Ich fühle, also bin ich. Emotionen sind ein Mittel der Selbsterkenntnis. Sie sind aber auch manipulierbar. Feinfühlig sein, ohne Spielball der Gefühle zu werden – geht das?
Sendetext nachlesen:
Emojis gehören schon lange zu vielen Nachrichten dazu, die ich auf meinem Smartphone bekomme. Die kleinen Piktogramme, die Gefühle ausdrücken. Am Anfang war es noch ein schüchtern eingestreuter Smiley, durch den die schlichte Meldung aufgepeppt werden sollte. Aber inzwischen werden die Wörter immer weniger. Vollständige Sätze sind rar, stattdessen häufen sich die Bildchen. Fast wie die Hieroglyphen im alten Ägypten. Etwa lachende Gesichter, oft mit Freudentränen, ein Affe, der sich die Augen zuhält, oder eine Katze mit Herzchen.
Emojis sind beliebt. Vielleicht weil dadurch der Eindruck entsteht, dass die Nachricht persönlicher wirkt. Wahrscheinlich hängt das auch mit der Kürze der Texte in den digitalen Medien zusammen. Denn um in ausschweifenden Worten die eigene Gefühlslage zu schildern, ist in einer Kurznachricht einfach kein Platz, für ein Symbol dagegen schon. Und durch sie kann ich fast alles ausdrücken: Freude, Liebe, Erstaunen, aber auch Ärger, Wut und Hass.
Der Erfolg der Gefühlssymbole ist erstaunlich. Emojis beschränken sich dabei nicht auf die Smartphones mit ihren Kurzmitteilungen. Vor kurzem hat ein chinesischer Schriftsteller ein ganzes Buch ausschließlich aus Emojis zusammengestellt. Und inzwischen beschränken sie sich auch nicht mehr auf Texte. Damit solche Emojis auch hörbar werden, hat der Ex-Beatle Paul McCartney herumexperimentiert. Für ihn war Musik schon immer besonders stark mit Emotionen verbunden. So kam er auf die Idee, klingende Emojis zu entwerfen. Das hört sich dann so an: Wenn meine Nachricht optimistisch erscheinen und Bewunderung ausdrücken soll, kommen diese Töne: (Klingendes Emoji)
Oder wenn ich einen Gruß an die Freundin oder den Freund schicke, dem ich liebevolle Zuneigung zeigen möchte, wähle ich dieses Klangbild: (Klingendes Emoji)
Was diese Klänge und Bildchen genau ausdrücken, bleibt etwas vage. Aber darauf kommt es nicht an. Wichtiger ist die Botschaft: Schau mal oder hör mal: Ich empfinde Gefühle, die ich mit dir teilen möchte.
Aber warum boomt im Moment alles, was mit Emotionen zu tun hat? Auf welche Defizite weist das hin? Möglicherweise spielt dabei die Sehnsucht nach einem Leben eine Rolle, in dem ich als leibhaftiges Wesen vorkomme. Je mehr die Welt digitalisiert wird, je mehr sich auch die Unterhaltung in virtuelle Welten begibt, desto größer wird das Bedürfnis, als Körper mit allen Sinnen vorzukommen.
Ich möchte mich selbst spüren können, etwa beim Schauen eines Films oder wenn ein Roman mich ergreift. Die Gänsehaut ist dafür ein Indiz oder die Träne in den Augen. Solche Gefühle sind wichtig. Durch sie erlebe ich mich selbst. Besonders gut gelingt das, wenn ich Musik höre.
Wer auf seine Gefühle achtet, erlebt sich selbst. Die Wahrnehmung von Emotionen ist eine Form der Selbstvergewisserung: Wenn ich mich fühle, dann bin ich. Deshalb werden Ereignisse besonders hoch bewertet, wenn sie Gefühle freisetzen. Bei der Ankündigung eines Konzertes etwa, bei der Planung des Urlaubs oder bei der Anbahnung einer Partnerschaft. In allen diesen Fällen soll mit positiven Gefühlen der Eindruck vermittelt werden: Hier findest du Heimat, Geborgenheit, Anerkennung. Die Werbung ist eine Meisterin darin, an das sinnliche Erleben zu appellieren.
Tatsächlich sind Gemütsbewegungen ausgesprochen wichtig. Sie sind die Schnittstelle zwischen meinem Inneren und der Außenwelt. Durch Gefühle trete ich in einen Dialog mit der Welt. Und das hat Folgen. Wenn ich auf mein eigenes Leben zurückschaue, stelle ich fest: Alle wirklich wichtigen Entscheidungen waren durch Gefühle geleitet, nicht durch die Vernunft: Die Wahl meiner Freunde, der Beruf, die Entscheidung, zu heiraten und für Kinder verantwortlich zu sein. Immer wenn es wirklich wichtig wird, höre ich auf mein Herz.
Oft weiß ich dann gar nicht, warum ich die Entscheidung getroffen habe, bin aber doch sicher: Genau so ist es richtig. Der Philosoph Blaise Pascal hat dieses Phänomen folgendermaßen beschrieben:
"Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt. Wir spüren es in tausend Dingen. Ich sage, dass das Herz das universelle Wesen von Natur aus liebt und auch sich selbst von Natur aus … Du hast das eine verworfen und das andere behalten. Aber liebst du dich selbst aus Vernunft?"
Die Empfindungen des Herzens stehen bei Pascal für das innere Leben. Für die Gefühle und für das, was sie auslösen. Nicht um Adrenalin oder Gänsehaut ging es ihm, sondern um Gefühle, die durch Werte wie Mitleid, Ehrfrucht und Reue vermittelt werden. Pascal sprach in der Folge sogar von einer Logik des Herzens, die er der Logik des Verstandes an die Seite stellte. Und eine Person war es dabei für ihn, die diese Logik des Herzens am deutlichsten repräsentiert, und das ist Jesus Christus.
Im Grunde genommen ist Religion immer Ausdruck der Empfindung. Die meisten Formen der Frömmigkeit sind enger an die Welt der Gefühle gebunden als an jene des Verstandes. Wer sich in der Andacht versenkt, gibt sich einer besonderen Art der Emotionalität hin. Praktizierter Glaube rührt an den Saiten, die unsere Empfindungen zum Schwingen bringen: Geborgenheit, die Sehnsucht nach umfassender Liebe, Mitleiden, Empathie - das alles findet im Glauben eine Ebene. Aber auch die Schattenseite der Emotionalität hat ihren Platz, also Empfindungen wie Neid, Angst, Wut oder Scham.
Der Berliner Theologe Notger Slenczka hat in einer Studie ausgeführt, dass alle Rede von Gott ohne Emotionen wie Dankbarkeit, Furcht, Entsetzen, Glück oder Reue nicht denkbar ist.
Wer von Gott spricht, denkt nicht an die Welt der Gegenstände oder an logische Konstruktionen, sondern an die Welt, wie sie gefühlsmäßig erlebt wird. Es ist ein entscheidender Unterschied, ob ich mir das Gute als Prinzip vorstelle oder ob ich es empfinde. Es ist fast gegenteilig, ob ich Schmerz betrachte oder selbst empfinde. Erst was ich persönlich spüre, mit Haut und Haar, mache ich mir zu meinem Eigenen.
In den Texten des Neuen Testaments ist ständig von Gefühlen die Rede. Menschen kommen mit ihren Sorgen zu Jesus. Auch die Jünger zeigen Gefühlswallungen: Sie fürchten sich, als Sturm aufkommt. Petrus versinkt gar vor Angst im Wasser. An anderer Stelle wird er von Wut und Zorn überwältigt. Und selbst Jesus zeigt seine Befindlichkeit: Jesus zittert und ist verzagt. Er hat Angst. Er ist traurig und hat das trostlose Gefühl, verlassen zu sein.
Es ist interessant, wie Jesus auf die Gefühle der Menschen reagiert. Meist sind es kritische Momente, von lähmender Angst oder Hoffnungslosigkeit begleitet. In diesen Fällen benutzt Jesus eine wiederkehrende Formel. Er sagt: "Fürchtet euch nicht!" Damit begegnet er der Macht der Emotionen, die den jeweiligen Menschen überwältigen kann. Der von ruhigen Worten begleitete Glaube ist wie ein Korrektiv. Das gesprochene Wort schenkt Vertrauen. Es hilft dabei, die übermächtigen Gefühle zurückzudrängen.
In den Erzählungen der Bibel tritt das Seelenleben der Menschen in den Vordergrund, und zwar in der Ambivalenz, wie wir sie täglich erleben. Gerade die Schattenseiten kommen dabei vor. Denn Gefühle sind nicht nur schön und willkommen. Sie können uns auch einen Bärendienst erweisen. Sie verursachen Handlungen, die mein Verstand bei genauem Hinsehen gar nicht gut findet. Und sie verleiten mich dazu, Dinge zu glauben, die der kritische Verstand ablehnt.
Genau das hat jüngst eine Studie der Humboldt Universität in Berlin bestätigt. Dort wurde untersucht, wie Nachrichten mit emotionalem Gehalt Menschen selbst dann beeinflussen, wenn sie die Quelle der Nachricht für nicht vertrauenswürdig halten. Mit anderen Worten: Fake News, also gezielt in Umlauf gebrachte Lügen, haben eine große Wirkung, und zwar unabhängig vom Wahrheitsgehalt. Die Gefühle spielen uns da einen Streich. Sie tricksen den Verstand aus. Sie können missbraucht werden von denen, die sich meine Gefühle zunutze machen.
Das machen sich viele zunutze: politische Demagogen genauso wie umsatzorientierte Konzerne. Hier beginnt die neue Macht der Gefühle: dort, wo Menschen manipuliert und Fakten einfach beiseite gefegt werden. Ein Teil der sozialen Medien verweigert die Überprüfung der Nachrichten, allen voran die von Elon Musk beherrschte Plattform X. Dort wurde der Faktencheck einfach abgeschafft. Auf dieser Plattform soll es fortan ausschließlich um gefühlte Wahrheiten gehen.
Warum diese Entwicklung dramatisch ist, erklärt die israelische Soziologin Eva Illouz in einem ihrer Bücher. Dort beschreibt sie, wie die neue Macht über die Gefühle zum Spielball von Marktanteilen wird und sogar künstliche Intelligenz zur Manipulation benutzt wird. Gefühle sind so zentral, weil wir nur durch sie erkennen können, was uns wirklich am Herzen liegt. Eva Illouz schreibt:
"Die eigenen Gefühle nicht zu kennen heißt, nicht zu wissen, was für einen wichtig ist. Wenn wir nicht wissen, was für uns wichtig ist, heißt das, dass wir andere von unserer Innerlichkeit Besitz ergreifen lassen. Es heißt, dass wir nie entdecken, was unser eigenes Verhältnis zur Welt ausmacht."
Aber worauf kann ich mich dann noch verlassen? Wenn Fakten gefälscht und Gefühle manipuliert werden?
Es bleibt womöglich nichts anderes übrig: Nicht nur Fakten, auch die eigenen Emotionen muss ich überprüfen. Da kann der ambivalente Umgang mit Gefühlen im Neuen Testament hilfreich sein. Als Maßstab bietet der Apostel Paulus in seinem Brief an die Philipper einen speziellen Abgleich an. Wörtlich schreibt er: "Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne" (Philipper 4,7).
Das Herz und die Sinne stehen für die Emotionen. Aber nicht sie sind es, die sich über die Vernunft erheben dürfen. Auch sie müssen bewertet werden, denn nicht jedes Gefühl ist willkommen: Hass und Verachtung gehören nicht auf die Seite des Friedens, Freude und Liebe dagegen schon. Paulus spricht von einer Logik des Herzens, für die der Friede Gottes der Maßstab ist. Grundsätzlich bleibt es richtig: Nur indem ich fühle, bin ich ein ganzer Mensch. Jedenfalls dann, wenn diese Gefühle im Einklang mit dem Frieden Gottes stehen.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
1. F. Mendelssohn: "Lobgesang" Eine Symphonie-Cantate nach Worten der Heiligen Schrift
1. Sinfonia / Allegretto un poco agitato
2. F. Mendelssohn, "Lobgesang", 1. Sinfonia / Allegretto un poco agitato
3. F. Mendelssohn, "Lobgesang", 1. Sinfonia / Allegretto un poco agitato
Literatur dieser Sendung:
1. https://www.orissapost.com/chinese-artist-book-emojis/
2. Blaise Pascal: Pensées, Section IV, 277
https://www.gutenberg.org/files/18269/18269-h/18269-h.htm
3. N. Slenczka: Neid. Vom theologischen Ertrag einer Phänomenologie negativer Selbstverhältnisse. In: Theologie der Gefühle. Hg. v. R. Barth und C. Zarnow, De Gruyter 2015
4. Baum, J. & Abdel Rahman, R. (2020). Emotional news affects social judgments independent of
perceived media credibility. Social Cognitive and Affective Neuroscience.
https://www.hu-berlin.de/de/pr/nachrichten/dezember-2020/nr-20127-1
5. https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eu-meta-102.html
6. Eva Illouz: Explosive Moderne. Berlin Suhrkamp 2024, S. 359