Geschickt für die Zukunft
Live-Übertragung aus der Lutherischen Pfarrkirche, Marburg
12.03.2023 09:05
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Predigt zum Nachlesen:

HW: Wie toll ist das denn. Da kommt einer zu Jesus und sagt: „Ich will dir folgen, wohin du auch gehst.“ Sonst muss er die Leute erst gewinnen. Viele winken gleich ab. Hier kommt jemand von sich aus. Und er weiß offenbar, worauf er sich einlässt. Mit diesem Wanderprediger zu gehen ist nichts für Stubenhocker: Ich will dir folgen, wohin du auch gehst!  Ich fange ein neues Leben an. Raus aus dem alten Trott. Die Botschaft von Jesus überzeugt: Das Reich Gottes kommt. Lahme werden gehen, Blinde sehen, Aussätzige werden gesund. Arme kommen aus ihrem Elend. – Endlich ein Einsatz, der sich lohnt. – Vorher muss ich nur noch schnell eine Sache regeln. Jesus, erlaube mir, dass ich zuvor meinen Vater begrabe. – Doch da sagt Jesus: „Nein. Lass die Toten ihre Toten begraben. Du fängst sofort an mit deiner neuen Aufgabe. Das Reich Gottes kommt immer zuerst“.  – Das ist hart. Wie wird er sich entscheiden?

AW: Ich finde es großartig, wenn jemand klar erkennt: Das ist jetzt dran für mich! Das will ich, und das mache ich. Ob das große Entscheidungen sind oder ein konsequentes Verhalten im Alltag. Eine Freundin hat im letzten Jahr ihr Auto verkauft. Sie ist umgestiegen auf Carsharing und öffentliche Verkehrsmittel. Sie will nicht nur reden über Klimaschutz, sondern etwas dafür tun. Das ging nicht von heute auf Morgen. Sie hat mit anderen darüber gesprochen, sie hat es ausprobiert und dann war klar: Ja, das mache ich!
Etwas verändern, Neues beginnen – das geht nicht immer von jetzt auf gleich. Warum reagiert Jesus so heftig, als die neuen Freunde ihn um Erlaubnis bitten, erst noch einmal nach Hause zu gehen. Seine Eltern begraben – das war doch erste familiäre und religiöse Pflicht für einen jüdischen Menschen. Und was ist so verkehrt daran, sich zu verabschieden? Dinge beenden, einen Lebensabschnitt abschließen, bevor ich einen neuen beginne. Das ist doch nicht falsch. Im Gegenteil. Das hilft, frei zu werden für die neue Aufgabe. Sieht Jesus das nicht?

HW: Ich denke, Jesus sieht es. Doch er sieht zugleich etwas anderes: Eine Szene, die man sehen konnte, wenn man damals durch Galiläa wanderte. Ein Bauer ackert sein Feld.  Er hält den Pflug fest in beiden Händen. Vorne zieht ein Ochse. Es sieht leicht aus. Doch der Bauer ist sehr konzentriert. Er schaut nur nach vorne. – Nicht zurück. In Israel können nämlich Felsbrocken dicht unter der Fläche liegen oder die Wurzeln eines Olivenbaums. Man muss auf das schauen, was direkt vor dem Pflug liegt. Und sofort reagieren, ihn anheben oder eine Kurve machen, ihn rausheben und wieder einstechen. Sonst ist der Pflug in einer Sekunde schief gezogen oder stumpf, das Seil reißt und der Ochse geht ab.  - Das zeigt Jesus den Leuten, die mit ihm gehen und vorher noch dies und das erledigen wollen: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.  Also: Wenn ihr neu anfangt mit mir, seid ganz bei der Sache. Wie dieser Bauer: Konzentriert und geschickt. Schaut nach vorne und nicht zurück. 


II
 

HW: Was bedeutet das für uns: Schaut nach vorne und nicht zurück? Viele wissen es längst: So wie bisher geht’s nicht weiter. Sicher sehen wir gerne zurück auf das gute Leben in den letzten Jahrzehnten. Fast 80 Jahre Frieden in Europa, immer mehr Wohlstand für die meisten. Reisen in alle Welt. Die gute alte Zeit ist nicht mehr die der Großeltern, sondern unser Leben als Erwachsene und Ältere. Die Fotos sind noch auf dem Handy. Sie immer wieder anschauen, die Augen schließen, träumen, - das ist schön, wenn da nicht plötzlich ganz andere Bilder auftauchen würden. Waldbrände, da wo wir sonst Urlaub machen. Ausgetrocknete Flüsse, Überschwemmungen. Nach vorne zu sehen, macht vielen Angst. Schaffen wir die nötigen Schritte, schaffen wir sie schnell genug? Manche fordern jetzt sehr radikale Maßnahmen. Zum Beispiel Tempo 100 auf der Autobahn, nicht nur 130. Oder bei dem drohenden Personalmangel: Fachkräfte aus dem Ausland einkaufen, egal ob sie dort gebraucht werden.  Nicht zuletzt die Frage: Wie viele der immer neuen und stärkeren Waffen brauchen wir für uns und für die Ukraine?
Angst ist kein guter Berater. Wir brauchen keine Panik, sondern eine echte und nachhaltige Wende. Wir brauchen einen anderen Ruck nach vorne. Einen Ruck mit Rücksicht, mit Umsicht und Weitsicht.

AW: An dem Beispiel Jesu sehe ich: Es geht gar nicht darum, immer stur und gradlinig nach vorne zu schauen. Kein: Vorwärts ohne Rücksicht. Jesus selber weicht auch immer wieder vom Weg ab, wenn er jemanden trifft, der seine Hilfe braucht.
Beim Ackern hatte ich immer ein anderes Bild vor Augen. Wahrscheinlich, weil wir hier in Hessen so schöne große und fruchtbare Äcker haben, wo die Bauern in langen, geraden Reihen mit dem Ackerpflug ihre Furchen ziehen. In Palästina sind andere Bodenverhältnisse, das hast du anschaulich geschildert. Beim Pflügen nicht zurücksehen bedeutet: Schauen, was unmittelbar vor uns ist. Heute würden wir sagen: Ich muss ganz präsent sein. Im Augenblick. Mich nicht zu sehr in der Rückschau aufhalten. Sondern achtsam sein für das, was jetzt dran ist. Diese Haltung ist geschickt für die Zukunft.
Damit kann ich viel anfangen. Das ist ein wichtiges Thema auch im persönlichen Leben. Da kann es sein, dass für mich „Im Jetzt sein“ gerade bedeutet, meinen Vater zu begraben. Oder Dinge in Ordnung zu bringen, die ich lange aufgeschoben habe. Dass genau das geschickt ist im Blick auf meine Zukunft. Aber es gibt auch Situationen – und so war das offenbar bei den beiden Männern im Evangelium – wo ich jetzt und gleich etwas tun oder entscheiden muss, weil ich es sonst nicht machen werde. Ich kann nicht immer Rücksicht nehmen. Genau dazu gibt Jesus in dieser Geschichte die Erlaubnis: Du musst nicht in der alten Rolle bleiben. Spür genau hin und mach das, was jetzt dran ist. Auch wenn das rücksichtslos aussieht. Es geht nicht immer alles gleichzeitig. Zuviel Rücksicht und Vorsicht nehmen dem Jetzt ihre Kraft. 


III
 

HW: Ich muss nicht immer Rücksicht nehmen. Das heißt auch: Ich kann mir etwas erlauben. Also: Was erlaube ich mir, wenn ich nach vorn in die Zukunft sehe?  Es ist nicht die Frage: Was erlaube ich mir noch, bevor ich neue Wege gehe. Sondern was erlaube ich mir jetzt schon von dem, was kommen wird und was besser sein wird als das Alte? Ich erlaube mir Energie zu sparen. Mein Arbeitszimmer wird nur noch für die Stunden geheizt, wo ich es brauche und nicht einfach immer temperiert, damit ich mal zwischendurch an den Computer gehen kann. Und das Wohnzimmer bleibt etwas kühler. 1 Grad im Haus weniger spart 6% der Energie. Und es geht. Auch in der kühleren Kirche. Man kann sich etwas anziehen und die Stunde gut aushalten, vielleicht sogar wacher. -   Wer hätte das gedacht als plötzlich das Gas knapp wurde und alle Energien teurer, dass wir es schaffen, in kurzer Zeit weniger zu verbrauchen. Jetzt sollten wir uns erlauben, dabei zu bleiben und noch mehr zu sparen, auch wenn die Preise wieder fallen. Das gelingt uns, wenn alle, die können, mitmachen.
Etwa bei der Aktion Klimafasten. Die beiden großen Kirchen laden jetzt in den sieben Wochen zwischen Aschermittwoch und Ostern ein, ein nachhaltiges Leben einüben. Das meint nicht Verbot und Verzicht, sondern einfach besser darauf achten: was esse ich, was kaufe ich, was ziehe ich an, welche Verkehrsmittel nehme ich?
Ich denke, es hilft nicht weiter, wütend zu werden auf die Aktivisten, die sich auf den Straßen festkleben. Es hilft, wenn wir alle aufhören, festzukleben an unserem alten Trott, wenn wir uns lösen und frei werden für neue Wege. Erst denkt man, das alles schaffen wir nie. Und dann macht man etwas, macht es ein Vierteljahr lang, und siehe da, es geht. Wir gewöhnen uns um. Das Gehirn speichert die neuen Trampelpfade.

AW: Was ist geschickt für die Zukunft? Und: Wozu bin ich geschickt?
Unser Konzept vom Fortschritt taugt nicht mehr. Immer schneller, immer weiter, immer höher funktioniert nicht länger. In vielen Bereichen des Lebens und Wirtschaftens sind wir an eine Grenze gekommen. Man könnte auch sagen: An einen Kipp-Punkt. Weichen müssen neu gestellt werden.
Wir brauchen einen grundlegenden Wandel. Ein neues Bewusstsein. Wir sind nicht nur Einzelne, die als Mensch oder als Staat möglichst viel vom Kuchen abhaben wollen und ihr ganzes Denken und Handeln danach ausrichten. Sondern wir sind Teil eines großen Ganzen, Teil der Schöpfung. Aufeinander achten und füreinander sorgen – dazu sind wir geschickt. Begabt und gesandt. Jede und jeder von uns. Im Umgang mit unseren Kindern, mit Kranken und Pflegebedürftigen und in unserer Beziehung zur Natur. Was ist lebensfördernd? Und nicht: Was bringt am meisten Profit? Diese Ausrichtung ist für mich die entscheidende Weichenstellung.
Was ist lebensfördernd – auch für mich persönlich? Wenn ich daran denke, wie ich mit mir umgehe. Was ich meinem Körper zumute. Wie ich im Kontakt bin mit mir selber und mit den anderen, mit der Natur. Ich möchte die Verbindung besser spüren. Zu dem Boden, der mich trägt und der Luft, die ich atme. Mich an den Frühlingsblumen freuen und den Vögeln, die jetzt ihre Nester bauen. Aus dieser Verbundenheit leben und so beitragen zu der Veränderung, die wir brauchen. Nicht nur politisch, sondern auch spirituell. In dem, wie wir denken, was uns antreibt und von innen bewegt.

Ich nehme noch einmal das Bild vom Ackern auf. Welche Spur will ich ziehen? Wofür lasse ich mich einspannen? Für was brenne ich so, dass ich das Alte stehen und liegen lasse? Viele Fragen, wichtige Fragen. Nach vorne sehen heißt: Eine Vision haben. Die Vision von einem guten Leben für alle. Jesus nennt das: Reich Gottes. Wo Frieden und Gerechtigkeit sich küssen, wo Mensch und Natur im Einklang miteinander leben. Wo die Liebe wohnt und Gott alles in allem ist. Das Reich Gottes, sagt Jesus, ist mitten unter euch. Inwendig in euren Herzen. Wo ihr der Liebe Raum gebt. Der Fürsorge und Verbundenheit mit allem, was lebt.
Wir pflügen. Wir ziehen die Spur. Wir säen und machen uns an die Arbeit. Und vertrauen dabei auf den, der Wachstum und Gedeihen gibt.

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

Dlf Gottesdienst