Hören und Hoffen

Am Sonntagmorgen
Hören und Hoffen
50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen
30.08.2015 - 08:35
26.06.2015
Pfarrer Dieter Vieweger

Am 12. Mai 1965 nahmen Israel und Deutschland diplomatische Beziehungen auf. „Selbst die dunkelste der Nächte muss mit dem Anbruch der Dämmerung enden“ sagte der damalige israelische Präsident Salman Schasar zur Einführung des deutschen Botschafters. In den vergangenen 50 Jahren wurde viel für das deutsch-israelische Verhältnis erreicht. Es gibt guten Grund, die intensiven Beziehungen beider Staaten und ihrer Menschen zu pflegen und zu feiern. Dieter Vieweger, Archäologe, Alttestamentler und Direktor des „Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes“ in Jerusalem, war zu einer Jubiläumsfeier eingeladen...

 

 

Am Vorabend des 12. Mai 2015 fuhr ich nach Haifa, in die nördliche Hafenstadt Israels – nach Haifa. Für das orientalische Land Israel war das bereits der neue Tag, an dem exakt vor einem halben Jahrhundert die offiziellen Kontakte beider Staaten ihren Anfang fanden.

Die Verteidigungsministerin Deutschlands, Frau von der Leyen, hatte sich zu einer Feierstunde angesagt. Auf einem Kriegsschiff – der Fregatte Karlsruhe.

 

So ungewöhnlich der Ort der Gedenkfeier, so überraschend war auch der Beginn: Das Marinemusikkorps spielte deutsche Marschmusik. Darauf war ich wenig bis gar nicht gefasst…

 

Ein Wechselbad der Gefühle. Eine Feierstunde zu einem der größten Wunder der deutschen Geschichte: Nach dem katastrophalen Völkermord an 6 Millionen Juden – nach der Kapitulation 1945 – begannen bereits 20 Jahre danach – im Jahr 1965 – diplomatische Beziehungen zwischen den Nachkommen der Opfer und dem Volk der Täter. Aus dieser Annäherung entstanden feste Verbindungen, ja sogar tiefe Freundschaften.

 

 

Dieter Vieweger, der deutsche Theologe und evangelische Pfarrer, ist selbst Teil der festen und auch freundschaftlichen Verbindungen zwischen Israel und Deutschland. Seit 11 Jahren lebt und arbeitet er in Jerusalem. Grund genug, ihn zur Feier der diplomatischen Beziehungen nach Haifa einzuladen. Was er dorthin mitbrachte sind auch seine persönlichen Erfahrungen als Deutscher.

 

 

Warum feiert man die Beziehungen  auf einem Kriegsschiff? Die meisten Teilnehmer Uniform – mitten in Israel – in Sichtweite der hell beleuchteten, den Hafen von Haifa überstrahlenden Menorah? Das wollte mir, einem ungedientem ostdeutschen Pazifisten, gar nicht einleuchten. Ich war verstört und reichlich fehl am Platz. Es dauerte, meine Gedanken zu ordnen.

 

Ich denke, diese Zeremonie erinnert an einen fundamentalen Unterschied zwischen Deutschland und Israel:

Bei uns Deutschen dominiert seit 1945 die Lehre „Nie wieder Krieg“. Kriegsspiele waren in meinen Kinderzeiten zwar unausrottbar – aber durchgängig verpönt. Meine Mutter mahnte immer und immer wieder: „Dem Deutschen, der wieder eine Waffe anfasst, dem sollen die Hände abfallen“.

Als Jugendlicher trug ich – mitten im von Atomwaffen überfrachteten Deutschland – voller Überzeugung das Zeichen „Schwerter zu Pflugscharen“ – und ich stehe auch heute noch dazu. Frieden hat Europa stark gemacht – hat jahrhundertealten Feindschaften begraben. Dieser Ausgleich lässt in Europa Nachbarn verstehen, die unsere Großeltern nur als Erzfeinde kannten, endlose Rachefeldzüge wurden beendet.

 

In Israel erlebe ich eine andere Einstellung. Hier lautet die Lehre nach dem Holocaust und nach endlosen Judenverfolgungen durch das gesamte Mittelalter und die Neuzeit anders: Nicht „Nie wieder Krieg“, sondern: „Nie mehr schutzlos.“ Israelis sagen: Wir brauchen einen starken Staat und eine starke Armee. Die Existenz Israels muss garantiert werden, um neues Leid und künftige Verfolgungen zu verhindern. Frauen und Männer leisten Wehrdienst. Überall sieht man Bewaffnete im ganzen Land. Das ist das Credo – zumindest der jüdischen Bevölkerung des Staates Israel.

 

 

82 Prozent der Israelis wünschen sich laut einer aktuellen Studie[1] der Bertelsmann-Stiftung deutsche Waffenlieferungen. 68 Prozent der befragten Deutschen sind dagegen. Israelis und Deutsche haben aus der Geschichte unterschiedliche Schlüsse gezogen. Ein Grenzgänger, der nach Verbindung sucht, ist Dieter Vieweger auch hier:

 

 

Die 50 Jahre diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland habe ich in meiner Lebenszeit miterlebt. Natürlich nicht gleichermaßen bewusst von Anfang an. Die ersten 25 Jahre aus der Sicht der DDR – die zweite Hälfte aus dem wiedervereinigten Deutschland und aus Jerusalem, wo ich inzwischen lebe. Im entmilitarisieren Gebiet zwischen Israel und Palästina – auf dem Ölberg, oberhalb der Altstadt von Jerusalem.

 

Ich blicke deshalb auch ganz persönlich zurück.

 

In meinem Teil Deutschlands – der DDR – stand Israel gleichbedeutend für den Aggressor schlechthin. Das lernte ich schon in der Schule, bei Pionierveranstaltungen oder im Unterricht. Und deshalb gab es immer wieder Unterschriftenaktionen und Protestbriefe gegen Israel, die ich treu und brav als Dritt- und Viertklässler aus der Schülerzeitschrift „Die Trommel“ ausschnitt, ausfüllte und zur Post brachte.

 

Das Credo der DDR war: „Eine Schuld am Holocaust haben wir im Osten nicht. Wir sind der erste friedliebende und antifaschistische Staat auf deutschen Boden.“ Die ehemaligen und die neuen Kriegstreiber leben schließlich allesamt in der Bundesrepublik…

1973 erlebte der Staat Israel militärisch seine bittersten Stunden. Durch einen Doppelangriff von Nord und Süd hatten Syrien und Ägypten am höchsten jüdischen Feiertag – zu Yom Kippur – das reichlich sorglose Israel angegriffen und ihm in den ersten beiden Kriegstagen beträchtliche Opfer und Gebietsverluste beigebracht.

 

In meiner Schule – der EOS Dr. Theodor Neubauer in Karl-Marx-Stadt – schlugen nach dem Yom Kippur-Krieg meine ehemaligen Schulkameraden auf, die inzwischen als Offiziere in der Nationalen Volksarmee dienten. Sie brüsteten sich: „Der Sieg an der syrischen Front gehe auf die Waffenbrüderschaft mit der DDR zurück. Wir hätten gemeinsam gegen Israel gewonnen.“

 

Eine Begeisterung für von Panzerketten zerquetsche Menschenleiber und von Bomben zerfetzte Kinder kam bei mir schon damals nicht auf. Als Wehrdienstverweigerer flog ich bald von der Oberschule.

Bei mir festigte sich zu dieser Zeit die Idee, dass der von der DDR meistgehasste Staat etwas besonderes sein müsse – Israel wurde hinter der deutschen Mauer zum Land meiner Träume. Ich las viel, vom Aufbau des Staates, vom Zionismus und von einer optimistischen neuen Menschengeneration.

 

1989 öffnet sich endlich der eiserne Vorhang – die Steine der Berliner Mauer bröckelten. Schon im Sommer 1990 reiste ich nach Israel. Ich stand in den Toren der Heiligen Stadt Jerusalem. Ich besuchte die alten Stätten der Bibel. Doch auf meinen Reisen nach Bethlehem, Sichem, Samaria und Hebron erlebte ich ein Land mit zwei Völkern, voller Probleme, Auseinandersetzungen und Widersprüche. Überall Waffen. Immer wieder Kämpfe zwischen Palästinensern und israelischem Militär, zwischen arabischen Bewohnern und israelischen Siedlern in der Westbank. Es war die Zeit der ersten Intifada.

 

 

Dass Mauern fallen können ist nicht allein die Überzeugung des Theologen Dieter Vieweger, sondern auch die ganz persönliche Erfahrung seines Lebens- und Berufsweges in Deutschland. Sie hat ihn nach Israel geführt. Die Hoffnung daraus ist kein einfacher Exportartikel für das Land im Nahen Osten.

 

„Uneasy Neighbors“ (keine einfachen Nachbarn) lautet der Titel eines Standardwerks über die besonderen Beziehung zwischen Israel und Europa.[2] Die ganze Ambivalenz eine Europäers in Israel wird in diesem Titel sichtbar: Bewunderung und Enttäuschung, unsere absolut große Nähe und auch die fundamentalen Unterschiede.

 

Seit 25 Jahren arbeite ich nun als Archäologe im Nahen Osten, seit 11 Jahren lebe ich auf der Nahtstelle zwischen palästinensischen und jüdischen Stadtvierteln Jerusalems. Ich fühle mich in beiden Kulturen zu Hause. Lebe mit beiden Gruppen – und leide daran, dass in den letzten Jahren die beiden Völker unversöhnlicher feindseliger miteinander umgehen. Immer wieder spricht man von, ja ersehnt oder befürchtet eine neue Intifada; inzwischen habe ich davon zwei miterlebt, dazu drei Gaza- und zwei Hisbollah-Kriege.

Meine persönliche Solidarität ist nicht aufzuteilen. Sie gehört grundsätzlich beiden Seiten – jüdische und arabische Menschen haben schließlich gemeinsam diese einzigartige Kultur erschaffen, die meine Institute in Jerusalem und Amman heute erforschen und die Europa tief beeinflusst

 

Ich kann nur immer wieder sagen, dass Sperrzäune und Waffen die Probleme nicht lösen werden. Doch den Frieden müssen die Menschen in Israel und Palästina selber wollen und dann auch durchsetzen.

 

In diesem Jahr, in dem wir Deutschen 50 Jahre diplomatische Beziehungen mit Israel feiern, würde ich mich freuen, wir würden auch diplomatische Beziehungen zu einem Staat Palästina aufnehmen können. Wenn diese beiden Länder in einem Gebiet friedlich zusammenleben könnten – dann wäre das der Anfang eines neuen Wunders. Aber das ist heute noch Utopie.

 

Deshalb feiern wir in diesem Jahr nur das erste Wunder: 50 Jahre diplomatische Beziehungen zu Israel. Eine Freundschaft, die lebendig ist: Wissenschaft, Wirtschaft, Jugendaustausch, Kultur und Sport – Israel und Deutschland sind eng miteinander verbunden. Und gerade in Berlin hört man heute an vielen Stellen immer mehr Ivrith, das moderne Hebräisch, nicht zuletzt, weil die Stadt seit Jahren unter den jungen Israelis als „hip“ gilt.

 

 

Dass Deutsche Israel kritischer sehen als umgekehrt muss kein Trend zur Entfremdung sein. Die Beziehung zu Israel hat für den Wissenschaftler und Archäologen Dieter Vieweger immer eine besondere Geschichte:

 

 

Die zunehmende Skepsis, gerade jüngerer Deutscher, der israelischen Politik gegenüber, halte ich für ein wichtiges Zeichen. Freunde müssen miteinander streiten, und Differenzen aushalten können.

Noch zum 40ten Jahrestag deutsch-israelischer Beziehungen stellte der israelische Schriftsteller Amos Oz fest – normale Beziehungen zwischen Deutschland und Israel seien nicht möglich. Er wollte eine Intensivierung, nicht eine Normalisierung der Kontakte. Heute, 10 Jahre später, freue ich mich über die vielen intensiven Verbindungen. Ich glaube auch, dass normale Beziehungen möglich sind.

 

Vielleicht trägt der gemeinsame Boden der Erinnerung an den Holocaust künftig andere Zeichen, als die, die eine Fregatte in Haifa setzt. Nämlich Versöhnung und Frieden.

 

Ich hoffe auf ein zweites Wunder, nämlich ein friedliches Nebeneinander und dann, in ferner Zukunft, auch auf die Aussöhnung zwischen Israel und Palästina. Das wäre auch für Europa ein Schritt nach vorn. Denn der nahe Osten ist ein Land, in dem auch wir Europäer Wurzeln haben. David Ben-Gurion – der Staatsgründer Israels – gab dem ersten Botschafter Israels bei der Europäischen Union nicht umsonst mit auf den Weg: „Sag den Europäern, dass sie ihre spirituellen Werte von jenem kleinen, aber unverwüstlichen Volk geerbt haben, das du jetzt unter ihnen repräsentieren wirst. Wir teilen nicht nur schreckliche Erinnerungen an die jüngste Vergangenheit, sondern auch die helle Zukunft, die vor uns liegt.“

 

 

[1] „Deutsche blicken skeptisch auf Israel“. Studie der Bertelsmann-Stiftung, 26.01.2015

[2] Sharon Pardo / Joel Peters, Uneasy Neighbors. Israel and the European Union, Lanham et al., 2010.

26.06.2015
Pfarrer Dieter Vieweger