Kann denn Liebe unfair sein?

Evangelischer Rundfunkgottesdienst

Bild: Gemeinde Lübbecke

Kann denn Liebe unfair sein?
Rundfunkgottesdienst aus der Winterkirche im Thomas-Gemeindehaus, Lübbecke
09.02.2020 - 10:05
30.01.2020
Eberhard Helling
Über die Sendung

„Kann denn Liebe unfair sein?“

Diese Frage steht im Zentrum dieses Gottesdienstes. Dabei geht es sowohl um die unkalkulierbare Zuwendung Gottes als auch um zwischenmenschliche Beziehungen, die manchmal anstrengend werden.
Liturgie und Predigt übernimmt Pfarrer Eberhard Helling. Lektorinnen und Lektoren bringen mit ihren unterschiedlichen Stimmen verschiedene Facetten des Themas zum Ausdruck.
Vielfarbig ist auch die musikalische Gestaltung des Gottesdienstes unter der Gesamtleitung von Kirchenmusikdirektor (KMD) Heinz-Hermann Grube – sowohl was die Stücke als auch die jeweiligen Besetzungen betrifft.   
Im Januar und im Februar feiert die Evangelisch-Lutherische Gemeinde Lübbecke ihre Gottesdienste nicht in der großen St. Andreas-Kirche, sondern in ihrem  Thomas-Gemeindehaus, in einer sogenannten Winterkirche. 

 

Folgende Lieder werden im Gottesdienst gesungen:

EG 452 Er weckt mich alle Morgen

EG 277 Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist

EG 382 Ich steh vor dir mit leeren Händen

EG 355 Mir ist Erbarmung widerfahren

 

Gottesdienst nachhören

 

Den Gottesdienstmitschnitt finden Sie auch direkt unter http://www.deutschlandradio.de/audio-archiv.260.de.html?drau:broadcast_id=122

Predigt zum Nachlesen

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und unserem Herrn, Jesus Christus. Amen.

Ich sag es Ihnen lieber gleich zu Anfang: Jedes Mal, wenn ich die Geschichte vom Weinbergbesitzer höre, ärgere ich mich. Wie kann ein Mensch, der verantwortlich mit seinem Geld und Gut umgeht, so unvernünftig sein? Und wieso stellt Jesus ausgerechnet so einen Kerl als Vorbild hin? Er lässt Leute in seinem Weinberg arbeiten. Schön und gut. Aber die arbeiten ja ganz unterschiedlich lange. Manche ackern seit den frühen Morgenstunden in seinem schönen Weinberg. Manche kommen erst am späten Nachmittag dazu und schwingen noch für wenige Stunden die Hacke. Und allen gibt er gleich viel Geld für ihre Arbeit. Der, der den ganzen Tag geackert hat bekommt genauso viel oder wenig wie der, der am Nachmittag entspannt dazu gekommen ist. Das ist doch unfair. Und demütigend. Was denkt der Kerl sich bloß dabei? Weiß der überhaupt, was das für ein Gefühl ist? Zu spüren, ich ackere wie verrückt und das wird gar nicht gesehen, gar nicht honoriert.

 

Ich fühle mich unfair behandelt, wenn ich für die Schule gelernt habe und ich dann trotzdem eine schlechte Note schreibe. Neulich hat unsere Bio-Lehrerin uns alle als „inkompetent“ bezeichnet. Klar bin ich auch manchmal selbst schuld, wenn etwas nicht so gut klappt. Aber alle über einen Kamm zu scheren, das geht gar nicht. Das ist doch unfair.

 

Ein Bekannter von mir hat sein Leben lang Sport gemacht und sich gesund ernährt. Wir alle dachten, dass der bestimmt ein hohes Alter erreichen wird. Er hat alles richtig gemacht. Und dann bekommt er eine Diagnose, mit der keiner gerechnet hat. Es hat keine 8 Wochen gedauert und er war nicht mehr unter uns. Das ist doch unfair.

 

Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, die mich ärgern – aber ich hab in der letzten Zeit mehr und mehr den Eindruck, dass sich das häuft: neulich wollte ich auf der Bank ein paar Dinge erledigen, Überweisungen in Auftrag geben, einmal auf meinem Konto nach dem Rechten sehen. Da kommt so ein junger Kerl daher, sagt, dass er nicht viel Zeit hat und drängt sich einfach ganz nach vorne. Ich verstehe ja, dass die jungen Leute wenig Zeit haben; aber warum müssen wir alten Menschen immer wieder zurückstecken und Verständnis aufbringen, wenn die anderen an uns vorbei brausen?! Das ist doch unfair.

 

Unfair – das Leben kann so unfair sein. So unfair, wie der Weinbergbesitzer in der Geschichte, die Jesus erzählt. Der ist schon ein sehr merkwürdiger Kerl. Nicht nur, dass er mit seinem Geld ausgesprochen großzügig umgeht... Bitte – er kann damit machen, was er will – aber, wenn er bei jedem Ernteeinsatz seine Mitarbeiter so bezahlt: egal wie lange die Leute gearbeitet haben, jeder bekommt den gleichen Lohn – wenn er das jedes Mal so macht, dann wird er nicht mehr lange Weinbergbesitzer sein. Dann hat sich sein Vermögen schnell aufgebraucht. Mich wundert vor allem, wie er seine Arbeiter organisiert. Kann er sich nicht am frühen Morgen überlegen, wie viele Leute er braucht – und dann geht er auf den Markt, stellt genauso viele Leute ein, wie er benötigt und die werden dann auch am Ende des Tages vernünftig bezahlt – und fertig!?!

Nein – so ein Weinbergbesitzer ist das offensichtlich nicht. Von wegen Buchführung und Haushaltsplan. Das ist nicht sein Ding. Aber was ist denn sein Ding?

Weinbergbesitzer, …Weinberg, ...

Als Jesus seinen Zuhörern die Geschichte vom Weinbergbesitzer erzählt, ahnen sie: das ist keine Geschichte aus unserer Arbeitswelt. Der Weinbergbesitzer und sein Weinberg. Das ist seit uralter Zeit ein Bild für einen Liebhaber und seine Geliebte; wie der Weinbergbesitzer den Weinberg umgräbt, wie er ihn schützt, eine Mauer baut, damit nichts von wilden Tieren zerstört wird, … Das sind alles Bilder für das Werben eines jungen Mannes um seine Geliebte – er gräbt, er baggert sie richtig an. So ein junger Kerl bringt all seine Phantasie auf, lässt sich schöne Sachen einfallen, damit seine Angebetete sich immer wieder gerne an ihn erinnert. Und wehe ein anderer kommt ihr zu nahe – da wird ein Schutzwall aufgezogen, ... Der Weinbergbesitzer und sein Weinberg, der Liebhaber und seine Geliebte – dieses Motiv taucht in der Bibel immer wieder auf. Zum Beispiel beim Propheten Jesaja im Alten Testament. Da wird in einem Weinberg-Liebeslied das Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk besungen: so wie ein Weinbergbesitzer sich um seinen Weinberg kümmert, so wie ein Liebhaber sich um seine Geliebte müht – so sucht Gott nach Kontakt zu den Menschen. Und bei dieser Kontaktsuche geht es bei weitem nicht immer vernünftig und rational zu. Die Liebe, die unbedingte Liebe, hat ihre ganz eigene Logik. Wie bei dem Weinbergbesitzer, der immer und immer wieder danach schaut, Leute zu finden, die sich um seinen geliebten Weinberg kümmern. Und damit es dem Weinberg gut geht, dafür ist diesem Weinbergbesitzer kein Aufwand zu groß. So steht es um Gott und seine Menschenkinder.

 

Misericordias Domini- in aeternum cantabo. Die Barmherzigkeit des Herrn – in Ewigkeit besinge ich sie!, heißt das übersetzt. Und der merkwürdige Mann in der Geschichte, die Jesus seinen Zuhörern erzählt, – das ist kein anderer, als der vor Liebe kranke, allmächtige und barmherzige Gott. Der engagiert bis zum Schluss Leute, damit es seinem Weinberg, seinen geliebten Kindern an nichts mangelt.

Wenn Gott sich so um seine Menschenkinder kümmert, dann kann ich mir auch vorstellen, dass es Unmut gibt bei den Leuten, die in den Diensten dieses Gottes stehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Engagierten, die, die ihr Leben mit Gott verbringen, sich eigentlich eine gute Position bei Gott ausmalen. Jesus erzählt seinen Leuten diese Geschichte vom merkwürdigen Weinbergbesitzer, damit ich ein Gespür dafür bekomme, wie Gott mit seinen Leuten – mit allen seinen Leuten umgeht – mit denen, die schon immer mit dabei sind und mit denen, die erst später dazu kommen.

Jesus erzählt mir diese Geschichte, damit ich verstehe: die Mannschaft des Weinbergbesitzers ist herzlich gebeten, sich an der Freundlichkeit, der Barmherzigkeit ihres Chefs zu freuen. Da gibt es keine hoch verdienten Langzeit-Arbeiter. Da gibt es keine Untergebenen, die sich bitte schön hintenanstellen sollen, wenn die starken Persönlichkeiten, die Hochverdienten, die Dauerengagierten erscheinen. In diesem Weinberg, im Volk Gottes, in der Kirche sind alle gleich geachtet. Gott sei Dank!

Ob ich mir das gerne gefallen lasse? Schließlich gehöre ich doch zu den Leuten, die sich schon ihr Leben lang um Kirche und Glauben mühen... und dann gibt es Menschen, die nur kurz, sozusagen auf Stippvisite bei der Arbeit in der Gemeinde mitmachen... und das soll alles gleich viel wert sein? Dabei denke ich: der Zusammenhalt in den Gemeinden, hängt der nicht an den Leuten, die immer und immer wieder da sind und treu zur Gemeinde stehen? Leute wie ich, die rackern sich ab, renne den Leuten hinterher ... immer wieder auch vergeblich. Engagement und Frust – das gehört gerade im Weinberg des Herrn oft zusammen – und gerade deswegen sind die Langzeitarbeiter doch ganz wichtige Figuren – oder? Immerhin halten die doch den alten Laden, die Kirche zusammen, ohne die würde doch schon längst alles auseinandergeflogen sein!... Ach ja? Kann es vielleicht auch sein, dass trotz des ganzen Engagements es noch so etwas wie Kirche gibt. Und kann es vielleicht auch sein, dass Gott ganz andere Maßstäbe hat, die Mitarbeiterschaft in seinem Weinberg zu beurteilen. Ihm sind die Leute, die irgendwann einmal dazu kommen und vielleicht nur ein ganz klein bisschen bewegen konnten, genauso lieb und wert, wie die, die ihr ganzes Leben mit Gott und Kirche verbringen. Gott schaut uns alle, wirklich alle mit unendlich freundlichen und barmherzigen Augen an. Wie redet der Weinbergbesitzer doch gleich den Langzeit - Arbeiter an, der sich bei ihm beschwert? Er sagt zu ihm: „Mein Freund!“

Mein Freund - In dieser Anrede steckt die ganze Zuneigung Gottes zu den Unverzichtbaren, den Hochengagierten, die sich ihr Leben lang um den Glauben mühen – und mehr braucht es nicht. Mehr gibt es auch nicht als diese unbedingte Zuneigung.

Und wie schön ist es, wenn diese Freundlichkeit, diese Liebe manchmal, an ganz unerwarteter Stelle, in ganz unerwarteter Form aufblitzt:

 

Ich wohne schon lange in meiner Wohnung. Früher haben mein Mann und meine Kinder noch mit mir darin gewohnt. Die Kinder sind schon lange aus dem Haus. Mein Mann ist vor 4 Jahren gestorben – eigentlich ist die Wohnung zu groß für mich, aber ich kann mich nicht von ihr trennen. Nur fällt es mir immer schwerer, alles in Ordnung zu halten. Ob die Nachbarin das gemerkt hat? Wir hatten bislang nie viel miteinander zu tun. Vor ein paar Wochen bot sie an, mir beim Saubermachen zu helfen. Seitdem koche ich uns einmal in der Woche einen vernünftigen Kaffee, besorge ein bisschen Kuchen und dann ist die Arbeit so schnell getan...

 

Ich bin schon lange im Angel– und Fischerverein unserer Gegend. Ich habe mir nie viel gemacht aus der guten Ausstattung, die meine Vereinskameraden zum Teil haben. Mir ist die Ruhe wichtig, die ich beim Angeln habe, dass ich in Frieden auf unseren See schauen kann. Vor ein paar Tagen kam der alte Vorsitzende bei mir vorbei. Er ist schon seit einigen Wochen nicht mehr richtig auf dem Posten – er hat mir seine ganze Ausstattung übergeben – was die wert ist...!?

 

Ich kenne einen Jungen, der wurde von den Gefühlen eines Mädchens völlig überrascht. Er mochte sie schon seit langer Zeit. Er traute sich aber nie, es ihr zu sagen. Ich weiß gar nicht genau wie, aber das Mädchen hat ihm irgendwie gesteckt, dass sie ihn auch gut findet. Sie sind jetzt schon seit ein paar Wochen zusammen – ist richtig süß, die zu sehen...manchmal aber auch ein bisschen anstrengend.

 

Ja – Liebe kann ganz schön anstrengend sein. Und wenn es so anstrengend ist, wie das Staubsaugen bei der alten Nachbarin. Dann wieder überrumpelt einen die Zuneigung regelrecht; wie sollte man auch damit rechnen, dass mir jemand etwas sehr Wertvolles anvertraut, weil dieser Mensch vermutet, dass dieses Wertvolle bei mir gut aufgehoben sein könnte – wie bei den Anglerfreunden. Und dann wieder sehnt man sich nach so sehr danach – und weiß doch ganz genau – ich hab’s nicht in der Hand – das kann schon in einer Jugendliebe so schön, so schmerzhaft deutlich werden.

Ich kann mich um die Liebe mühen, wie der Weinbergbesitzer sich um seinen Weinberg müht, manchmal kommt sie völlig unerwartet um die Ecke – so wie die aufmerksame Nachbarin; aber wenn die Liebe mich erreicht, dann weiß ich – das genügt, das reicht, mehr brauch ich nicht.

Wie beim Apostel Paulus – er war ein echter Langzeitarbeiter im Weinberg des Herrn: er hat Gemeinden gegründet, sehr persönliche Briefe geschrieben und so Kontakt gehalten zu den Menschen, die ihm wichtig waren und für die er wichtig war. In einem Brief an die Gemeinde in Korinth bringt er sich sehr persönlich ein. Die Leute in Korinth fanden ihn irgendwie langweilig, nicht aufregend, nicht überzeugend genug. Da kannten sie andere Verkündiger; Leute mit mehr Pepp.

 

Paulus hatte nämlich ein Handicap. Dabei hatte er großartige Erfahrungen mit Gott und dem Glauben gemacht und das hat er weitergegeben – er hat sich so für alle und alles eingesetzt – und jetzt wird ihm das so gedankt? Konnte Gott ihm, seinem Langzeitarbeiter da nicht etwas mehr von seiner Freundlichkeit zeigen, konnte Gott ihm diese Einschränkung, diese Schwäche nicht einmal wegnehmen?!

Paulus schreibt an die Korinther: Damit ich wegen der hohen Offenbarungen nicht überheblich werde, wurde mir als Dorn im Fleisch ein Leiden gegeben - ein Bote Satans, der mir Faustschläge versetzen soll, damit ich nicht überheblich bin. Dreimal habe ich den Ewigen inständig gebeten, dieser möge von mir ablassen. Und Gott ließ mich wissen: „Lass dir meine Zuneigung genug sein. Gerade in den Schwachen lebt meine volle Kraft.“ (2. Kor. 12, 7-9, BigS)

 

Mehr als Gottes Liebe braucht es nicht.

Wenn ich doch endlich ein Gespür dafür bekäme, wie groß, wie weit, wie tief diese Liebe Gottes reicht, ich könnte mich nur von Herzen darüber freuen – ich weiß: diese Liebe wird nie in den Besitz von irgendwelchen Gruppen oder Gemeinschaften übergehen – diese Liebe ist nicht kalkulierbar, sie bricht an ganz unerwarteten Stellen auf. Und sie zielt darauf, dass alle einmal von ihr erreicht werden. Logisch ist das nicht – zumindest nicht in der Logik, die ich so kenne. Aber ich bin herzlich gebeten, mir das gefallen zu lassen und nach und nach, mehr und mehr zu begreifen: so ist das mit Gott und seinen Menschenkindern – die Gnade allein genügt. das ist diese „amazing grace“ – diese erstaunliche Gnade. Sie gilt selbst solchen Typen wie mir - was für ein Glück!

Die Gnade, Gottes unbedingte Freundlichkeit allen seinen Menschenkindern gegenüber - das ist der Silbergroschen, den alle bekommen und der reicht für alle. Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

30.01.2020
Eberhard Helling