"Die größte Dichterin, die Deutschland je hatte", hat sie jemand genannt. Die Nazis haben sie aus Deutschland vertrieben. Ihre Gedichte sind voller Lebenshunger und Mut.
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Selbst im Tod fand sie keine Ruhe. Wenige Jahre, nachdem sie gestorben war, wurde ihr Grab zerstört. Ihren Grabstein fand man eher zufällig Jahre später am Straßenrand wieder. "Die größte Dichterin, die Deutschland je hatte", nannte sie der Dichter Gottfried Benn. Das war allerdings auch erst nach ihrem Tod. "Ich glaube, so hat niemand sein Herz barfuß durch die Straßen getragen wie ich", schrieb sie einmal über sich selbst. Heute vor 80 Jahren ist die Dichterin Else Lasker-Schüler in Jerusalem gestorben.
Ich bin ihren Gedichten zum ersten Mal in Wuppertal begegnet, genauer gesagt in Wuppertal-Elberfeld. Als ich dort mein Theologiestudium begann, lernte ich auch die berühmte Tochter dieser Stadt kennen. Else Schüler kam in einer jüdischen Bankiersfamilie zur Welt. Ihren wahren Heimatort suchte sie selbst allerdings immer woanders. Sie erfand sich eine eigene Biographie. Das klang dann so: "Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam, im Rheinland. Ich ging bis elf Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich."
Das mit dem "Vegetieren" stimmte leider wirklich. Als "Prinz von Theben" verkleidet, mit kurzen Haaren und im orientalischen Kostüm lief sie später, in den Goldenen Zwanzigern durch die Straßen Berlins. Nach zwei gescheiterten Ehen und ebenso scheiternden Liebschaften war sie allein und weitgehend mittellos. Sie lebte von dem, was Freunde ihr zusteckten.
1933 musste sie Deutschland verlassen. Zunächst emigrierte sie in die Schweiz und später dann nach Jerusalem. Aber auch diese Stadt, die eigentlich das Ziel einer ihrer großen Sehnsüchte war, wurde ihr nicht mehr zu Heimat. "Gebet" heißt das Gedicht, in dem sie ihre Erfahrung lebenslanger Heimatlosigkeit beschreibt: "Ich suche allerlanden eine Stadt, / Die einen Engel vor der Pforte hat. / Ich trage seinen großen Flügel / Gebrochen schwer am Schulterblatt / Und in der Stirne seinen Stern als Siegel."
Else Laskers-Schülers Gedichte haben mich berührt, als ich sie zum ersten Mal las und das Schicksal der Dichterin noch gar nicht kannte. Selbst, wenn ihr Leben nicht von Verfolgung durch die Nationalsozialisten und die Erfahrung des Exils geprägt gewesen wäre: So viel Sehnsucht, so viel Lebenshunger, so viel Mut, sich einfach nicht um das zu kümmern, was man von einer Frau zu ihrer Zeit erwartete.
Ihre Gedichte erinnern mich daran, dass man wahrscheinlich nicht beides zugleich haben kann, Freiheit und Sicherheit. Ihr hoher Ton ist bestimmt nicht alltagstauglich. Aber er hält meine Sehnsucht lebendig.
Es gilt das gesprochene Wort.