Besten Wissens und Gewissens

Weiße Blumen

Gemeinfrei via unsplash/ Jez Timms

Besten Wissens und Gewissens
Wie bekomme ich ein gutes Gewissen?
27.06.2021 - 07:05
05.06.2021
Michael Becker
Über die Sendung:

Musik und Lieder können einen umstimmen, besänftigen zum Beispiel oder beflügeln. Melodien und Rhythmen reißen einen mit. Sätze, die man singt, rühren einen mehr an und prägen sich ein. Lieder können einen tragen. Davon erzählen und das reflektieren Lucie Panzer und Wolf-Dieter Steinmann in ihrer Sendung. Natürlich ist da auch viel Musik drin.

Der "Feiertag" im DLF zum Nachhören und Nachlesen.

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Ein gutes Gewissen ist etwas Schönes. Man schläft besser, heißt es sogar. Was ist das eigentlich, ein gutes Gewissen? Wann hat man ein gutes Gewissen und was hilft es einem? Wie soll ich leben, wenn es doch immer heißt: nach besten Wissens und Gewissens?

Darüber möchte ich jetzt nachdenken und dabei (dann) auch von einem Film erzählen, der vom Gewissen eines Menschen handelt. Genauer gesagt: vom guten Gewissen eines Menschen. Der Mensch, ein Kommissar, glaubt selber fest an sich und daran, dass er das Richtige tut. Aber: Kein anderer glaubt ihm. Dabei hat er tatsächlich Recht. Er hat ein gutes Gewissen - nur geht darüber beinahe sein Leben aus den Fugen.

 

So klingt Musik aus dem Film „Das Versprechen“, von dem ich gleich erzählen möchte. Und vom Gewissen eines Kommissars, der ein Versprechen abgibt, das er auch halten will, besten Wissens und Gewissens.

          Was ist eigentlich das Gewissen? Wann habe ich ein gutes Gewissen? Und wann ein schlechtes? Und warum haben manche anscheinend überhaupt kein Gewissen? Diese Fragen stellen sich Menschen manchmal, meistens in Zeiten, in denen ein Problem auftaucht mit Angehörigen, Freunden oder mit Menschen, die man gut kennt und die auf einmal ganz anders sind, als man sich das erhoffte. In ernsteren Zeiten meinen Menschen ja manchmal, dass ihr Gewissen zu ihnen spricht - oder sie klagen darüber, dass andere gar kein Gewissen haben, weil sie anscheinend gewissenlos handeln. Was ist eigentlich das Gewissen?

          Auf dem Papier ist diese Frage leicht zu beantworten. Gewissen ist das „Wissen“ um das, was gut und hilfreich ist für mich - und dann auch für andere. In seinem Gewissen sammelt ein Mensch alles, was gut ist, also alle sittlichen und christlichen Werte und Regeln, die zum Guten führen. Wenn es dann an der Zeit ist und gefordert oder sogar eingeklagt wird, tut dieser Mensch dann das Gute und Richtige - oder er tut es nicht. Und hat dann womöglich ein gutes Gewissen - oder ein schlechtes; im schlimmsten Falle gar keins. In der Bibel gibt es auch das Wort Gewissen, viel lieber aber spricht Jesus vom „Herz“ eines Menschen. „Selig sind“, sagt Jesus in der Bergpredigt, „selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.“ (Matth. 5,8). Selig sind, die um das Gute wissen und es auch tun.

          So einfach ist das - auf dem Papier.

          Im tagtäglichen Leben allerdings ist oft nichts mehr einfach. Was ist gut? Was ist hilfreich und richtig? Da gibt es jeden Tag Zweifel, oft verschiedene Ansichten und leider oft auch unterschiedliche Wege mit kleinen oder großen Fehlern und Folgen. Im Leben gibt es schwierige Entscheidungen und manche ratlose Stunde. Das Leben hält sich nicht immer an das, was ich denke und tue. Es hat viele Ecken und Brüche, die meistens nicht mit einfachen Antworten zu heilen sind. Und: Das Leben stellt mir Gewissensfragen, bei denen ich nicht sofort weiß, ob meine Antwort richtig ist und mein Weg ein guter Weg ist.

          Davon handelt der Film zum Roman „Das Versprechen“, aus dem auch die folgende, etwas eigenartige Filmmusik ist und von dem ich gleich erzählen will.

 

Der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt (1921 - 1990) war Pfarrerssohn und hat in seinen Romanen und Theaterstücken viel über Gewissen, Glauben und richtiges Handeln geschrieben. „Der Besuch der alten Dame“ heißt sein wichtiges Theaterstück über Gott und die Gerechtigkeit.

          Als Dürrenmatt in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Geld brauchte, schrieb er zuerst ein Filmdrehbuch („Es geschah am helllichten Tag“). Der Film war gefällig und erfolgreich, aber Dürrenmatt gefiel er überhaupt nicht. Er fand sein eigenes Drehbuch viel zu harmonisch. Dürrenmatt mochte das Happy End nicht, das er erfinden musste, damit die Zuschauer des Films ein gutes Gewissen haben konnten. Darum setzte er sich später (1958), als er kein Geld mehr brauchte, noch einmal hin und schrieb sein eigenes Drehbuch um zu einem Kriminalroman mit dem Titel „Das Versprechen“.

          Darin geschieht Folgendes:

 

Kurz vor Beginn seiner Rentenzeit wird der alte Kommissar an einen Tatort gerufen. Es gilt, ein schlimmes Verbrechen an einem kleinen Mädchen aufzuklären. Der Kommissar ist fast schon im Ruhestand, könnte den Fall also abgeben. Aber etwas drängt ihn zu den Eltern des Kindes. Die sind sehr fromm und am Boden zerstört. Der Kommissar auch. Sie sitzen im Wohnzimmer. Die Eltern wissen nichts von dem Ruhestand, dem Kommissar fehlen alle Worte. Darum schweigen sie lange. Dann sagt die Mutter: „Herr Kommissar, sie müssen den Täter fassen!“ „Ja“, sagt der. „Sie  m ü s s e n“, sagt die Mutter. „Ja“, sagt der Kommissar etwas widerwillig, „ich werde das schon herausfinden!“ 

Plötzlich dann spannt sich der Körper der Mutter noch einmal an. Sie steht auf, geht zu einem Schrank und holt ein kleines Holzkreuz. Zum Kommissar sagt sie: „Das hat meine Tochter mit ihren eigenen Händen geschnitzt.“ Der Kommissar ist nicht fromm und weiß wieder nicht, was er jetzt sagen könnte. Dafür spricht die Mutter mit fester Stimme. Sie hält das Holzkreuz direkt vor das Gesicht des Kommissars, sieht ihm in die Augen und sagt: „Sie finden den Täter. Versprechen Sie mir das?“ Der Kommissar schaut etwas verstört. „Ja“, sagt er wie nebenbei, „ich verspreche das.“

Doch die Mutter ist immer noch nicht zufrieden. Sie hält das kleine Holzkreuz der Tochter fest in der Hand. Dann sagt sie, geradezu feierlich: „Versprechen Sie es - bei ihrer Seligkeit?“  Der Kommissar hat nie über die Seligkeit nachgedacht. Also stutzt er, wartet, und schweigt. Dann murmelt er leise: „Ja. Bei meiner Seligkeit.“

Die Mutter setzt sich erschöpft auf ihren Stuhl. Sie sagt nur noch: „Dann gehen Sie jetzt; Sie haben es bei ihrer Seligkeit geschworen!“

 

Nach dem Versprechen des Kommissars „bei seiner Seligkeit“ beginnt ein langer und mühsamer Weg.

 

 

          Schließlich geschieht Folgendes:

 

Zuerst geht der Kommissar tatsächlich in den Ruhestand. Aber dennoch verfolgt er den Fall weiter, mit aller Sorgfalt und mit Eifer. Er kauft sogar eine Tankstelle, weil er sicher ist, dass der Mörder sich ein neues Opfer suchen wird und dafür genau an dieser Tankstelle vorbeikommt. Damit behält er Recht. Eines Tages ist es soweit. Der Täter, der sich den Namen „Zauberer“ gegeben hat, hat ein kleines Mädchen mit Süßigkeiten in den Wald gelockt. Es ist drückend heiß an diesem Tag. Das Kind ist im Wald und wartet auf den Zauberer. Der Kommissar ist in der Nähe und achtet sorgsam auf alles. Es kann nicht mehr lange dauern.

          Aber - der Täter kommt nicht. Wir Leser wissen, dass er auf dem Weg ist. Der Kommissar weiß es auch. Trotzdem kommt der Täter nicht. Und nur Leser des Buches und Zuschauer des Films erfahren, dass der Täter auf dem Weg zum Tatort mit dem Auto tödlich verunglückt. Das aber weiß der Kommissar nicht. Nach diesem Tag im Wald grübelt er wochen- und monatelang alleine weiter und verliert beinahe seinen Verstand. Ich habe ein gutes Gewissen, sagt er sich. Warum kam der Täter nicht? Habe ich mein Versprechen halten können? Was ist mit meiner Seligkeit?

 

Der Kommissar hat sein Versprechen gehalten. Und wie er es gehalten hat: mit vollem Einsatz seines Verstandes, seines Körpers und seiner Seele. Weil er aber nicht erfährt, dass er Recht hatte, ringt er mit der Frage nach seiner Seligkeit. Eine tragische, weil ausweglose Situation ist das. Ein Mensch macht alles richtig, besten Wissens und Gewissens - aber nichts geht gut für ihn aus. Nur wir wissen, dass er sein Versprechen erfüllt hat.

          Tragisch ist, wenn einer besten Wissens und Gewissens handelt und eine persönliche Katastrophe daraus wird.

 

Ein düsterer Roman ist das; und ein packender Film aus dem Jahr 2001 mit dem amerikanischen Schauspieler Jack Nicholson in der Rolle des Kommissars. Einer will besten Wissens und Gewissens das Gute tun; er hat es versprochen - bei seiner Seligkeit. Er schafft es auch mit viel Einsatz und Mühe; nur erfährt er nicht, wie Recht er hatte. Er könnte selig sein, darf es aber nicht fühlen. Er wird beinahe irre an sich selbst und weiß doch, dass er Recht hatte und eigentlich ein gutes Gewissen behalten könnte.

          Der Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt treibt in seinem Roman „Das Versprechen“ die Frage nach dem Guten und Hilfreichen auf die Spitze. Das Gute ist auch dann gut, wenn es nicht gut ausgeht. Ein Versprechen ist unbedingt einzuhalten, wenn dabei die Seligkeit in die Waagschale gelegt worden ist. Mit der Seligkeit darf man nicht spielen. Selig sind, die reinen Herzens sind. Was der Kommissar im Roman nicht weiß, wissen wir als Leser oder Zuschauer: Er hat seine Seligkeit nicht preisgegeben.

          Für mich heißt das: Das wird Gott ihm lohnen, sofort oder bald. Hier oder Dort.

 

Was ist gut? Was ist richtig oder hilfreich? Und: Wie kann ich Gutes und Hilfreiches auch tun, damit mein Gewissen so rein und so gut wie möglich ist und bleibt?

          Diese Fragen beschäftigen viele Menschen ihr Leben lang. Wir hören von Gottes Geboten und seinem Willen, dass es im Leben gerecht und mitfühlend zugehen soll. Wir lesen und hören von dem, was Jesus sagt und tut. Manche kennen die Geschichte der Kirche und wissen, dass es darin viele dunkle Flecke gibt und das Gewissen der Kirche, wenn es so etwas gibt, oft alles andere als rein sein darf. Schließlich ahnen oder wissen wir auch, wie schwer es nach dem schrecklichen zwanzigsten Jahrhundert geworden ist, ein reines Gewissen zu bewahren oder zu bekommen. Wie kann ich Gutes und Hilfreiches tun, damit mein Gewissen rein ist und gut? Werde ich meine Menschlichkeit bewahren, wenn die Zeiten unmenschlich sind? In der Sprache der Bibel heißt das: Wie bekomme ich - oder wie erhalte ich mir - ein reines Herz?

          Darüber haben sich schon viele den Kopf zerbrochen und Antworten versucht. Das ändert aber nichts daran, dass wir selber auch beinahe jeden Tag vor diesen Fragen stehen und Antworten brauchen.

          Es gibt auf diese Fragen keine allgemein gültigen Antworten. Für ein gutes Gewissen gibt es keine Rezepte. Es gibt aber Wegweiser und Hilfsmittel, die aus den Geboten Gottes und den Worten Jesu kommen. Oder auch aus einem Buch wie „Das Versprechen“. Gutes bleibt gut, auch wenn es nicht gut ausgeht. Ein Versprechen - noch dazu ein großes, das um der eigenen Seligkeit willen gegeben wurde - muss man halten. Um der anderen und um seiner selbst willen. Ein Versprechen wie das „bei meiner Seligkeit“ gibt man nicht preis, unter keinen Umständen.

          Man verspricht nicht vor einer Wahl dies und tut nach der Wahl etwas anderes. Dann wird man bestraft bei der nächsten Wahl; und liege die Strafe nur in einem dauerhaft schlechten Gewissen. Man darf anderen nicht Hilfe versprechen und es dann nicht halten. Man darf einmal versprochene Verantwortung alleine nicht aufkündigen. Natürlich geschieht das, leider, hilfreich ist es aber nicht. Die anderen sind traurig, manchmal tief betrübt, weil sie sich darauf verlassen hatten. Und man selbst hat bald ein schlechtes Gewissen, auch wenn viele das nicht so gerne zugeben.

          Ich persönlich glaube, dass mehr Menschen, als wir ahnen, mit einem eher schlechten Gewissen durchs Leben gehen. Das kann auch damit zu tun haben, dass man bei dem vielen, was so geschieht, manchmal vergisst oder verdrängt, was man hier oder da versprochen hatte. Ein einmal gegebenes Wort aber muss man einhalten, um der eigenen Seligkeit willen. Alles, was man anderen zusagt oder verspricht, hat immer auch mit dem eigenen Gewissen zu tun, manchmal mit der eigenen Seligkeit. So schreibt es Dürrenmatt.

          Auch die jüdische Philosophin Hannah Arendt (1906 – 1975) hat zwei Hilfen gefunden für ein gutes Gewissen. Davon will ich gleich noch erzählen.

 

Auch die Philosophin Hannah Arendt, in Deutschland geboren und in der Zeit des Nationalsozialismus in die USA geflohen, hat viel über das Leben und das Gewissen nachgedacht. Sinngemäß schreibt sie (in ihrem Buch vita activa):

 

          Es gibt ein Heilmittel, wenn man das Gute wollte und doch Fehler gemacht hat. Dieses Heilmittel ist unsere Fähigkeit zu verzeihen.

          Und es gibt ein Heilmittel gegen die Ungewissheit, gegen die Ängste vor allem Zukünftigen. Dieses Heilmittel ist unsere Fähigkeit, Versprechen zu geben und sie zu halten.

 

Gut zu wissen: Es gibt „Heilmittel“, die meiner Seele gut tun und mein aufgewühltes Gewissen beruhigen werden. Es gibt Hilfe, um ein reines Herz zu bekommen und zu erhalten. Ich kann anderen verzeihen, besonders dann, wenn ich mich im Recht weiß). Und ich kann Versprechen abgeben und zu halten versuchen, um anderer und um meinetwillen. Verzeihen und Versprechen helfen mir zu einem besseren, vielleicht sogar zu einem guten Gewissen, weil ich mich ernsthaft bemüht habe, mein Versprechen zu halten – und so den Willen Gottes zu tun.

          Dabei kann ich Gott auch um Erbarmen bitten, also um seine Hilfe, seinen guten Geist. Selbst beim besten Willen und besten Gewissens kann ich ja scheitern und versagen, Versprechen nicht erfüllen und mein Gewissen belasten - Gott und anderen gegenüber. Dann bin ich aber noch nicht am Ende. Ich kann umdenken, umkehren und kann mein Gewissen entlasten - vor anderen und vor Gott. Ich darf Fehler eingestehen und Schuld benennen. Kein Mensch kann alles richtig machen, auch wenn er die besten Absichten hatte. Zum Trost gibt es für mich dann einen kleinen Satz aus nur drei Worten, der das Gewissen etwas leichter macht. Der Satz heißt: Gott, erbarme dich.

          Gott wird sich meiner erbarmen, wenn meine Bitte darum aufrichtig ist.

          Mit seinem Erbarmen beginnt meine Seligkeit.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:
1. Hans Zimmer und Klaus Badelt, The Angler, CD-Titel: The Pledge

2. Hans Zimmer und Klaus Badelt, Jerry & Lori, CD-Titel: The Pledge

3. Hans Zimmer und Klaus Badelt, The Swing, CD-Titel: The Pledge

4. Johann Sebastian Bach, Prélude (Passagio)-Presto, CD-Titel: Johann Sebastian Bach, 4 Suiten für Laute

5. Göran Söllscher, Allemande, CD-Titel: Johann Sebastian Bach, 4 Suiten für Laute

6. Göran Söllscher, Gigue, CD-Titel: Johann Sebastian Bach, 4 Suiten für Laute

7. Hans Zimmer und Klaus Badelt, Ginny’s Picture, CD-Titel: The Pledge

05.06.2021
Michael Becker