epd-Bild / Guido Schiefer
Eine Woche nach Solingen
Zeit, Zeichen zu setzen gegen islamistischen Terror
30.08.2024 06:35

Welche Rolle spielt die Religion, wenn es immer wieder zu mörderischen Gewalttaten kommt?

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Nun liegt der Terror-Angriff von Solingen eine Woche zurück. Zu kurz für den Schmerz der Angehörigen, zu kurz für die Verletzten, um zu genesen, zu kurz, um die Betroffenheit zu überwinden. Und doch Zeit, um über Zusammenhänge nachzudenken: Was hat den Täter getrieben, als er mit einem Messer auf andere losging? Menschen, die er gar nicht kannte, zu denen er keine Beziehung hatte. Was war sein Motiv für diese Gräueltat? Der sogenannte "Islamische Staat" hat den Anschlag für sich beansprucht. Was hat Terror mit dem Islam zu tun? Überhaupt: Welche Rolle spielt die Religion, wenn es immer wieder zu mörderischen Gewalttaten kommt?

Von muslimischer Seite erlebe ich meistens eine abwehrende Haltung: Solcher Terror habe mit dem Islam nichts zu tun. Der wahre Islam lehne Gewalt ab. Die meisten Muslime seien friedliche Menschen, die einen konfliktfreien Umgang mit den Mitmenschen anstrebten. Diese Haltung kann auch erklären, warum es von muslimischer Seite nur selten öffentliche Stellungnahmen gibt. Auch in Solingen rief die Moschee-Gemeinde nicht zur Demonstration auf, um die Messerattacke zu verurteilen oder sich vom gewalttätigen Islamismus abzugrenzen. Und den gibt es ja, denn Attentäter berufen sich auf ihren Glauben und zitieren Stellen aus dem Koran, um ihre Taten zu rechtfertigen.

Die Journalistin Sineb El Masrar hat in diesen Tagen von der "Schizophrenie in der islamischen Community" gesprochen: Auf der einen Seite der Islamismus, der die Religion benutzt, um politische Macht auszuüben, auf der anderen diejenigen, die den Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt nicht sehen wollen und deshalb lieber schweigen. So als könne man das Problem aussitzen.

Als christlicher Theologe sehe ich die Verstrickung von Religion und Gewalt deutlich. Die dunkle Seite der Neigung zu Terror gibt es nahezu in allen Religionen, im Islam, aber auch im Christentum. Sätze, mit denen Mord und Totschlag gerechtfertigt werden, finden sich in der Bibel wie im Koran. Immerhin blicken wir auf 2000 Jahre Kirchengeschichte zurück, die gespickt sind mit Krieg, Verfolgung, Scheiterhaufen und Bluttaten, die mich in der Rückschau erschüttert, manchmal sogar am eigenen Glauben zweifeln lässt.

Aber gerade deshalb ist es so wichtig, mit den historischen Zitaten aus den heiligen Schriften verantwortungsvoll umzugehen. Wenn die entsprechenden Textstellen in ihrer geschichtlichen Begrenztheit begriffen werden, wenn sie historisch gelesen und eingeordnet werden, lässt sich der Missbrauch der Religion für Gewalt und Terror eindämmen.

Schizophren ist es in der Tat, den Blick abzuwenden aus Angst, weil man den eigenen Glauben nicht beschmutzen will. Es ist auch nicht fremdenfeindlich, wenn der Islamismus als das entlarvt wird, was er ist: nämlich eine unzulässige Instrumentalisierung der Religion zur Durchsetzung von politischem Terror.

Die Vertreter aller Religionen in Deutschland müssen sich mit dem Gewaltpotenzial in den Quellen ihres Glaubens kritisch auseinandersetzen. Es gibt hoffnungsvolle Zeichen dafür, dass das möglich ist. So hat sich Benjamin Idriz, Imam der Moschee in Penzberg südlich von München, in seinen Predigten und Statements kategorisch vom Terror abgegrenzt, egal ob vom "Islamischen Staat" oder von der Hamas. Wörtlich sagt er:

"Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Emotionen, unsere Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe der Gerechtigkeit gegen andere im Wege steht! Als gläubige Menschen sind wir dazu aufgerufen, uns gegen jegliche Gewalt, Mord und Gefangennahme von unschuldigen Menschen, von welcher Seite dies auch geschehen mag, klar und unmissverständlich zu positionieren." 

Solche Erklärungen sind wichtig. Es ist Zeit, dass all diejenigen Zeichen gegen den islamistischen Terror setzen, die friedlich ihren Glauben leben wollen.

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