Esel sind sanftmütig – und störrisch. Es sagt viel über Jesus aus, dass er auf einem Esel in Jerusalem einzieht.
Sendetext nachlesen:
"Unter dem Donner der Kanonen hatte das deutsche Kaiserpaar am 28. Oktober Jaffa verlassen, um den Weg nach Jerusalem über die Ebene Saron zum Gebirge Juda zu Pferde zurückzulegen. Der Zug (…) bot ein überaus malerisches, farbenprächtiges Bild; die flatternden Standarten, die blitzenden Uniformen, die wallenden Staubmäntel und wehenden Tropenschleier gaben dem Ganzen ein ungewohntes Ansehen und erinnerten lebhaft an alte Zeiten, da Kreuzritter durch dieselben Gefilde zogen. (…) Der Kaiser auf dem prächtigen Schimmel trägt die Tropenuniform, die Kaiserin reitet neben ihm; ihnen schließt sich zu Roß und zu Wagen der glänzende Zug der Begleiter an."
Ein Einzug in Jerusalem. Im Jahr 1898 reiste der deutsche Kaiser Wilhelm II. nach Palästina. Ob Wilhelm II. und seine Frau Auguste Viktoria bei ihrem Einzug auch einmal an den einen gedacht haben, der lange vor ihnen auf einem Huftier nach Jerusalem hinein geritten ist? Das deutsche Kaiserpaar war schon einige Tage im Land unterwegs gewesen. Sie müssen sie überall gesehen haben, all die kleinen, struppigen Esel mit den langen, weichen Ohren und den kleinen, harten Hufen.
So einen Esel wählt sich Jesus aus, um in die Stadt Jerusalem einzuziehen. Klein und struppig, genügsam und belastbar, sanft und störrisch. Die Geschichte von seinem Einzug in Jerusalem ist die einzige aus der Bibel, die im Kirchenjahr zweimal als Evangelium gelesen wird: am ersten Advent und heute, am Palmsonntag, zum Beginn der Woche, an deren Ende Jesus am Kreuz sterben wird. Eine Geschichte, die man wahrscheinlich wirklich zweimal hören muss. Damit wir Christinnen und Christen nicht vergessen, was für einen König wir haben.
Jesus zieht auf einem Esel in Jerusalem ein. Das beschreibt das Matthäusevangelium so:
"Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf.
Aber eine große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe! Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der? Das Volk aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa." (Matthäus 21,6-11)
Keine flatternden Standarten, keine blitzenden Uniformen, keine wallenden Staubmäntel und wehenden Tropenschleier beim Einzug in Jerusalem. Stattdessen ein junger Mann auf einem ausgeliehenen Esel, den die Freunde von Jesus für ihn besorgen mussten.
Nach allem, was ich über Esel weiß, wollte auch dieser Esel bestimmt nicht ohne weiteres mitgehen. Er dürfte die Freunde von Jesus zur Verzweiflung getrieben haben. Warum es unbedingt ein Esel sein musste, das hatten sie sowieso nicht verstanden. Aber sie hatten auch längst gelernt, dass es bei Jesus meistens so war: Wenn sie Glück hatten, dann würden sie es hinterher verstehen.
Selbst der Autor des Matthäusevangeliums hatte offenbar Schwierigkeiten, die Sache mit dem Esel richtig zu verstehen. Er erinnert sich an die Verheißung eines Propheten aus dem Alten Testament:
"Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin." (Sacharja 9,9)
Der eine Esel wird hier zweimal beschrieben: ein Esel, genauer gesagt ein Füllen der Eselin. Im Hebräischen ist die leicht veränderte Wiederholung eines Begriffs eine Stilfigur, der sogenannte parallelismus membrorum. Ein poetisches Mittel, das eine andere Perspektive auf den gleichen Begriff ermöglicht. Nicht nur ein König auf einem Esel, sondern auch noch auf einem jungen Esel. Dass es sich um einen jungen Esel handeln soll, wirkt sich auch auf seinen Reiter aus. Ein Junge auf einem jungen Esel – so stellt sich vielleicht der Prophet den König vor, der zu den Menschen in Israel kommen sieht. Ein kindlicher König, barfuß wahrscheinlich, mit einem Grashalm im Mund.
Was für ein Gegenbild zu Pferden mit den stampfenden Hufen und schnaubenden Nüstern vor den Streitwagen oder mit gepanzerten Kriegern auf ihrem Rücken. Unser König kommt anders, sagt ihnen ihr Prophet. Unser König schert sich nicht um Reichtum, um kriegerische Stärke, um Macht. Das hat er alles nicht. Woher auch, er ist ja noch ein Kind. Und dieser Eselreiter soll unser König sein.
Viel später hat sich Jesus dann einen Esel ausgeliehen, um in die Stadt Jerusalem zu reiten. So berichten es die vier Evangelien. Und alle, außer eben Matthäus, gehen davon aus, dass es sich um einen Esel gehandelt hat. Die Sache mit den zwei Eseln hat Bibelwissenschaftlern allerdings schon viel Kopfzerbrechen bereitet. Wie reitet man denn bloß gleichzeitig auf zwei Eseln, wenn das Ganze nicht in eine Zirkusnummer ausarten soll?
Ein kleines exegetisches Missverständnis des Matthäus also. Es trägt unfreiwillig mit dazu bei, dass diese ganze Sache mit dem Einzug zu einer Karikatur all der sorgfältig inszenierten Einzüge und Auftritte wird, die wir von den Mächtigen aller Zeiten sonst so kennen.
Am Palmsonntag in Jerusalem legen die Freunde von Jesus dem ausgeliehenen, geduldigen, aber leider auch ein bisschen staubigen Esel irgendein Kleidungsstück auf den Rücken. Sie warten, bis Jesus aufgestiegen ist. Dann setzen sie sich in Bewegung. Vorne zieht einer, hinten gehen die anderen mit dem Stock, aber immer nur so schnell, wie die kleinen Hufe des Esels es ihnen vorgeben.
Zu ihrer eigenen Überraschung erregen sie doch einige Aufmerksamkeit. Jerusalem war zum Passa, dem höchsten religiösen Fest, voller Menschen und voller angespannter Erwartung. Alle suchen nach einer neuen Hoffnung angesichts der bedrückenden äußeren Situation in ihrem Land. Fremde Herrscher haben es besetzt. Und dieser Eselreiter ist ein Symbol für sie, ein Bild für die Herrschaft eines anderen Königs als des römischen Kaisers.
Viele von ihnen werden die prophetische Verheißung im Ohr haben: "Du Tochter Jerusalem, siehe, dein König kommt zu dir und reitet auf einem Esel." Und nun sehen sie diese etwas lächerliche Gruppe Menschen kommen, die sich mit einem geliehenen Esel abmühen, und einer von ihnen sitzt darauf.
Siehe, dein König kommt zu dir. Von einem Augenblick zum andern erkennen sie: Ihre größte Hoffnung wird wahr. Die Hoffnung, dass es wirklich anders wird in der Welt, wie sie sie kennen. Dass nicht mehr Macht und Besitz zählen und Unterdrückung und Gewalt. Dass einer kommt und regiert, der bescheiden und belastbar ist, genügsam und sanftmütig. Auf so einen Herrscher, auf so eine Regierung warten sie.
Die Menschen damals in Jerusalem haben in Jesus aus Nazareth den wahren König erkannt. Und sie spielen deswegen dieses Straßentheater mit, diese vom Propheten vorhergesehene Satire auf den Einzug eines Herrschers. Pflichtschuldig und in Ermangelung kostbarer Stoffe oder gar roter Teppiche breiten sie Teile ihrer bescheidenen Bekleidung auf der Straße aus und sammeln sie schnell wieder ein, sobald der Esel darüber getrippelt ist.
Sie rennen zu den Bäumen am Straßenrand und brechen Zweige ab, damit sie etwas zum Winken und zum Streuen haben. Denn leider wurden ja nicht, wie sonst bei solchen Anlässen üblich, Fähnchen an die Bevölkerung ausgeteilt oder Flaggen gehisst. Des Kaisers neue Kleider sind hier nicht zu bewundern. Jesus sieht aus wie einer von ihnen und überragt wegen seines wenig repräsentativen Reittiers die Menge auch nur um ein Weniges. Aber vor ihm und hinter ihm schließt sich eine sehr große Menge Menschen dem Einzug an. So viele, dass die Autoritäten der Stadt anfangen, sich Sorgen zu machen. Und anfangen zu fragen: Wer ist der?
Jesus aus Nazareth ist ein König auf einem Esel, bescheiden und belastbar, genügsam und sanftmütig. Und auch, das wissen wir heute, bald erledigt von den Autoritäten, von ihrer Macht und ihrem Besitz, der Unterdrückung und Gewalt, die sie ausüben. Es musste so kommen mit Jesus. Wie der Esel ist sein Reiter: Beim Einzug in Jerusalem erscheint er sanftmütig. Seine störrische, wilde Seite zeigt er bald danach. Er erreicht die Stadt und den Tempel und geht hinein und räumt darin auf. Er wirft im Gotteshaus die Tische der Geldwechsler und der Taubenhändler um.
Auch Kinder sind da im Tempel. Sie erkennen ihn als König und rufen Hosianna so wie vorher die Leute auf der Straße. Angst vor ihm haben sie nicht. Denn sie sind Kinder, und sie wissen, dass man sanftmütig und störrisch zugleich sein kann: wie ein Esel mit seinen weichen Ohren und harten Hufen. Oder sanftmütig und störrisch kurz nacheinander wie ein Kind. Und dass das Recht auf Wutanfälle und Sachen umschmeißen auch Erwachsene haben sollten. Weil man nicht alles hinnehmen kann, wenn etwas grundlegend falsch läuft.
Ein Einzug in Jerusalem. Der Kaiser auf seinem prächtigen Schimmel und Jesus auf einem geliehenen Esel. So ziehen sie seit Jahrtausenden durch diese Welt. So kommen sie heute bei uns an. Und ich weiß, wen ich bei mir haben will und wer der König meines Herzens sein soll. Einer, der die staubigen Straßen nicht scheut, die in mein Herz führen. Und der auch keine Angst hat vor der Räuberhöhle, die er möglicherweise in mir vorfindet. Einer, der mich von Herzen verändert, mich bescheiden und belastbar macht, genügsam und sanftmütig. Und der mich störrisch wie ein Esel an der Hoffnung festhalten lässt: Diese Welt ist zum Guten veränderbar.
Musik dieser Sendung:
1. Sonata aus der Kantate BWV 182 Himmelskönig, sei willkommen vom Album John Eliot Gardiner, Bach Cantatas
2. Camille de Saint-Saens, Der Karneval der Tiere, Ein Chor von Eseln vom Album Peter Stangel, Taschenphilharmonie, Der Karneval der Tiere (Große Klassik für kleine Ohren)
3. Thomanerchor Leipzig, Erhard Mauersberger, Hosianna dem Sohne Davids vom Album In dulci jubilo, 1969 (auf Spotify)
4. Camille de Saint-Saens, Der Karneval der Tiere, Ein Chor von Eseln vom Album Peter Stangel, Taschenphilharmonie, Der Karneval der Tiere (Große Klassik für kleine Ohren)
5. Ride on, ride on in majesty vom Album 20 Favourite Eastern Hymns