Duell, Schlagabtausch, Wahlschlacht. Das sind Begriffe aus dem Bereich der körperlichen Gewalt. Mit demokratischer Meinungsbildung haben sie wenig zu tun.
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Mit Meinungsverschiedenheiten haben wir in den Kirchen reichhaltige Erfahrungen. Der Wettkampf der Konfessionen und Religionen wurde oft feindselig ausgetragen. So festgefahren waren die Überzeugungen zeitweilig, dass man aufeinander losging, mit Worten und auch mit Waffen. Die daraus entstandenen Konfessionskriege haben die europäische Identität stark geprägt. Das liegt nun glücklicherweise zurück. Die Konflikte sind damit nicht weg. Noch immer gibt es unterschiedliche Überzeugungen und entsprechende Abgrenzungen. Aber der Umgangston hat sich verändert, und darum geht es.
Als Lutheraner empfinde ich anders als Katholiken und orthodoxe Christen; und ich glaube und denke anders als Muslime. Ich möchte auch bei meiner Haltung bleiben und dafür werben, aber nicht auf Kosten des Respekts. In diesem Miteinander der Konfessionen und Religionen hat sich seit 50 Jahren die Vorstellung von einer versöhnten Verschiedenheit etabliert. Genau genommen sprach man damals von der "Einheit in der versöhnten Verschiedenheit". Die Pointe ist dabei: Die Einheit ergibt sich erst aus der Verschiedenheit. Sie ist der positive Effekt, wenn Menschen mit verschiedenen Sichtweisen und Talenten zusammenkommen.
Daran fühle ich mich in diesen Tagen erinnert. Die entscheidende Phase im Count-Down zur Bundestagswahl läuft. Allgemein breitet sich das Gefühl aus: Diesmal geht es wirklich um die Zukunft.
Im Fernsehen haben 12 Millionen das Duell der Spitzenkandidaten verfolgt. Immer wieder kommt es zum Schlagaustausch, manche sprechen sogar von der Wahlschlacht. Die Sprache ist verräterisch: sich duellieren, kämpfen, schlagen, das sind Begriffe aus dem Bereich der körperlichen Gewalt. Sie haben einen kriegerischen Kontext. Mit demokratischer Meinungsbildung hat das wenig zu tun.
Ich frage mich: Warum werden die Kontrahenten zu einem Duell vor laufender Kamera gebeten und stehen sich dann wie Cowboys im Western-Klassiker High Noon gegenüber? Als gehe es darum, wer den Colt am schnellsten zieht. Warum sitzen die Politiker nicht an einem runden Tisch, um gemeinsam mit den Journalisten über die besten Wege zur Bewältigung der Probleme zu diskutieren? Einander zuhören, argumentieren, Fakten sprechen lassen und vielleicht eigene Fehler eingestehen. Das Instrumentarium demokratischer Meinungsbildung ist bekannt, man lernt es schon in der Grundschule.
Der Stil der Auseinandersetzung ist keine Nebensache. Zum einen merkt man das nach der Wahl. Dann müssen die rauchenden Colts stecken bleiben. Verständigung ist angesagt, wenn eine Regierung mit handlungsfähiger Mehrheit gebildet werden muss. Das wird umso schwerer, je unbarmherziger der Schlagabtausch geführt wurde.
Zum anderen ist der Stil aber auch wichtig, weil er sich überträgt. Zeigen sich die Politiker von der harten Seite und schließen a priori alle Kompromisse aus, tendieren auch die Wähler zu einem entsprechenden Verhalten. Wo in der Mitte der Zusammenhalt verloren geht, gewinnen zwangsläufig die fundamentalistischen Ränder.
Der Gedanke einer versöhnten Verschiedenheit lässt sich da gut auf die Politik übertragen. Der Fokus ist dann auf eine Einheit gerichtet, die sich aus der Verschiedenheit ergibt. Abweichende Überzeugungen werden so nicht nur in Koalitionen zwangsläufig hingenommen und geduldet. Sie stellen vielmehr eine Bereicherung dar.
Dieser Gedanke kann zu einer Entscheidungshilfe bei der Wahl werden: Welche Partei zeigt Respekt vor anderen Meinungen? Wer kann sich mit der Verschiedenheit der Menschen versöhnen, egal wo sie herkommen, was sie glauben und denken? Wer erlebt diese Verschiedenheit als Bereicherung und ist bereit, sie zum Mittelpunkt einer neuen Einheit zu machen? Das wäre dann tatsächlich eine Politik der Mitte, die sich am respektvollen Umgang zu erkennen gibt.
Es gilt das gesprochene Wort
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