Bei der Einführung von Joe Biden als US-Präsident stand die junge Dichterin Amanda Gorman vor dem Kapitol in Washington und sprach von Hoffnung. Wo stehen wir vier Jahre später?
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Ich erinnere mich heute an eine junge schwarze Frau in einem gelben Mantel und mit einem roten Tuch um den Kopf. Aufrecht, schön und stolz rezitiert sie als "Inaugural Poet" zur Einführung des 46. Präsidenten der USA ein Gedicht. Mit "The Hill We Climb" ist die junge Dichterin Amanda Gorman schlagartig berühmt geworden.
Es war die Einführung von Joe Biden 2021 - heute vor vier Jahren. Gorman bezieht sich in ihrem Gedicht auch darauf, dass wenige Tage zuvor die wütenden Anhänger Donald Trumps das Kapitol erstürmt hatten. Sie sagte damals: "Wir haben Kräfte erlebt, die unsere Nation lieber spalten als teilen wollen. Unser Land zertrümmern, um den Lauf der Demokratie zu bremsen. Fast wären sie damit durchgekommen. Aber die Demokratie mag sich zeitweise hemmen lassen, doch nicht für alle Zeit verhindern." (1)
Ist das wirklich erst vier Jahre her? Heute wird Donald Trump als 47. Präsident der USA eingeführt. Ob er eine Dichterin oder einen Dichter dabei haben wird, weiß ich nicht. Ich will es auch gar nicht wissen. Mein Gefühl heute ist: Das, was 2021 nach der ersten Amtszeit von Trump endlich überwunden schien, ist mit aller Macht zurückgekehrt.
Und von oben, vom Hügel, auf dem Amanda Gorman sich selbst und uns alle schon stehen sah, sind wir alle längst wieder unten angekommen. Da wird es schwer, nicht gleich an eine andere Gestalt der Dichtung zu denken, nämlich an Sisyphos, dazu verdammt, immer und immer wieder den gleichen Stein den Hügel hinaufzurollen.
Was hilft gegen dieses Gefühl, dass es mit der Welt gerade gewaltig bergab geht? Amanda Gorman hat sich ihre Hoffnung ausgeliehen, so wie viele Menschen vor ihr. Und diese Hoffnung kommt nicht von irgendwoher, sondern aus der Bibel. Sie liegt in den Visionen der Propheten des Alten Testaments und in den Ermahnungen an die ersten christlichen Gemeinden, an die Paulus schreibt: "Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um." (2. Korinther 4,8f.)
Niemand hat gesagt, dass Hoffnung leicht ist, im Gegenteil. Da kann man Sisyphos fragen oder Paulus oder Amanda Gorman. An Tagen wie heute merke ich, dass Hoffnung schwer ist und ich meine Mühe mit ihr habe. Dann halte ich mich an Worten fest, an denen aus der Bibel und an denen der jungen schwarzen Dichterin in ihrem gelben Mantel. Sie spricht mir aus dem Herzen: "Bei allem Gram, wir sind gewachsen. Bei aller Not, wir haben gehofft. Bei aller Ermüdung, wir haben uns bemüht. Wir bleiben verbunden, werden überwinden."
Es gilt das gesprochene Wort.
Literaturangaben:
- Amanda Gorman, The Hill We Climb. Den Hügel hinauf. An Inaugural Poem for the Country. Ein Inaugurationsgedicht für das Land. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt und kommentiert von Uda Strätling, Hadidja Haruna-Oelker und Kübra Gümüsay, Hamburg 2021.