Nachtgespräche
mit Domkapitular Benedikt Welter
08.06.2024 23:50

Einen guten späten Abend, verehrte Zuschauerinnen und Zuschauer.

Wir stehen in der Küche. Stundenlang. Bis tief in die Nacht. Mein Vater und ich. Ich damals in den besten Jahren der Pubertät, ein heranwachsender junger Mann.

Wahrscheinlich liegt‘s daran, dass ich älter werde. Jedenfalls erinnere ich mich in diesen Tagen immer wieder glasklar an diese Nachtgespräche mit meinem Vater. Da ging es buchstäblich um Gott und die Welt. Mal mehr um Gott. Mal mehr um die Welt. Und darum, was Gott und Welt miteinander zu tun haben.

Geredet haben wir immer in der Küche und immer im Stehen; Mutter und Bruder waren längst schlafen gegangen; und in diesen Gesprächen hat mein Vater mein Interesse geweckt. Ohne zu belehren. Ohne einfach die Welt aus seiner Sicht zu erklären. Er hat Zusammenhänge hergestellt, hat Einblick gewährt in Hintergründe; er hat mich an seiner Geschichte und seiner Jugend teilnehmen lassen: Wie er nach seiner Kindheit im Krieg den Weg gefunden hatte, als erster aus seiner Familie zu studieren und Lehrer zu werden. Wo sein Weg steinig war und wer ihn unterstützt hat. Wie er gelernt hat, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden und mit der Vergangenheit umzugehen: vor allem, wie er seine Grund-Überzeugungen entwickelt hat.

Einmal erzählt er von drei Politikern. Dem Deutschen Konrad Adenauer, dem Franzosen Robert Schuman und dem Italiener Alcide De Gasperi. Als Student hatten die ihn fasziniert; sie hatten eine Idee, wie nach dem katastrophalen Zweiten Weltkrieg ein stabiler Friede entstehen kann. Europas Länder sollten wirtschaftlich so eng miteinander verzahnt werden, dass ein Krieg gegeneinander nicht mehr möglich sein könne. „Vision gepaart mit handfester Klugheit“, hat mein Vater es genannt. Und auch von der christlichen Überzeugung berichtet, die diesen drei großen Europäer gemeinsam ist. Sie wurden zu drei Gründungs-Vätern des Vereinten Europa.

Ja, auch aus ihren Ideen ist das entstanden, was wir heute als die EU kennen. Viele nennen es ein Bürokratiemonster und eine Steuergeldvernichtungsmaschine. Von „Vision gepaart mit handfester Klugheit“ ist manchmal wenig zu spüren – und faszinierende Politiker und Politikerinnen sind selten. Manche vergessen in diesen Tagen sogar, dass auch wegen der EU bei uns 75 Jahre lang Friede war. Diese Gnade und dieses Glück verdanken wir dem Europa, wie es in den Jahrzehnten nach 1945 entstanden ist. Und das sollten wir Älteren an die Jungen weitergeben.

Ich vermisse in diesen Zeiten diese Nachtgespräche mit meinem Vater. Leider ist er vor einigen Jahren gestorben. Aber den Heranwachsenden unserer Tage wünschte ich, dass sie solche Gespräche erleben – mit Vater oder Mutter oder mit einem anderen älteren Menschen: Dass sie Interesse finden an der Welt – und vielleicht auch an Gott. Dass sie entdecken, welche „Visionen gepaart mit handfester Klugheit“ Europa und ihre Zukunft heute braucht. Gerade die jungen Menschen, die morgen zum ersten Mal ein Kreuz auf einem Wahlzettel machen dürfen.

Ich hoffe, dass aus diesen Jugendlichen später einmal Erwachsene werden, die dann selbst für die Generation nach ihnen faszinierend sind – wie damals Adenauer, Schuman und De Gasperi für den Studenten, den ich meinen Vater nennen darf.

Ich hoffe, dass diese Jugendlichen dann Visionen gepaart mit handfester Klugheit entwickeln; wieder spätere Generationen werden ihnen einmal dankbar sein.

Einen aktiven und zuversichtlichen Wahlsonntag wünsche ich Ihnen – und Gottes Segen dazu.

Sendeort und Mitwirkende

Saarländischer Rundfunk
Redaktion: Barbara Lessel-Waschbüsch

Kontakt zur Sendung

Katholische Senderbeauftragte für Das Wort zum Sonntag für den SR 

Luisa Maurer, Bistum Trier
Katholische Rundfunkarbeit
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