Sendung zum Nachlesen
Es gibt Augenblicke im Leben, die man nicht vergisst. Ein solcher Augenblick war gekommen, als ich meine kleine Nora auf dem Arm hielt. Meine Tochter hatte eine Tochter geboren und mich damit zum Großvater gemacht. Die Freude und die Rührung waren riesengroß. Nur eines trübte sie ein wenig: das kleine Mädchen weinte unentwegt. Was hatte es nur? „Ich glaube, ich weiß, was ihr fehlt“, sagte ich. Ich ging mit dem Kind auf den Armen zu dem großen Fenster des Zimmers und drehte die Kleine so, dass sie in das Licht von draußen blicken konnte. Und siehe da, zum Erstaunen aller hörte das Weinen sofort auf. Zwei kleine Äuglein schauten staunend ins Helle. Ich drehte mich wieder um und das Baby reagierte sofort wieder mit Geschrei. Wieder ins Licht gehalten verstummte es wieder. „Ein Baby will das Licht sehen!“ sagte ich, und die Eltern staunten über die praktische Weisheit des Großvaters.
Eine Erinnerung hatte mich auf diesen Gedanken gebracht. Als mein Sohn ein Baby war, konnte auch er viertelstundenlang ins Licht schauen – eine Viertelstunde ist für ein Baby eine beinahe unendlich lange Zeit. Mein Vater, der Großvater des Jungen, beobachtete dies und sagte: „Ja, das Licht ist süß!“ Ich weiß gar nicht, ob er sich dessen bewusst war: Er zitierte damit einen Vers aus der Bibel. Im Prediger Salomo heißt es: Es ist das Licht süß, und den Augen lieblich, die Sonne zu sehen.“ In der Zeit, als das Buch Prediger geschrieben wurde, waren die Nächte dunkler als heutzutage; und dort, wo es geschrieben wurde, sind sie zumindest im Sommer viel länger als bei uns. Wenn morgens gegen sechs Uhr die kurze Dämmerung den Aufgang der Sonne ankündigte, empfand man dies als Erlösung vom Dunkel der Nacht und als strahlenden Beginn eines neuen Lebenstages. Da ist es kein Wunder, dass das Licht einen religiösen Charakter bekam.
Noch Paul Gerhardt, ein Dichter im Dreißigjährigen Krieg, schrieb folgende Verse: „Ich lag in tiefster Todesnacht, du warest meine Sonne, die Sonne, die mir zugebracht Licht, Leben, Freud und Wonne. O Sonne, die das werte Licht des Glaubens in mir zugericht’, wie schön sind deine Strahlen!“ Weder das Baby noch der Prediger Salomo konnten das tun, was Paul Gerhardt mit diesen Versen tat: das Licht mit Jesus Christus in Verbindung bringen. Der Dichter wusste, dass Jesus gesagt hat: „Ich bin das Licht der Welt.“ Er erleuchtet die dunkle Todesnacht mit dem Licht des Lebens. Wer ihm nachfolgt, wird nicht verlorengehen in den Finsternissen dieser Welt, sondern lebt in einer bleibenden Hoffnung: Das Licht wird aufgehen und Leben spenden.