Morgenandacht
Gemeinfrei via Unsplash/ Mick Haupt
„Nie wieder!“ ist jetzt
Morgenandacht von Pfarrer Martin Vorländer
09.11.2023 05:35

Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage! 

Die Sendung zum Nachlesen: 

„Nie wieder Antisemitismus!“ Diese drei Worte gehören zum Gedenken an die Novemberpogrome. Heute vor 85 Jahren haben die Nazis und ihre Schergen Synagogen in Deutschland niedergebrannt und die Geschäfte von Juden geplündert. Sie sind in ihre Wohnungen eingebrochen, haben sie geschlagen, an Ort und Stelle getötet oder verschleppt.

Zum Gedenken an die Novemberpogrome von 1938 gehört in diesem Jahr der Satz: „Nie wieder ist jetzt.“ Seitdem die Hamas Israel angegriffen hat, gibt es wieder verstärkt antisemitische Parolen auf den Straßen in Deutschland. Jüdinnen und Juden werden bedroht. Synagogen und jüdische Einrichtungen müssen noch mehr von der Polizei geschützt werden als sonst schon. Umso wichtiger ist jedes Zeichen der Solidarität mit Jüdinnen und Juden. Wir stehen zusammen. Ohne „Ja, aber“.

Nie wieder Antisemitismus! Zu dem „Nie wieder!“ gehört die Erinnerung daran, dass Christen durch die Jahrhunderte hindurch zum Hass gegen Jüdinnen und Juden beigetragen und ihn sogar geschürt haben. Das Christentum hat eine lange, böse Geschichte, in der es den jüdischen Glauben heruntergemacht hat.

Ansatzpunkte für ein hässlich verzerrtes Bild gibt es bereits im Neuen Testament. Da werden Jüdinnen und Juden „Kinder des Teufels“ genannt.(1) Sie sind Symbolfiguren für die finstere Welt, die Jesus und sein Wort nicht aufnimmt.

Aber hier schreiben Juden über Juden. Denn die Autoren des Neuen Testaments waren selbst Juden. Juden, die glaubten, dass Jesus der Messias und Sohn Gottes ist. Das Christentum war damals keine eigene Religion, sondern eine Bewegung innerhalb des Judentums. Eine Minderheit, die jedoch von den anderen immer mehr abgelehnt wurde. Die Synagoge und die Kirche trennten sich. Das Christentum stieg im Römischen Reich zur privilegierten Religion auf und schaute mit Verachtung auf das Judentum herab, seine eigene Wurzel.

Teil der Geschichte meiner evangelischen Kirche ist der Judenhass Martin Luthers. Am Anfang der Reformation hatte Luther die Hoffnung: Wenn das Christentum erst einmal von allen Missständen befreit ist, dann werden auch Jüdinnen und Juden in Jesus den Messias erkennen und sich zum christlichen Glauben bekehren.

Aber das taten sie nicht. Es kam zu keiner Bekehrungswelle. Luther war davon bitter enttäuscht. Er zeigte in seinen Schriften von da an unverhohlen, was er immer schon gedacht hat: dass Jüdinnen und Juden in seinen Augen verstockt sind und von Gott verworfen. Er schreckte nicht davor zurück, zur Gewalt gegen sie aufzurufen.

Ich bin froh, dass die Evangelische Kirche in Deutschland sich mit diesem dunklen Kapitel auseinandergesetzt hat und Luthers Schriften gegen Juden als schreckliche Irrlehre verworfen hat.

Die Herabsetzung des jüdischen Glaubens schleicht sich bis heute ein. Immer noch gibt es das Bild: Das Alte Testament habe einen finsteren, rachesüchtigen Gott. Im Neuen Testament dagegen gehe es um Liebe und Frieden. In Wirklichkeit gibt es finstere und helle Stellen in beiden Teilen der Bibel.

Wir sprechen oft von der „christlichen Nächstenliebe“. Dabei steht das Gebot, Gott zu lieben und den Nächsten wie sich selbst, im Alten Testament. Es ist also die jüdische Nächstenliebe, die der Jude Jesus zitiert und danach gelebt hat.

Ich gehe heute Abend zu einem Gedenkort an die Novemberpogrome, zum Südbahnhof in Frankfurt am Main. Von hier aus fuhren die ersten Züge, mit denen die Nazis 1938 Frankfurter jüdische Bürger in die Konzentrationslager verschleppt haben. Die evangelische Kirchengemeinde, zu der ich gehöre, erinnert dort heute Abend daran. Zu ihrem Gedenken gehört die Aufrichtigkeit, dass Christen zum Hass gegen Jüdinnen und Juden beigetragen und mitgemacht haben. Nie wieder!

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Literatur dieser Sendung:

  1. Johannes 8,44.

Morgenandacht