„Geteilte Hoffnung – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“

St.-Sebaldus-Kirche Nürnberg

„Geteilte Hoffnung – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“
Gottesdienst-Live-Übertragung aus der St.-Sebaldus-Kirche in Nürnberg
05.12.2021 - 10:05
26.11.2021
Pfarrer Axel Töllner
Über die Sendung

 

 

Gottesdienst nachhören

 

 

Gottesdienst nachhören: 
 
Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage! 
 
Predigt zum Nachlesen

Predigt I: 

 

Liebe Gemeinde,

die Pandemie hat freigelegt, wozu wir Menschen in der Lage sind – im Guten wie im Bösen. Ein großer Teil unserer Bevölkerung hat sich eingeschränkt, um unnötige Risiken zu vermeiden. Viele Kinder und Jugendliche haben auf so viel verzichtet, auf das Feiern, auf ihre Freunde aus Rücksicht auf die Älteren. Ich denke auch an die Wissenschaftler, die in so kurzer Zeit so zuverlässige Impfstoffe entwickeln konnten, die vielen das Leben retten.

Und ich denke an den Hass und Verschwörungsvorstellungen, die in dieser Zeit wieder an die Oberfläche gekommen sind. Ich finde es schlimm, dass wir an diesem 5. Dezember 2021 nicht sagen können: Das liegt hinter uns.

Gut 670 Jahre nach dem Gewaltexzess hier in der Nachbarschaft müssen wieder vielfach „die Juden“ als Feindbild herhalten. Die Vorzeichen verändern sich, aber das Muster bleibt: Das Leben ist manchmal kompliziert. Und wenn es schwierig wird, dann greifen viele einfach in die Mottenkiste der Verschwörungen: An allem sind die Juden schuld.

Mal sollen sie die Brunnen vergiftet haben, um die Christen mit der Pest gefügig zu machen. Mal sollen jüdische Ärztinnen und Ärzte mit ihrer Medizin die christliche Bevölkerung krank gemacht haben. Heute sollen Juden angeblich schädliche Impfungen entwickeln oder Politiker manipulieren. Es gibt immer wieder Menschen, die so einen Unsinn glauben. Und das hat auch etwas mit alten Bildern zu tun, wie wir sie hier in der Sebalduskirche oder in anderen Kirchen finden. Seit Jahrhunderten erzählen Altäre und Fenster, Portale und Tafelbilder davon, dass Juden das Schlimmste zuzutrauen ist.

Das sind keine schönen, erbaulichen vorweihnachtlichen Geschichten. Doch ich meine, wir müssen heute im Gottesdienst darüber reden. Denn der alte Judenhass ist immer noch furchtbar aktuell, und er macht unsere Gesellschaft kaputt.

Advent ist ja nicht nur eine Zeit mit nettem Brauchtum, würzigen Speisen und gemütlichen Kerzen. Advent ist auch eine Zeit des Hoffens, dass Gott kommt, weil hier eine Menge im Argen liegt. Wir singen den Trost der Welt herbei, der endlich die Himmel aufreißen soll, damit aus wirklich jedem Jammertal eine Oase wird. Und damit Gott zu mir kommen und mich verändern kann, schenkt mir der Advent eine Zeit, in der ich mich ernsthaft prüfen soll.

Die Welt braucht diesen Advent. Und sie kann hoffen, weil Gott sich an diese Welt gebunden hat. Davon singt auch Maria in ihrem Lobgesang. Im Lukasevangelium hören wir im ersten Kapitel:

 

Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.

Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.

Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.

Und seine Barmherzigkeit währet für und für bei denen, die ihn fürchten.

Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.

Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.

Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.

Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,

wie er geredet hat zu unsern Vätern,

Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit.

 

 

 

 

 

Predigt II

 

Liebe Gemeinde,

Maria ist eine Hoffnungsträgerin. Maria trägt diese Hoffnung schon in ihrem Namen. Maria, das ist die griechische Form von Mirjam. Mirjam war eine Prophetin, sie war die Schwester des Mose, und Mirjam singt am Roten Meer, als die Israeliten ihren Gott feiern, der sie aus der Hand der mächtigen Ägypter befreit hat.

Maria trägt die Hoffnung weiter, wenn sie ihr Magnificat singt. Sie lebt aus einer Hoffnung, die christliche und jüdische Menschen verbindet. Sie singt die Hoffnung heraus, dass Gott selbst kommt und das schafft, womit wir Menschen uns schwertun: Eine gerechte Welt. Den Ausgleich zwischen denen, die viel Macht haben und denen, die wenig Macht haben. Maria singt ihr Magnificat aus der Perspektive der Menschen, die darauf hoffen, dass Gott kommt und dass das alles verändern kann. Und dabei trägt Maria die Hoffnung weiter, die seit vielen Generationen in ihrem jüdischen Volk lebendig ist. Eine Hoffnung, die auch frei macht von Engstirnigkeit, Machtgier und Hochmut.

Maria könnte eine Hoffnungsträgerin sein für Christen und Juden. Doch unsere christliche Tradition hat die Hoffnungsträgerin Maria eifersüchtig für sich reklamiert. In dieser christlichen Wahrheit war kein Platz mehr für eigenständige jüdische Hoffnungen. So hat unsere christliche Tradition aus der jungen jüdischen Frau vielfach einen Stein des Anstoßes gemacht. Die Hoffnungsträgerin wird zu einem Bild für Feindseligkeit.

Davon zeugen auch die Sebalduskirche und viele andere Kirchen. Die christliche Tradition erklärt Maria zu ihrem alleinigen Besitz als Sinnbild für die christliche Kirche. Aus diesem Ungeist hat man drüben am Hauptmarkt mit der Frauenkirche eine Marienkirche dorthin gebaut, wo bis zum 5. Dezember 1349 die Synagoge stand. Und so geschah es auch an anderen Orten: Maria muss herhalten für eine Unterwerfung.

Doch Maria singt aus der Perspektive derer, die unterworfen werden. Und so höre ich ihre Hoffnungen auf Gott als unmissverständliche Drohung gegen jede Form von Überheblichkeit. Auch gegen christliche Überheblichkeit. Marias Magnificat warnt eindringlich: Schluss mit dem hochmütigen Denken, dass wir Christenmenschen die Wahrheit gepachtet hätten. Das führt in die Irre. Gott schenkt seine Treue und ist denen gegenüber barmherzig, die ihm die Ehre geben. Wer das ist, darüber entscheidet Gott selbst und kein Mensch.

Predigt III

Liebe Gemeinde,

die Grundmelodie des Magnificat ist die Treue Gottes. Gott zieht seine Versprechen nicht zurück, sondern er erneuert sie immer wieder in großer Geduld. Diese Grundmelodie bringt Marias Magnificat zum Klingen, und sie geht bis heute in 

der jüdischen und in der christlichen Gemeinschaft weiter: Gott hat sich an Sein Volk Israel gebunden zum Wohl für die ganze Schöpfung. Hier kommt er zur Welt, um zu bekräftigen, was er verspricht: „Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit.“

Die Hoffnung auf Gottes Treue verbindet ganz verschiedene Menschen mit ganz verschiedenen Überzeugungen und Prägungen und bereichert sie. Seit dem Reformationsjahr 2017 lese ich zusammen mit einer Gruppe von Christen und Juden aus verschiedenen Ländern in der Bibel: aus Israel, Ägypten. Ghana. Den USA. Wir haben damals begonnen mit den Abrahamsgeschichten und lernen bis heute miteinander in Videokonferenzen. Es gibt keine unerlaubten Fragen. Es gibt kein richtig und falsch, es gibt niemanden, der oder die behauptet: Ich habe besser verstanden als du, worum es geht. Alle lernen voneinander und miteinander, alle bringen ihre verschiedenen Erfahrungen und Sichtweisen mit. Dabei müssen wir uns nicht einig werden. Es gibt immer mehr als die eine Antwort auf die Frage, was in dieser oder jener Geschichte steckt, was dieser oder jener Satz heißt. Die Bibel erschöpft sich nicht in einfachen Antworten. Es ist viel spannender weiterzudenken, was in all den unterschiedlichen Auslegungen an Schätzen steckt.

1.700 Jahre nach dem ältesten schriftlichen Zeugnis über jüdisches Leben auf dem Gebiet, das heute Deutschland ist, schaue ich heute auf das christlich-jüdische Verhältnis. Die letzten Jahrzehnte haben alte Feindbilder ins Wanken gebracht und neue Einsichten eröffnet. 1998 etwa hat die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern nebenan hier im Rathaussaal in Nürnberg eine Grundsatzerklärung zu einer neuen Bestimmung des christlich-jüdischen Verhältnisses verabschiedet. Darin bekennt sie sich zu ihrer antijüdischen Schuldgeschichte. Sie nimmt aber auch die Zukunft in den Blick:

„Juden und Christen leben auch in der Trennung aus der gemeinsamen Geschichte Gottes mit seinem Volk, deren Vollendung sie erwarten.“ Der jüdisch-christliche Dialog ist eine Schule der Vielfalt. Und seitdem ich an diesem Dialog beteiligt bin, habe ich das Gefühl, dass ich ein Wunder erlebe. Dass dort Vertrauen und Verbundenheit gewachsen sind, ist angesichts des

Hochmuts und der Feindseligkeit vor allem in der christlichen Gemeinde im Grunde ein Wunder.

Wir stehen erst am Anfang. Es ist ein langer Abstieg vom hohen Ross, und der alte Hass findet immer wieder neue Formen und Menschen, die ihn weitertragen. Doch die ersten Schritte auf den neuen Wegen sind gemacht. Die Treue Gottes liefert die Grundmelodie, die alles trägt und weiterbringt. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

26.11.2021
Pfarrer Axel Töllner