Die Bescheidwisser
mit Pfarrerin Annette Behnken aus Loccum
16.10.2021 23:55

Hobbyvirologen. Politikgenies. Fußballspezialisten. Wir haben eine Menge Bescheidwisser und Schnellantworter unter uns. Die wissen Bescheid über Laschet und Lastenfahrräder, Klima und Kapital, über Rassismus, die Bundesliga und das neue Betriebssystem meines Smartphones. Die wissen sehr schnell und überhaupt sehr Bescheid und weisen scheinbar "Nicht-Wissende" oft harsch in die Schranken. Vor allem im Netz gibt‘s viel schnell geschossenes Bescheidwissen. Ich finde das anmaßend und überheblich. Und trotzdem ertapp‘ ich mich dabei, dass ich mich da manchmal gerne dran hänge, an so ne schnelle Meinung.

Weil wirklich Bescheid wissen so schwer geworden ist. Weil viel zu viel Wissen in der Welt ist. Es verdoppelt sich alle paar Jahre und das mit steigender Geschwindigkeit. Schwer bis unmöglich, irgendeine Art Überblick zu behalten, das alles zu verarbeiten und zu sortieren, in falsch, richtig, nützlich, egal … - totale Überforderung. Und darum so erleichternd, wenn in diesem ganzen Wissensdickicht einer einfach mal nen Pflock einschlägt. Und sagt: So. Hier lang ist richtig.

Nur: so schnell geschossen geht es eben oft gar nicht um wirkliches Wissenwollen. Sondern um die Lust daran, sich zu profilieren und Empörung zu schüren.

In diesen Wochen sind die Nobelpreisträgerinnen und -träger bekannt gegeben worden. Und die sind in all dem Wissenschaos für mich Orientierungsmarken. Leuchttürme. Die einen Teil unserer Wirklichkeit ausleuchten. Wie sich das Klima verändert. Sich der Mindestlohn auf den Arbeitsmarkt auswirkt. Wie wichtig Meinungsfreiheit für die Demokratie ist und für den Frieden.

Nicht mit schnell eingehauenen Pflöcken. Sondern hart erarbeitetem Wissen. Oft jahrzehntelang erforscht, experimentiert, gescheitert und nochmal von vorn angefangen. Wirkliches Wissen braucht Zeit. Es macht Arbeit. Und fängt da an, wo jemand weiß, dass er nicht weiß.

Man kann ja nie wissen – steht auf einem Grabstein in Hannover, dem von Kurt Schwitters, dem großen Künstler. Eine der ältesten Weisheiten der Welt! Sokrates. Wusste, dass wir nicht wissen und meinte damit ja nicht, dass wir nichts wissen, aber dass wir immer hinterfragen sollten, was wir zu wissen meinen. Die Bibel. Die geht ja davon aus, dass es noch ganz andere Dinge gibt zwischen Himmel und Erde. Viel zu groß für unseren kleinen Verstand. Unser Wissen Stückwerk, steht da. Und einer der großen Wissensforscher, Gottsucher und Theologen, Nikolaus von Kues sagt sogar: "Je tiefer wir in der Unwissenheit belehrt sein werden, desto mehr werden wir uns der Wahrheit selbst nähern". Also: Wissen fängt damit an, dass wir uns eingestehen, dass wir nicht wissen. Und das erstmal aushalten. Sonst bleiben wir, um nochmal mit der Bibel zu sprechen, töricht und ohne Verstand mit Augen, die nicht sehen und Ohren, die nicht hören (frei nach Jer 5,21). Zu wissen, dass ich nicht weiß heißt, ich urteile nicht mal schnell als eine, die eh schon Bescheid weiß, sondern ich schaue möglichst unverstellt, mit Augen, als hätten sie noch nie gesehen und Ohren, als hörten sie zu ersten Mal und einem Geist, als dächte ich genau dies jetzt zum allerersten Mal. Wissen ist Macht, heißt ein Sprichwort. Aber das Wissen um unser Nichtwissen ist eine Ressource, die wir brauchen. Auch, um uns nicht von schnellen Bescheidwissern treiben zu lassen, sondern um fragend auszuleuchten, was ist. Um wirkliche Orientierung zu finden. Hier, zwischen Himmel und Erde. Für den Moment. Und dann weiter fragen. Noch weiter. Noch tiefer. – Denn, wissen Sie?: Man kann nie wissen …

 

Sendeort und Mitwirkende

Norddeutscher Rundfunk (NDR)

Redaktion: Eberhard Kügler