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Die Möglichkeit des Unmöglichen denken
Wie wir Pfingsten als das Fest der Hoffnung verstehen können.
09.06.2025 07:05

Geist. Sogar: Heiliger Geist. Darum geht es an Pfingsten. Wie lässt sich so etwas Luftiges, Unfassbares wie Geist beschreiben? Die biblische Pfingstgeschichte versucht’s und ist dabei überraschend philosophisch. 

Sendung nachlesen:

Pfingsten macht es uns nicht leicht. Es ist zwar das dritte große Fest im christlichen Kalender, lebt aber von einer eigentümlichen Ambivalenz: Auf der einen Seite lieben die Menschen dieses lange Wochenende, schon weil es bei frühsommerlichem Wetter zu Ausflügen in die Natur einlädt. Diese Naturverbundenheit hat die Tradition stark geprägt: vom Pfingstbaum und Birkengrün bis zum Pfingstochsen reichen die Bräuche. Sie betonen, wie wichtig es ist, an diesen Tagen hinauszugehen, sich an dem frischen Grün und der warmen Sonne zu erfreuen. 

Das ist die eine Seite. Auf der anderen ist der christliche Inhalt des Festes eher etwas sperrig. Kindern wird gerne erzählt, Pfingsten sei so etwas wie ein Geburtstag der Kirche. Das soll erklären, warum es ein verlängertes Wochenende und in zwei Bundesländern sogar Ferien gibt. 

Die etwas Bibelfesteren erwähnen dann die "Ausgießung des Heiligen Geistes". Ein Ausdruck, der mehr Fragen aufwirft als Antworten liefert. Fraglich ist schon, wie man so etwas Abstraktes wie Geist gießen oder sogar ausgießen kann, und was sich überhaupt hinter der Vorstellung von einem Heiligen Geist verbirgt. 

Eine Antwort auf diese Fragen lohnt sich aber; nicht nur, weil wir damit dem etwas angestaubten Pfingstfest wieder zu neuem Glanz verhelfen. Die Vorstellung von einem Heiligen Geist thematisiert Zusammenhänge, die uns nach wie vor beschäftigen: Zum Beispiel die Frage, wie aus vielen verschiedenen Menschen eine universelle Gemeinschaft wird; wie Unterschiede nicht stressen, sondern Freude bereiten; wie die menschliche Existenz sich mit der Natur versöhnt; und wie aus dem Glauben neue Zuversicht erwächst. Der Heilige Geist lässt uns tatsächlich die Möglichkeit des Unmöglichen denken.

So gesehen ist Pfingsten ein Fest der Hoffnung. Um das zu entdecken, ist es wichtig, noch einmal zurückzugehen zu dem ersten Bericht, den wir von diesem Ereignis haben:
 

Als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle beieinander an einem Ort. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Sturm und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt und wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in anderen Sprachen, wie der Geist ihnen zu reden eingab." (Apostelgeschichte 2,1ff.)

Die Schilderung aus der Apostelgeschichte im Neuen Testament klingt elementar: Als Zeichen der Zeitenwende dient ein Brausen, die Rede ist von Wind oder sogar von einem Sturm. Dazu kommt Feuer, später im Kapitel auch noch Rauch und Dampf. Woher nimmt der Autor der Schilderung dieser Details? Bei dem Schreiber handelt es sich um Lukas, der gleich zwei Schriften im Neuen Testament verfasst hat: Zum einen das nach ihm benannte Lukas-Evangelium und dann die Apostelgeschichte, eine Skizze, in der er beschreibt, wie der Glaube an Christus sich verbreitet hat.

Von eben diesem Lukas ist bekannt, dass er in der griechischen Kultur bewandert war und sich auch mit den Philosophen der Antike auskannte. Seine Geschichte der Apostel und der ersten Gemeinde in Jerusalem gestaltet er wohl nicht ohne Grund im Stil antiker literarischer Geschichtsschreibung. Dafür wählt er sich einen gewissen Theophilus als fiktiven Partner, dem er sein Doppelwerk widmet. Zumindest er Anfang erinnert an die platonischen Dialoge.

Theophilus bedeutet übersetzt "Freund Gottes". Dieser Gottfreund, oder Gottlieb wie man später sagte, trifft hier auf den Philosophus, den "Freund der Weisheit". Wieweit Lukas ist in griechischer Bildung bewandert war, wird auch in seiner Apostelgeschichte deutlich. Dort schildert er ausführlich die Reise des Paulus nach Athen und gibt sogar die Worte wieder, mit denen Paulus dort zu den Philosophen gesprochen hat.

Was bedeutet das alles für die Schilderung des Pfingstfestes? Wer wie Lukas gewohnt ist, philosophisch zu argumentieren, zieht womöglich auch die großen Philosophen zu Rate, wenn es darum geht, ein so schwer vorstellbares Erlebnis zu beschreiben. Und tatsächlich trägt das Pfingstereignis in der Darstellung von Lukas Spuren dieses Einflusses.

Ein Brausen vom Himmel wie ein gewaltiger Sturm. So wird der Heilige Geist in der biblischen Pfingstgeschichte beschrieben. Das Bild vom brausenden Sturm hat Lukas nicht selbst erfunden. Er spricht vom Wind, der die Menschen erfasst und sie in neuen Tönen miteinander reden lässt. Es ist keine Sprache im eigentlichen Sinn, und doch begreifen die Anwesenden, um was es geht. 

Mit dieser Schilderung greift Lukas ein bestimmtes Bild auf. Er benutzt eine philosophische Theorie, die damals populär war und sich auch in den römischen Provinzen verbreitete. Urheber dieser Theorie rund um Luft und Wind war der Philosoph Epikur. Er hatte sich mit den Elementen befasst. Er wollte erklären, wie sie wirken und dadurch das Geschehen in der Welt beeinflussen.

Unter den antiken Philosophen waren es seine Schüler, die Epikureer, die sich darum bemühten, naturwissenschaftliche Beobachtungen mit geistigen Fragen in Einklang zu bringen. Diese Vermittlung von Geistigem und Materiellem war äußerst beliebt. Sie blieb bis in das 3. Jahrhundert nach Christus hinein eine der führenden geistigen Strömungen. 
Immerhin war es nicht nur damals eines der großen Geheimnisse, wie die Welt der Ideen und Gedanken mit der körperlichen Welt zusammenkommt. Auch heute noch rätseln Wissenschaftler darüber, was sich hinter dem Geist verbirgt, der die Lebewesen antreibt und sie nachdenken lässt. Was passiert, wenn Ideen im Kopf entstehen, dann zwischen Menschen ausgetauscht werden und schließlich zu Taten führen, die die Welt verändern können. 

Auf der Suche nach einer Erklärung haben sich die Epikureer auf die Elemente konzentriert. Aus dem Wirken von Luft, Wind und Feuer erklären sie sich die Zusammenhänge des Weltgeschehens, die körperlich-materiellen genauso wie die geistigen, auch solche, die mit Worte nur schwer zu erklären sind. 

Lukas hat diesen Ansatz wohl gekannt und auf ihn zurückgegriffen, als er in der Apostelgeschichte das Pfingstereignis beschreiben wollte. Es war ja auch besonders schwer, dieses mysteriöse Geschehen nicht nur zu beschreiben, sondern zugleich zu erklären: Da hatte sich die Kunde von der Auferstehung Christi schnell verbreitet, eine Botschaft, die kaum mit Beweisen belegt werden konnte, aber doch große Wirkung zeigte. Wie, so fragte sich Lukas, kann es geschehen, dass diese Überzeugung in die Köpfe der Menschen kommt, immer weitergetragen wird und schließlich bei mir ankommt? Warum hinterlässt sie die Gewissheit, dass alles habe etwas mit mir und meinem Leben zu tun? Mit Worten allein - da war sich Lukas sicher – konnte das jedenfalls kaum erklärt werden. 

In dieser Situation kam ihm der Ansatz der Epikureer zu Hilfe. Auf jeden Fall zeigt seine Pfingstgeschichte eine Parallele zu einem Text von Epikur. In den Worten des griechischen Philosophen heißt es:


"Die Seele ist ein Gemisch aus vier Elementen; dem feuer-, luft- und windartigen und einem vierten namenlosen. Der Wind verursacht Bewegung, die Luft Ruhe, das Feuer die Körperwärme, das Namenlose aber in uns die Empfindung, die in keinem der genannten Elemente sonst vorhanden ist. … Das aber, womit wir urteilen, uns erinnern, lieben und hassen, kurz die Fähigkeit von Vernunft und Verstand kommt aus einer namenlosen Qualität."

Der Text des Philosophen Epikur und die Pfingstgeschichte haben Ähnlichkeiten. Beide erwähnen die Elemente Luft, Wind und Feuer. Und sie benutzen die Elemente, um die Seele zu beschreiben. Was mit dem geheimnisvollen Begriff der Seele bezeichnet wird, hat für Epikur auf jeden Fall mit Luft, Wind und Feuer zu tun. 

Allerdings genügen diese drei noch nicht. Es muss noch etwas dazukommen, gewissermaßen ein viertes Element. Epikur nennt es das "namenlose", ist sich aber ganz sicher: Dieses vierte namenlose Element ist im Zusammenwirken mit Luft, Wind und Feuer verantwortlich für alle Empfindungen, die das Menschliche ausmachen. 

Und genau da geht Lukas einen Schritt weiter als die damalige philosophische Lehrmeinung: Er gibt dem namenlosen Element einen Namen. Es ist der Heilige Geist, der Wille Gottes, der sich in der Welt ausbreitet und die Lebewesen wie im Sturm ergreift.
 

Für die Fähigkeit der Menschen, Dinge zu erkennen und darüber nachzudenken, hatten die Philosophen der Antike den Begriff "nous". Das Wort beschreibt ungefähr das, was wir mit Verstand oder Geist umschreiben. Der Philosoph Wolfgang Welsch hat auf einen besonderen Aspekt dieses griechischen Wortes hingewiesen. Demnach steht es in einem Zusammenhang mit dem Ausdruck für "schnüffeln". 

Das wirkt zunächst kurios. Aber ich finde diese Verbindung hilfreich. Das Wirken des Geistes hat tatsächlich den Charakter des Schnüffelns. Und damit sind gleich zwei verschiedene Aspekte gemeint: Zum einen steht es für die Suche. Tiere schnüffeln am Erdboden auf der Suche nach Essbarem. Auch Menschen schnüffeln, um etwas herauszufinden. Manchmal hat diese Suchbewegung eher einen negativen Klang. Niemand mag es gerne, wenn andere in den privaten Unterlagen herumschnüffeln. 

Aber das ist hier nicht gemeint. Eher schon das Schnupperangebot, durch das es mir möglich wird, etwas Neues ohne Risiko kennenzulernen. Das Schnuppern oder Schnüffeln drückt aus, wie ich an eine neue Sache herangehe. Der Geruch hilft, damit ich mich zurechtfinde. Wenn etwas verdächtig riecht, meide ich es lieber und wehre damit Gefahren ab. Duftet es gut, komme ich gern näher.  Es sind Erfahrungen, die sich durch Gerüche vermitteln und zugleich weit über sie hinausreichen. 

Komplexe Geschichten werden durch die Nase aktiviert. Für Kinder ist es selbstverständlich, wenn sie ihr Schmusekissen mitnehmen und so das Gefühl von Zuhause und Geborgenheit stets dabei haben. Erwachsenen geht es ähnlich. Das Zuhause hat einen unverwechselbaren Duft. Gerüche können an die Kindheit erinnern. Sie können die Erfahrung von wohltuender Harmonie wachrufen. 

Ähnlich geht es mir in einer Kirche. Kaum betrete ich eine alte Kathedrale, umhüllt mich die Fülle der Düfte. Der Film, der dann im Kopf abläuft, ist kaum mit Worten zu beschreiben. Eine Fülle an Assoziationen verdichtet sich zu einem geistigen Gewebe. Da werden Erinnerungen angeregt, Erlebtes gegenwärtig, vergangene Geschichten wieder lebendig. Ein besonderer Aspekt der Wirklichkeit lässt sich auf diese Weise tatsächlich erschnüffeln. Auf jeden Fall ist es eine andere Seite der Welt, die sich da offenbart. 

Warum war Lukas so erpicht darauf, die philosophische Lehre von den Elementen für seine Pfingstgeschichte aufzugreifen? Und warum könnte uns das heute noch beim Verständnis von Pfingsten helfen? Dafür gibt es mehrere Gründe: Einer ist die Verbindung des Geistes zur Natur. Denn wer Wind und Luft als treibende Kraft beschreibt, sprich auch vom unmittelbaren Einfluss der Natur, in die jedes Leben eingebettet ist. 

Wie Wind breitet sich das aus, was Christinnen Geist Gottes nennen und an Pfingsten feiern. Es ist ein gewaltiges Rauschen, das die Welt zusammenhält und alle Entwicklung antreibt. In diesem Bild zeigt sich die Unwägbarkeit des eigenen Lebens: Ich denke nach und weiß doch nicht, woher die Gedanken kommen. Ich kann meine Gedanken nur bedingt steuern. Das Meiste kommt einfach daher, wie von einem Wind in meinen Kopf hineingeweht. 

Und dann möchte ich diese Gedanken ausdrücken, versuche, Sätze zu formulieren, und merke gleich: Die Sprache ist eher ein Hindernis. Sie kann nur unzureichend abbilden, was mich in meinem Herzen anrührt und in Gedanken bewegt. 

Dieser geheimnisvolle Geist, der mich anhaucht, bringt einen eigentümlichen Zusammenhalt mit sich: Durch die Kraft, die ich als Heiligen Geist spüre, fühle ich mich aus der Isolation befreit. Die Gedanken und Empfindungen, die sich so unerklärlich einstellen, verbinden mich mit anderen Menschen. Und noch mehr, ich weiß mich eingebunden in die Natur zu einem großartigen Miteinander. 
Der Dichter Rainer Maria Rilke hat versucht, dieses Geistige des Windes in Worte zu kleiden. Gerade weil sich die Erfahrung der diskursiven Beschreibung widersetzt, hat das lyrische Bild eine Chance: 

"Mit diesem Wind kommt Schicksal; 
lass, o lass es kommen, all das Drängende und Blinde, 
vor dem wir glühen werden –: alles das. 
(Sei still und rühr dich nicht, dass es uns finde.) 
O unser Schicksal kommt mit diesem Winde. 
Von irgendwo bringt dieser neue Wind, 
schwankend vom Tragen namenloser Dinge, 
über das Meer her was wir sind. …. 
Wären wirs doch. So wären wir zuhaus. 
(Die Himmel stiegen in uns auf und nieder.) 
Aber mit diesem Wind geht immer wieder 
das Schicksal riesig über uns hinaus."


"Lass es kommen, das Drängende, von dem wir glühen werden", …
Auch Rilke bedient sich der Elemente Wind und Feuer wie vor ihm schon so viele Philosophen und Theologen. Aber hier kommt noch ein entscheidender Aspekt hinzu, und das ist die Zuversicht. Der Wind bringt das, was so dringend nötig ist. Auf einmal wird der Geist erkennbar als Träger der Hoffnung. Er bringt das, was bisher nicht war, ja nicht einmal möglich schien. Nun zeigt es sich zunächst zaghaft: Du kannst das Unmögliche denken, das Unmögliche wird im Geist möglich. Endlich bekommst du die Gewissheit: Der von so vielen Träumen getragene Wunsch, das Alte, Quälende zu überwinden, ist nicht nur in mir als Gefühl. Er wird von einem spürbaren Geist getragen, der die Welt im Innersten zusammenhält. 

Der Philosoph Epikur analysierte den Wind als geistige Quelle, als ein Element der Seele. Der biblische Autor Lukas erkannte darin den Geist Gottes. Der Dichter Rilke findet Worte für das mystische Erlebnis. Sie alle begegnen sich in dem Wunsch, den Geist Gottes zu erfassen, obwohl er so flüchtig ist wie Wind. 

Lukas erzählt: Wie Wind erfasst der Heilige Geist die Jüngerinnen und Jünger. Sie fangen an zu reden und gehen unter die Leute. Und der Apostel Petrus predigt – das ist seine Pfingstauslegung. Hier begegnen wir zum ersten Mal dem Bild von der Ausgießung des Heiligen Geistes. Aber mit Epikur, Lukas und Rilke im Gepäck klingt es ganz anders, wenn Petrus eine Verheißung Gottes aus den Heiligen Schriften Israels zitiert: 

"Da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen. Und ich will Wunder tun oben am Himmel und Zeichen unten auf Erden, Blut und Feuer und Rauchdampf.« (Apostelgeschichte 2,17ff.)

"Das ist so!", hört man immer wieder sagen, wenn jemand auf die Gegebenheiten hinweist und sie für unabänderlich hält. Das ist so! Die Aussage klingt ein bisschen verzweifelt, so ohnmächtig. Ja, die Welt ist so. Aber sie muss nicht so bleiben. So gesehen ist Pfingsten das Fest des Geistes, der neuen Wind bringt, der mit Sturm, Feuer und Rauch das scheinbar Unabänderliche hinwegfegt, der Hoffnungen nährt und träumen lässt. (schließlich ist davon die Rede, dass Alte Träume haben)

Wahrscheinlich bedürfen wir kein Fest so dringend wie dieses: Du kannst das Unmögliche denken, ja noch viel mehr: Du kannst die Möglichkeit des Unmöglichen denken. Wenn Pfingsten diesen Gedanken verströmt, dann ist es die Mutter aller Mut-mach-Geschichten. 
 

Es gilt das gesprochene Wort.
 

Musik dieser Sendung:
1. Finnish Philharmonic Choir (Leif Segerstam), Helsinki Philharmonic Orchestra: On the Last Frontier
2. Arvo Pärt: 
Tabula Rasa – tabula rasa I.
3. 
Arvo Pärt: Tabula Rasa – tabula rasa II.
4. 
Arvo Pärt: Silentium Ludus
5. 
Daphnis et Chloé: Lever du jours