Wort zum Tage
Gemeinfrei via unsplash/ Arseniy Kapran
Einverstandensein
mit Pfarrerin Veronika Krötke
01.07.2022 06:20
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Der Abend wechselt langsam die Gewänder,
die ihm ein Rand von alten Bäumen hält;
du schaust: und von dir scheiden sich die Länder,
ein himmelfahrendes und eins das fällt;

Der letzte Ton ist gesungen, das Konzert ist zu Ende. Draußen ist es wunderbar mild und warm. Ein Sommerabend, irgendwo am Bodensee. Der Chor macht sich noch einmal auf, stolpert durch dunkle Waldwege, findet eine kleine Lichtung. Geraschel, Gekicher, dumpfer Hall vom Laufen der nackten Füße auf Moos. Erstes Platschen, Rufen, Laute der Abkühlung nach einem heißen und anstrengenden Tag.

Der Chor springt, wie Gott ihn schuf, ins dunkle Nass. Über uns breitet sich der Himmel aus. Tiefschwarz, klar und leuchtend zugleich. Alle toben. Ich verschlucke Wasser, weil ich lachen muss und fürchte unterzugehn. Angst hab ich aber keine. Im Gegenteil. Glück? Der Himmel hat sich schützend über mich gelegt.

Der Abend wechselt langsam die Gewänder....

Der letzte Ton ist gesungen, das Konzert ist zu Ende. Draußen

ist es wunderbar mild und warm. Ein Sommerabend, irgendwo in Berlin. Der Chor geht auseinander, Familien warten, Schreibtische warten. Auf mich wartet heute niemand. Ein Glas Wein in der Kneipe, dann durch den Monbijoupark zur Museumsinsel. Am Bodemuseum hieve ich mich auf eine zu hohe Steinmauer über der Spree. Sterne seh ich kaum, die Stadt leuchtet zu hell. Die Museumsgebäude sind kalt und schweigsam und der Himmel ist weit weg.

du schaust: und von dir scheiden sich die Länder,
ein himmelfahrendes und eins das fällt;

Ich kenne nur eine Vertonung von Rilkes Gedicht als Abendlied. Und von allen Abendliedern ist es mir bis heute das liebste. Egal wann ich es für mich singe, es zieht mich in Rilkes zwei Welten hinein. Die himmelfahrende Welt, die mein Leben weit und unendlich macht und die fallende Welt, die mein Leben begrenzt. Im Singen spüre ich deutlich, wie ich in beide gehöre. Und es entsteht in mir etwas, das die Schriftstellerin Helga Schubert so beschreibt:

 „Manchmal, wenn ich ratlos war oder auch traurig, in mich gekehrt oder mutlos, las oder hörte ich plötzlich einen Satz, eine Gedichtzeile, einen Liedanfang, und ich spürte: Hier ist er ja wieder, der Strom des Einverstandenseins, der doch immer da war und immer da ist und immer da sein wird, der mich mit den Menschen verbindet, die schon seit Tausenden Jahren tot sind oder weit weg wohnen und andere Sprachen sprechen…“.

Es gilt das gesprochene Wort.