Allein das Wort im Blick

Am Sonntagmorgen

Prot. Dreifaltigkeitskirchengemeinde Speyer

Allein das Wort im Blick
Eine barocke Reformationskirche erzählt
24.10.2021 - 08:35
26.08.2021
Mechthild Werner
Über die Sendung:

 

 
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Ich hatte einen Termin in Speyer und noch Zeit, ich war zu früh dran und bin durch die Fußgängerzone, die Tür war offen und dann bin ich rein. Nicht zum ersten Mal, aber zum ersten Mal habe ich die Kirche bewusst angeguckt und habe gedacht: ‚Wow, das ist schon was sehr Besonderes‘.

 

Ja, das ist sie, die Dreifaltigkeitskirche in meiner Heimatstadt Speyer am Rhein. Eine Kirche voller „Wow“, „Ah“ und „Oh“ und Kameraklicks. Ein paar Schritte hinein und die Touristen verdrehen die Köpfe. Güldene Engel, bunte Bilder über zwei Emporen, rote Kissen auf den Bänken. Dazu warmblau ein Bilderbogen an der hölzernen Decke, der gewölbte Himmel, der den Blick nach oben zieht.

 

Der Raum riecht nach Holz und nach einer anderen Welt. „Jo mei, des is aber koa evangelische Kirchn“, sagt eine bayrische Freundin. Und liegt damit – wie so viele – falsch. Denn diese Kirche ist ein Kind der Reformation. Mit ihren Doppelemporen und vor allem ihrer ausgemalten Decke noch dazu einzigartig in Südwestdeutschland. Sie will, gut protestantisch „allein das Wort“ verkündigen. Das tut sie beeindruckend barock und bilderfroh.

 

Dr. Steffen Schramm leitet das Institut für Fortbildung der Evangelischen Kirche der Pfalz. Seit einigen Jahren entdeckt er die Dreifaltigkeitskirche neu. „Sehen mit erleuchteten Augen“ heißt sein Buch. Dabei war er vom ersten Blick an nicht nur fasziniert.

 

Ich habe mich gefreut an dieser Kirche, aber auch geärgert. Ich bin gestolpert über dieses Schild: „unser barockes Juwel“. Wenn man Kirchen - und grad so eine Kirche - historisch und kunsthistorisch betrachtet, dann springt man unter der Latte durch, weil sie steckt voller Theologie und Glaube. Und diese Kirche in ganz besonderer Art und Weise. Kirchen sind eben keine Museen und keine Denkmäler, sondern Orte, an denen vom lebendigen, vom dreifaltigen Gott erzählt wird. Und kaum eine erzählt so von ihm wie diese Kirche hier in Speyer.

 

Die Dreifaltigkeitskirche ist eine Kirche des Wortes, voller Bilder. Voller Geschichte und Reformation. Die am 31. Oktober 1517 beginnt, mit Martin Luthers Thesen in Wittenberg. „Allein das Wort“ soll im Mittelpunkt stehen, nicht Papst, nicht Priester, keine Heiligen. Zweihundert Jahre später, am Reformationstag 1717 wird in Speyer die Dreifaltigkeitskirche eingeweiht, als lutherische Kirche. Ohne Heiligenbilder, aber voll biblischer Bilder. Angelehnt an ein Vorbild in Frankfurt.

 

Der Hintergrund: Im Pfälzischen Erbfolgekrieg wird Speyer Ende des 17. Jahrhunderts von französischen Soldaten niedergebrannt. Bürger und Ratsherren fliehen nach Frankfurt, wo sie die Katharinenkirche kennenlernen: eine Saalkirche, bebilderte Doppelempore, ausgemalte Decke. Nach dem Krieg kehren die Ratsherren zurück und errichten im gleichen Stil die Dreifaltigkeitskirche. Und das lang bevor sie Rathaus oder Münz wieder aufbauen.

 

Will sagen: Gott in der Mitte, Gott mit uns. Ein Statement. Und so steht sie seither. Nur ein wenig abseits der Hauptstraße. Selbstbewusst, lutherisch bewusst, leicht abgewandt vom berühmten Kaiserdom und Bischofssitz: eine Bürgerkirche, allein Gott und der Gemeinde zugewandt. So wird sie erstmals an einem 31. Oktober eröffnet und nach aufwändiger Renovierung 2017 wieder in Dienst genommen, zum 500. Reformationsjubiläum. Auch dieses Datum ein Statement: Das Wort, Gott selbst soll zu hören, sehen und spüren sein.

 

Keine Kirche ist nur von gestern. Auch die Dreifaltigkeitskirche spricht ins Heute, spricht schon durch ihre Architektur mit den Menschen, die hineingehen. Hinein in einen großen Saal. Nicht getrennt in Chorraum und Schiff, in Klerus und Laien. Hier sind Geistliche und Gemeinde gleich. Alle geliebt, unter einem Himmel, unter einer Decke.

In einer Kirche mit zwei Achsen. Eine läuft auf den Altar zu, die andere auf die Kanzel zur Seite. Wort und Sakrament, flüstert dieser Raum, gehören zusammen. Wie die Gemeinde Christi.

 

Alle sitzen mit Jesus am Tisch zum Abendmahl, wie im Altarbild. Alle sitzen – von sämtlichen 1.600 Plätzen ist sie gut zu sehen – unter der Kanzel, dem Wort Gottes. Und das wird in allerlei Farben und Facetten gepredigt und ausgemalt, sozusagen multimedial. Doch dabei streng lutherisch. Denn allein das Evangelium ist im Blick. Zu sehen sind weder Heilige noch Märtyrer wie in katholischen Kirchen, sondern ausschließlich biblische Figuren.

 

Die Bildtafeln der Doppelemporen zeigen 96 Bilder. Auf der unteren Empore ist die Geschichte Jesu zu sehen, auf der oberen werden Szenen und Figuren aus der Geschichte seiner Vorfahren, des Volkes Israel zugeordnet. Altes und Neues Testament stehen übereinander, fließen ineinander, zusammengestellt als sogenannte „Typologien“.

 

Ja, wenn Sie mal da hoch schauen, zu diesen beiden übereinander befindlichen Bildern, unten Jesus, wie er gerade ins Grab gelegt wird, oben Jona, wie er gerade vom Wal verschlungen wird: Das ist eine typologische Zusammenschau in Anlehnung an das Matthäusevangelium Kapitel 12, dort steht: „Wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein.“ So funktioniert Typologie. Jona wird gezeigt als Vor-Abbild Jesu. So wie Jona vom Fisch verschlungen wird und nach drei Tagen wieder ausgespuckt wird, so wird Christus gekreuzigt und begraben und am dritten Tag von Gott auferweckt. So erzählt die Bibel von dem Gott, der da war und der da ist. Und dass dieser Gott treu ist und nicht an dem vorbei handelt, wie er früher gehandelt hat, das ist der Kerngedanke der Typologie.

Nicht nur die Emporen erzählen, auch an der Decke steht die Heilsgeschichte im Mittelpunkt. Zentral die Darstellung der Dreifaltigkeit, die der Kirche ihren Namen gegeben hat: Gott Vater, Christus als der Gekreuzigte, der Heilige Geist als Taube. Dazu weitere Szenen aus Jesu Leben. Aber – auch hier – merkwürdigerweise - Szenen aus dem Alten Testament...

Ja, die Decke, die war für mich lange Zeit ein großes Rätsel. In der Mitte die Christusdarstellung, das ist klar. Aber warum diese vielen alttestamentlichen Darstellungen außenherum? Irgendwann ist mir klar geworden: Diese Protestanten haben ihre Bibel wirklich sehr genau gelesen. Denn alle Figuren, die hier an der Decke dargestellt sind aus dem Alten Testament, die kommen ja im Neuen Testament vor und dort werden sie immer als Glaubenszeugen dargestellt.

Vorbilder, Vorabbilder des Glaubens malt diese Kirche vor Augen. Sie erzählt von Menschen, die unterwegs sind mit Gott. Dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.

Ein Beispiel an der Decke ist Jakob, der zurück zieht in sein Land und dann von einem Engel, von Gott selbst, überfallen wird. Das ist das, was Christinnen und Christen und Menschen heute auch erfahren, dass sie vom Schicksal angegangen werden. Dass sie angefochten werden, auch in ihrem Vertrauen auf Gott. Aber dieser Jakob hält fest daran und wird dann auch gesegnet und in seinem Glauben gestärkt. Er geht gestärkt davon, hinkend, aber gestärkt. Und wird so zu einem Beispiel für alle, die heute angefochten werden in ihrem Leben.

Diese Bilderkirche erzählt von Menschen. Damals und heute. Die leiden, lieben, leben, sterben – unterwegs mit Gott. Sie erzählt aber auch von Gott auf dem Weg mit uns. Von dem, der sich einen besonderen Namen gemacht hat. „Ich bin YHWH“, stellt er sich Mose vor. Mit seinem heiligen Namen, den sein Volk Israel nicht ausspricht, aber umso besser versteht. Abgeleitet vom hebräischen Wort „haja“, das meint „sein“. Also: „Ich bin, der ich bin. Werde sein, der ich sein werde. Ich bin da.“ Dieser Gott ist unterwegs mit denen, die mit ihm gehen. Die den Mut haben, auf sein Wort zu hören, auch wenn es eine Zumutung ist. Wie bei Abraham. Der altgeworden noch wegziehen soll, aufbrechen in ein neues Land...

 

Und so wie Abraham auf Gottes Wort vertraut und losgeht und eine ganz neue Seite in seinem Leben aufschlägt, so sollen es auch die Christen heut machen. Und dazu will dieses Bild und dieses ganze Bildprogramm stärken.

 

Das Auge hört mit. Eine „Seh-Hilfe für den Glauben“ will diese Kirche sein. Gott zu trauen wie Abraham, wie Maria auf Engel zu hören, mit ihm zu ringen wie Jakob. Und immer wieder: Nachfolge. Wie Jesus Not zu sehen und zu handeln. Biblische Geschichten sind mehr als Geschichte. Das Evangelium will nicht nur weitergelesen, sondern weitergelebt werden. Denn es sind, laut Luther, keine „Lese- sondern Lebeworte“ darin.

 

Urwalddoktor Albert Schweitzer könnte das bestätigen. Ihn hat das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus zu seinem Einsatz in Afrika inspiriert. Ähnlich werden biblische Szenen immer wieder weitergeschrieben, meint Steffen Schramm. Etwa die Geschichte von Maria und Josef, die mit dem Jesuskind fliehen müssen. Eine Szene, die seit 2015 manche angeregt hat, sich für Geflüchtete zu engagieren. Die Narrative, die Geschichten bleiben aktuell. Und darum ist es entscheidend, sie zu erinnern …

 

Die Verschwörungstheoretiker, von denen es aktuell so viele gibt, die erzählen die Geschichte von einem Staat, der diktatorisch ist, wenn er sinnvolle Corona-Maßnahmen beschließt. Das spaltet, statt zu versöhnen. Das führt zu Gewalt - wie vor ein paar Wochen in Idar-Oberstein. Aber diese Kirche - wenn ich dann nochmal an die Decke schaue – da wird die Geschichte des dreifaltigen Gottes erzählt, der selbst Mensch geworden ist, der gelitten hat, um uns mit sich zu versöhnen. Damit wir als Versöhnte leben können. Und das ist eine ganz andere Geschichte. Und diese Kirche, dieses Kirchengebäude erinnert an diese Geschichte. Und das ist seine eigentliche Aufgabe.

 

Die Dreifaltigkeitskirche Speyer. Sie ist mehr als ein „barockes Juwel“, sie ist ein theologischer Schatz. Wer den Raum betritt - gülden, blau, bunt - steht mit den Füßen auf Gottes weitem Raum. Und mitten im eigenen Leben.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik in dieser Sendung:

  1. Mussorgsky-Pictures at an Exhibition – Promenade, Rhodebeck, Jacob/ Mussorgsky, Modest Petrovich, CD-Titel: Classical Piano (BZZ 15)
  2. Ballet of the unhatched chicks, Vienna Chamber Ensemble, CD-Titel: Musica Classica – Eastern Europe (SCD 122)
  3. Underwater, Pierre Tereygeol, CD-Titel: Nirvana Cowboy
  4. Marcia Dolorosa, Gerhard Trede, CD-Titel: A Life Symph. Presentation in 13 Phrases. CD-Titel: A Life Symph. Presentation in 13 Phrases (Trede 22)
  5. Symphony No. 5 D-Min. op. 107 Reformation, Czech Philarmonic Orchestra, CD-Titel: Felix Mendelssohn-Bartholdy
26.08.2021
Mechthild Werner