Morgenandacht
Gemeinfrei via Unsplash/ Bend Project
Jona vor Ninive
Morgenandacht von Pfarrer Eberhard Hadem
22.07.2023 06:35

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Die Sendung zum Nachlesen: 

Die Jona-Geschichte der Bibel, letzter Akt. Jona geht endlich nach Ninive, der Wal hat ihn an Land gespuckt. Doch schon bald vergisst Jona wieder, was er im Wal gelernt hat. Eigentlich soll er der bösen Stadt Ninive predigen, was Gott ihm sagen werde, erzählt die Bibel. Dazu müsste Jona aber erst mal Gott zuhören. Darauf hat Jona aber keine Lust. Stattdessen predigt er das, was er selbst von Anfang an den boshaften Menschen von Ninive vor den Latz knallen wollte: Noch 40 Tage und Ninive wird untergehen! Draußen vor der Stadt baut er sich eine Hütte im Schatten. Da sitzt er nun in seinem Grand Hotel ‚Abgrund‘ (1) und hofft auf die befriedigende Bestätigung: Untergang. Aus. Basta.

Es ist zum Verzweifeln mit Jona. Und nun verzweifelt er selbst, weil er schon die Fragen hört, die auf ihn eintrommeln werden: Wo ist denn dein Untergang, Jona, den du angekündigt hast? Nichts davon ist eingetreten. Was für ein unbrauchbarer Prophet bist du? 

Jona weigert sich, das anzuerkennen. Er müsste dazu die Rolle des Narren annehmen, der sich geirrt haben könnte. Er müsste bereit sein, die Rolle des Narren zu spielen, sich höhnisch vorhalten zu lassen: Siehst du, es ja alles nicht so schlimm, wie du behauptest! Sich als Nörgler, Schwarzseher, Nestbeschmutzer, Spinner denunzieren  lassen, ja, Unrecht bekommen zu  w o l l e n, nichts sehnlicher zu wünschen, als dass noch wendbar wäre, was er nur als unwendbar erkennen kann. (2)

Die Rolle des Narren annehmen um Menschen zu retten – das ist ungeheuer schwer. Gern würde ich die Fachleute der Pandemie fragen, wie es ihnen ergangen ist und noch ergeht. Ich möchte die Wissenschaftler fragen, die das Klima erforschen, die Ökologen, die Zukunftsforscher. Nichts ist schlimmer für einen wissenschaftlich denkenden Menschen, als dass sein aktueller Wissensstand für falsche Prophetie gehalten wird, für fake news, mit der nur überzogene Maßnahmen begründet werden sollen. Als müssten erst noch viel mehr Menschen sterben, noch viel heißere Sommer kommen. Wer ist bereit, die Rolle des Narren zu übernehmen? Nicht um einer Wahrheit willen oder um des eigenen Egos willen. Sondern um der Menschen willen?

In der Jona-Geschichte ist es Gott, der sich zum Narren macht. Weil er etwas bereut. Das ist für mich eine wichtige Entdeckung in der Jona-Geschichte. Es sind nur drei Worte, die Gottes Umkehr und Reue auslösen: Wer weiß, vielleicht… sagt der König von Ninive. Vielleicht kehrt Gott um und ihn reut es und er wendet sich ab von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben. Schon erstaunlich, dass die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Ninive handeln und umkehren. Denn das finale Wort Jonas vom Untergang lässt ja eigentlich die Möglichkeit der Umkehr nicht zu. Aber die Menschen in Ninive, ihr König und alle Tiere stimmen mit den Füßen ab und gehen in Sack und Asche, essen und trinken nicht einmal mehr. Und so kommt es zu einer doppelten Umkehr: Auch Gott kehrt um, es reut ihn: Und mich, Gott, sollte Ninive nicht jammern?

Klima und Krieg, Pandemie und Inflation – für viele wirken die Nachrichten wie eine Predigt vom Untergang. Hilft es, wie Jona im Grand Hotel ‚Abgrund‘ sitzenzubleiben? Im Theater verlasse ich den Zuschauerraum, wenn das Stück zu Ende ist. Bei der Jona-Geschichte bin ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt im Zuschauerraum gesessen bin. Oder nicht doch die ganze Zeit mit auf der Bühne stand.

Das Jona-Buch ist das einzige Buch der Bibel, das mit einer offenen Frage endet. Also gilt die Frage Gottes auch mir: Sollten mir die Menschen nicht am Herzen liegen, dazu auch viele Tiere? Oder anders gesagt: Glaubst du, dass dies die alles umfassende Wahrheit ist: Dass ich, Gott, Liebe und Erbarmen bin?

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Literaturangaben:

  1.  Der Begriff stammt von Georg Lukács, The Grand Hotel ‚Abgrund‘ (1933) in: F. Benseler (Hg.), Revolutionäres Denken: Georg Lukács. Darmstadt / Neuwied 1984, 179 – 196
  2. Jürgen Ebach. Kassandra und Jona. Gegen die Macht des Schicksals. Athenäum-Verlag Frankfurt 1987, Seite 93