanden Kriege irgendwo in der Ferne statt. Nun lauert die Angst vor der Haustür, Putin könnte seinen Krieg ausweiten. Aber man sollte dem Schreckgespenst Krieg nicht alle Macht überlassen.
Sendetext lesen:
Jesus und der Krieg – das ist scheinbar kein Thema in der Bibel. Aber wer genauer hinsieht, entdeckt: Die Dämonen des Krieges sind gegenwärtig in den Evangelien. Die Bibelwissenschaft hat sich lange gewundert, warum Jesus mit seinen Jüngern auf einem seltsamen Zickzackkurs durchs Land zieht: von Nord nach Süd, von Ost nach West, zurück in den Norden. Dann biegt er doch ab, Richtung Jerusalem im Süden.
Die Berner Neutestamentlerin Luzia Sutter Rehmann hat diesen Weg des Wanderpredigers Jesus mit den Truppenbewegungen des römischen Militärs verglichen. Wenn man die Kriegsberichte des antiken Geschichtsschreibers Flavius Josephus liest, sagt sie, erkennt man: Jesus ist dem Zickzackkurs des römischen Heeres gefolgt. Er ist immer wieder dorthin gegangen, wo Kreuzigung und Vergewaltigung, Vertreibung und Terror eine Spur der Verwüstung im Land und in den Seelen hinterlassen haben. (1)
Den traumatisierten Menschen ist Jesus beigestanden. Oft kommen in den Heilungsgeschichten Dämonen vor. Das ist die Bildersprache der damaligen Zeit. Vielleicht stehen die Dämonen für das, was Unterdrückung und Krieg mit Menschen machen. Von einem Dämon wird erzählt, dass er den Betroffenen verstummen lässt (Markus 9,14–29; Matthäus 12,22–30; Lukas 11,14-23). Es gibt Schreckenserfahrungen, für die gibt es keine Worte. So wie viele nach dem Zweiten Weltkrieg nicht über das sprechen konnten, was sie getan und erlebt haben.
Die Dämonen des Krieges darf man nicht heraufbeschwören. Aktuell befürchten viele: Putin will den Krieg ausweiten und weitere Länder Europas angreifen. Denen, die vor einem Krieg warnen, unterstelle ich die besten Absichten. Aus großer Sorge pochen sie auf ein Realitätsbewusstsein. Sie wollen vor naivem Wegducken bewahren.
Aber ich befürchte: In einigen Worten wird die Gefahr heraufbeschworen und verstärkt. Mich macht das kirre. Oft heißt es, das ist "unser Krieg". Aber so schrecklich Russlands Krieg gegen die Ukraine ist, noch greift Russland nicht ganz Europa an.
Ich war bei einer Konferenz von Krisenorganisationen. Dort höre ich: "Wir sind nicht mehr im Frieden, sondern in der ersten Phase eines Krieges. Dazu gehören Spionagetätigkeiten, Desinformation, Sabotage von Infrastruktur."
Moment mal, denke ich, gab es diesen dreckigen Hintergrund nicht schon immer? Jetzt verstärkt – aber sind wir deswegen schon in einem Krieg? Realitätssinn – Ja. Aber geht es ein wenig zurückhaltender? Vor allem, wenn man sich öffentlich äußert. Sonst wird man die Geister, die man rief, nicht mehr so leicht los. Es ist klug und verantwortungsvoll, sich vorzubereiten auf einen Fall, der hoffentlich nicht eintritt. Aber es ist etwas Anderes, öffentlich von Kriegsphasen zu reden, wo kein Krieg ist.
In den Sozialen Medien, in Talkshows, in öffentlichen Debatten wird häufig ein Szenario nach dem anderen diskutiert. Das hat nichts mit verantwortungsvoller Vorbereitung zu tun. Abschreckung ist die beste Verteidigung, heißt es. Dem stimme ich zu – solange Abschreckung nicht die einzige Strategie ist. Es braucht zusätzlich alle anderen Möglichkeiten, um Frieden zu schaffen, wo aktuell Krieg herrscht, sowie Krieg zu verhindern und den Frieden zu schützen.
Alles andere Reden macht kirre. Der Ausdruck "kirre machen" bedeutet ursprünglich zähmen, so wie Pferde gezähmt werden. Wilde Tiere zähmen ist schwer. Es kann leicht ins Gegenteil umschlagen, nämlich das Tier verstören, unruhig, nervös machen. ‚Kirre machen‘ wird dann schnell zum ‚irre machen‘.
Ich wünsche mir für unser Reden über Krieg und Frieden mehr von der ursprünglichen Bedeutung: die Worte zähmen. Behutsam sein mit dem, was ich sage, befürchte, androhe. Dem öffentlichen Herbeireden von Krieg ein Zaumzeug anlegen. Auf meine Worte achten. Den Dämonen des Krieges nicht jetzt schon Macht geben und das Sagen überlassen. Mehr von dem tun, was Jesus getan hat: Menschen beistehen in ihren Ängsten und Befürchtungen.
Es gilt das gesprochene Wort.
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