Wandern nach Bethlehem

Sternenhimmel in der Wüste Negev

Bild: Frank-Michael Theuer

Sternenhimmel in der Wüste Negev

Wandern nach Bethlehem
Mit den Hirten und Weisen auf der Suche nach dem Stall
23.12.2018 - 08:35
07.09.2018
Dieter Vieweger, Frank-Michael Theuer
Über die Sendung:

Pilgern zu Weihnachten, nach Bethlehem, in die Geburtskirche… Heilsames Wandern in einer ganz normalen Welt! Unterwegs mit Prof. Dieter Vieweger, Direktor des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes…

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An diesem Brunnen wird auch Maria schon Wasser geschöpft haben. Es ist die einzige Quelle in Nazareth, auch heute noch. Ihr Wasser sieht und hört man in der Gabrielskirche. Sie steht da, wo nach griechisch-orthodoxer Tradition der Engel Gabriel zu Maria spricht (1):

 

Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben. (Lk 1,31f)

 

Den Brunnen sieht man. Die Tradition kann man nachlesen, auch die Worte des Engels im Lukasevangelium. Überall wird Gottesdienst gefeiert, an den Orten, an denen die biblischen Geschichten ihren Platz haben. Die Pilgerfahrten boomen, besonders zu Ostern und jetzt, zur Weihnachtszeit.

Pilgern – das tut auch Dieter Vieweger. Professor für Altes Testament und Biblische Archäologie, Direktor des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaften im Heiligen Land.

Er bewegt sich im Spannungsfeld von Tourismus und Tradition; Glauben, Frömmigkeit und Wissenschaft. Er lebt und arbeitet in Jerusalem, ist unterwegs in Israel-Palästina und im Nahen Osten. Und zu Weihnachten, wann immer es geht, pilgert er nach Bethlehem.

 

Dieter Vieweger:

…ich laufe einen Weg, ich laufe den einfach, meinetwegen, auch stumm vor mich hin, es geht durch die Nacht, ich sehe nicht viel anders, aber ich bin mit mir zusammen. Ich weiß, ich gehe zur Geburtskirche, ich weiß, ich habe dann einen Gottesdienst und ich komme aus einem Gottesdienst und: Kann ich jetzt mit mir selber zurechtkommen? Bin ich mit mir selber im Frieden? Und da kann dieses Laufen sehr heilsam sein…

 

Auf diesen Weg nimmt Dieter Vieweger mit. Er erzählt davon, nicht am Schreibtisch, sondern unterwegs, beim Laufen, zehn Kilometer lang, eben von Jerusalem nach Bethlehem. Davon, was man sieht und was man nicht sieht, was einem durch den Kopf geht, wenn man unterwegs ist durch die Nacht – zur Geburtskirche in Bethlehem und dem Morgen entgegen.

 

Dieter Vieweger:

Die Stimmung ist großartig. Man hat Weihnachten in sich, so wie man das so ganz grandios gefeiert hat mit toller Orgelmusik, mit gesungenem Evangelium in Hebräisch, und mit dem Zimbelstern im Ohr... Man hat so richtig deutsches Weihnachten gefeiert und im Ausland braucht man so etwas mehr als in Deutschland selber, es ist ein Stückchen Heimat, ein Stückchen Kultur und das mitten in einer doch heimisch-fremden Gegend und dann geht man einfach los und dann hat man eine ganz normale Welt, wie wir sie jetzt hier haben…

 

In der Weihnachtsnacht sind es verschiedene Gruppen, die nach Bethlehem pilgern. In einen Morgen hinein, der zu einem ganz normalen Werktag wird in Israel. Mit oder ohne Gottesdienst vorher, als Touristen oder als Christen machen sich die auf den Weg, die nach Besinnlichkeit suchen, nach dem Feiertag, dem Ort, wo alles anfing.

 

Dieter Vieweger:

Also wir sind ja auf einer mittelbronzezeitlichen alten Straße hier unterwegs, das sieht man der Straße ja heute gar nicht an mit seinem vielen Ampeln und mit dem Verkehr, aber hier ist man schon seit 1800 vor (Christus) spätestens durch das Bergland gegangen, mit Eselskarawanen und so…

Man kann sich ja auch mal überlegen, wer alles diese Straße so langgelaufen ist von den Leuten, die man kennt. Wenn man an das Mar Elias Kloster denkt, das hier kommt, dann ist der Elia hier langgeflohen. Natürlich ist immer die Geschichte in der Heiligen Nacht von Maria, die da runter geht und hochschwanger ist, natürlich hat man den David, der in Bethlehem geboren und seine Residenz in Jerusalem habend, den man sich hin und her gehend vorstellen muss, neben den vielen Händlern, die hier waren…

 

Die Geschichte spannt hier einen weiten Bogen, den die Straße in Richtung Bethlehem auf ganz eigene Weise aufreiht und augenfällig macht. Nach und nach, unsortiert, ganz so, wie einen die Füße weitertragen.

 

Dieter Vieweger:

Also jetzt kommen wir an einen wichtigen Ort, wenn wir jetzt die neugebauten Hochhäuser hinter uns haben, an der Ecke steht jetzt gleich ein runder Turm. Und das ist der Wachtturm von 1948. Und hier war Jerusalem zu Ende. Das andere ist jetzt so ein bisschen hinzugekommen. Im Zuge von 67, Eroberung, und dann eben der Siedlungsbewegung. Jerusalem dehnt sich aus, also das ist ja der Ärger der Palästinenser, dass die Mauer, wenn sie schon gebaut wird, nicht auf die grüne Linie gebaut wird.

 

Beim Pilgern kommt man nicht einfach irgendwo vorbei, auch an der jüngeren Geschichte nicht, der aktuellen Politik und Situation in Israel. Und vielleicht gerade dann nicht, wenn man auf den Spuren Jesu unterwegs ist.

 

Dieter Vieweger:

Ich glaube schon, dass die Leute wirklich auf den Fußstapfen Jesu laufen wollen und darin was ganz Besonderes sehen, das eben an dem richtigen Tag, an Weihnachten. Und... das ist uns als Protestanten ziemlich aberzogen worden, weil für uns immer eben das, was hinter dem Wort steht, die innere Bedeutung, so wichtig erscheint…

Aber so ist Pilgern nicht, Pilgern ist erst mal: ich begebe mich innerlich wie äußerlich auf einen Weg, den faktisch mein Vorbild auch gelaufen ist. So oder so. Ich empfinde was mit. Ich sehe, wie lang der Weg wird. Wir haben jetzt gleich die Hälfte erreicht. Und sind gleich an der Kathisma-Kirche.

 

Und tatsächlich könnte das Kathismakloster aus dem fünften Jahrhundert Station gewesen sein – auf dem byzantinischen Pilgerweg von Jerusalem nach Bethlehem – und für die hochschwangere Maria.

 

Dieter Vieweger:

So, jetzt sind wir hier in der Kathisma-Kirche, es ist eine oktagonale Kirche von ganz schönem Ausmaß. Vorstellen muss man sich, dass in der Mitte der Altar war, und dass man dann hier in den Schalen, wo wir stehen, rings um die Mitte herum pilgern konnte. Und in der Mitte waren die Gottesdienste. Und die Mitte ist ein Felsen, und der weicht zurück, als Maria hier ist, sagt die Tradition, und die kann sich dann hier hinsetzen und selbst nach islamischer Tradition wird sie dann hier gespeist. Und zwar mit Datteln. Und dann geht sie nach Bethlehem weiter, es gab einen riesengroßen Stein hier, und dieser riesengroße Stein ist abtransportiert worden. Weil eben die Maria draufgesessen hat. Und sie allen heilig ist. Und das Fuhrwerk, das diesen Stein wegbringen soll, kommt in Jerusalem vorbei und kollabiert vor der Grabeskirche. Die Tiere gehen nicht weiter, und der Wagen bricht. Und dann hat man den großen Stein dann in die Grabeskirche geräumt, wo er bis heute steht.

 

Das Innehalten auf dem Pilgerweg ist wichtig, eng verbunden ist hier inneres und äußeres Erleben, der Weg und die Geschichten, die ihn pflastern. Maria bekam Datteln zur Stärkung. Elia, der Prophet, war auf der Flucht vor Isebel, er bekam geröstetes Brot und einen Krug mit Wasser.

 

Und der Engel des Herrn kam zu Elia, rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast noch einen weiten Weg vor dir! (1. Kön 19, 7)

 

Dieter Vieweger:

Hier ist man jetzt zum ersten Mal so richtig allein… Die Stadt ist nicht mehr da...

Wir laufen jetzt einfach den Weg runter, noch einmal den kleinen Hügel und dann kommt der Grenzübergang ganz versteckt. Wir sehen schon lange die Mauer, also wenigstens die eine Person, die uns entgegengegangen ist, die ist bestimmt schon über die Mauer gekommen, denn der hatte so wie ein Tagelöhner seinen Plastikbeutel in der Hand mit dem Essen. Ja, Mar Elias…

Und was ich mir am besten vorstellen kann, also das ist die schönste Geschichte, dass die Weisen hier den Stern nochmal gesehen haben.

Denn wenn man von Jerusalem kommt, und der Stern soll über Bethlehem stehen, muss man übern Berg sein, denn sonst steht er am Horizont und nicht über Bethlehem, ne. Deshalb macht das hier Sinn, sich das vorzustellen.

Ja, da ist Bethlehem jetzt. Es liegt vor einem…

 

Bethlehem. Aber ist das der Geburtsort Jesu? Die meisten, ja historisch-kritisch arbeitenden Theologen halten Nazareth für wahrscheinlicher – denn dort ist Jesus aufgewachsen. Die Evangelisten hätten den Ort von Jesu Geburt nach Bethlehem ‚verlegt‘, denn aus dieser Stadt soll ja der Messias hervorgehen, der alttestamentlichen Verheißung nach…

 

Dieter Vieweger:

…ich denke auch immer, dass wir mit unserer Kritik daran, dass wir sagen, naja, das ist ja alles in Nazareth passiert, ist hinterher alles ausgedacht worden – vielleicht auch nicht recht haben können, wir können die Geschichte in Bethlehem nicht beweisen, was aber nicht heißt, dass es nicht wahr ist. Und wir könnten sie auch (…) in Nazareth nicht beweisen, das muss man auch einfach mal sagen, das ist so eine Hybris des 19. Jahrhunderts, dass man denkt, man kann das alles nach 2000 Jahren viel besser ergründen, als die Leute uns das damals erzählt haben. Wir wissen, dass die Leute, die uns das erzählt haben, eine Tradition erzählt haben oder eine Tradition gebildet haben und uns was ausdrücken wollten damit. Aber nicht immer ist alles im Grundsatz falsch.

 

Eine ganze Reihe von Grenzen sind zu überwinden, auf diesem Pilgerweg. Nicht nur der Checkpoint, die Grenze von Israel in die A-Zone im Palästinensergebiet, in der Bethlehem liegt. Das geht für uns Europäer leicht… doch ein solches Pilgern hilft auch über die anderen, die inneren Grenzen hinweg. Die in den Köpfen, zwischen Bedeutung und Fakten. Und über die in der Weihnachtsgeschichte selbst, zwischen den Weisen aus dem Morgenland und den Hirten auf dem Felde…

 

Dieter Vieweger:

Also das war kein guter Job. Und das war schon so ein Zeichen, wenn Jesus sich dort als erster zeigt, wenn er dort geboren ist, dass er zu den Armen der Armen gehört. Und das ganze große gegenteilige Programm sind die Weisen aus dem Morgenland, die High Society, die Perser, die kommen vorbei, also nicht mal die eigenen hohen Leute. Zwischendrin gibt es gar nichts, also, es ist wirklich heiß und kalt und schwarz und weiß.

Jedenfalls hat keiner 'ne Ausrede, ich bin zu arm, oder ich bin zu ungebildet oder ich bin zu sonst was, damit kann ich mich nicht beschäftigen oder ich bin so klug, dass ich über alledem erhaben bin, das kann ich sowieso nicht glauben.

 

Das alte Bethlehem, die Siedlung, liegt oben auf dem Berg. Die Geburtskirche, das Ziel, liegt dann schon wieder außerhalb, im antiken Grabring um Bethlehem. Auch das ist ein weiter Weg für die Vorstellung, von der Krippe unter dem Weihnachtsbaum in die Geburtsgrotte, die als Grab diente…

 

Dieter Vieweger:

…wenn ich so an die erzgebirgischen Krippen denke, mit denen ich groß geworden bin usw., ein Holzstall usw., das ist ja hier alles völlig fremd. Es gibt kein Holz, es gibt eben wirklich die Ställe nur in den ausgedienten alten Gräbern, die schon lange keine mehr sind und man muss sich das eben sehr naturalistisch vorstellen, die vielen Tiere, das riecht auch entsprechend, die Menschen alle ungewaschen, aber es war wenigstens warm dort...

 

Hinein in die Geburtskirche geht es durch die kleine Demutspforte. So heißt sie, denn tatsächlich muss man den Kopf einziehen um hindurchzugehen. Gedacht war das eher als Schutz vor Bewaffneten, nicht als frommer Demutsbeweis. Vor der Zerstörung der Perser hat aber etwas ganz anderes geschützt:

 

Dieter Vieweger:

Genau, weil am Eingang der Kirche die drei Weisen abgebildet waren und die hatten diese phrygischen Hüte auf und dann war für die Perser klar, das können wir nicht zerstören, wo wir, unsere Vorfahren, schon da waren. Das hat die Kirche ja 614 ja wirklich gerettet, als Jerusalem ja so übel drangenommen worden ist und so übel geplündert worden ist.

 

Die Geburtskirche ist das erste Bauwerk in den palästinensischen Autonomiegebieten, das zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt worden ist. Inzwischen weitgehend renoviert. Mehr Platz für Pilger und Touristen gibt es dadurch natürlich nicht, und wer in die Geburtsgrotte hinabsteigen will, muss warten.

 

Dieter Vieweger:

Also ich gehe gerne hier zu dem katholischen Teil herunter, und zwar, weil man da viel besser die Idee hat, wie solche Höhlen ausgesehen haben…

Stell dir das ohne Säulen vor, die Säulen sind drin damit niemandem das auf den Kopf fällt. Stell dir keinen Fußboden vor, sondern Stroh und Dreck und paar Schafe und es stinkt und dann bist du in dem Metier, in dem das erzählt wird.

 

Und das ist für Dieter Vieweger das Eigentliche, das Entscheidende. Der Weg, das Gehen und der Ort sind wichtig – weil sie mich herausnehmen aus dem Alltag und mit hineinziehen in eine andere, ja, Wirklichkeit. Für Christen ist wichtig, dass Jesus geboren wurde, als Mensch, in eine ganz konkrete Situation und Zeit hinein. Wann und wo das ganz genau gewesen ist – in Bethlehem, in Nazareth – diese Frage hat man beim Pilgern, einmal unterwegs, schnell überholt. Da ist die eine und einzige Geburtsgrotte in Bethlehem nicht mehr so wichtig…

 

Dieter Vieweger:

…da es für mich jetzt auch nicht der heilige Ort ist, an dem die Geburt stattfand, es kann doch hier überall im 500m-Bereich sein oder im 1000m-Bereich – dann ist das für mich nicht die Bedingung, dass ich da unten sitze.

 

Dieter Vieweger, der Theologe und Archäologe, wird sich wieder auf den Weg machen und pilgern, wenn nicht dieses, dann ein anderes Jahr. Und so sehr er die eine Heimat in Israel und Jerusalem, in den biblischen Geschichten und auf historischem Boden liebt – so wenig muss er als Wanderer zwischen den Welten seine Heimat im Erzgebirge dafür aufgeben.

 

Dieter Vieweger:

Aber das ist eben was Außergewöhnliches, auch eben was an Weihnachten erinnert, weil man eben diese 10 km läuft und zu sich selber kommt, sich selber begegnet und zum Schluss wieder Gott begegnet, im Gottesdienst hier in der Geburtskirche. Also das find ich schon was ganz Besonderes.

 

Dieter Vieweger:

Ja, eigentlich ist ja Jesus nicht im Erzgebirge geboren, sondern vielleicht sogar hier (lacht), obwohl man im Erzgebirge meinen könnte, da sei es wirklich passiert…

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Literaturangaben:

  1. Peter Hirschberg, Israel und die palästinensischen Gebiete, EVAs Biblische Reiseführer, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig.
     
07.09.2018
Dieter Vieweger, Frank-Michael Theuer