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Papst Franziskus
Eine evangelische Würdigung.
25.04.2025 06:35
Einheit in der Vielfalt zu finden, ist die zentrale Aufgabe der Gegenwart in Kirchen, Religionen und der Gesellschaft. Dafür brauchen wir unbedingt Persönlichkeiten, die diesen Weg vorangehen. 
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Unzählige Berichte über Leben und Wirken von Franziskus; Bilder von Pilgern, die zur Osterfeier nach Rom gekommen waren und nun an der Trauer um den gestorbenen Papst teilnahmen. Wie Millionen andere habe auch ich in dieser Woche viele Stunden vor dem Fernseher verbracht und die Bilder aus Rom verfolgt. Keine Frage, ich bin evangelischer Pastor, ein waschechter Lutheraner, und deshalb wahrscheinlich in meiner emotionalen Haltung ein bisschen distanzierter als die römisch-katholischen Geschwister. Und dennoch bin ich tief beeindruckt von diesem Menschen Jorge Mario Bergoglio. Und ich bin beeindruckt von seiner Art, wie er als Papst Franziskus die altehrwürdige und mitunter sehr behäbige römische Kirche in ein neues Licht tauchen wollte.

Woher kommt diese Faszination? Wahrscheinlich spielt das Bedürfnis eine Rolle, quasi stellvertretend zu einem Menschen aufblicken zu können, der für die guten Seiten der Menschen steht. Von den schlechten Seiten hören wir derzeit zur Genüge, es gibt zu viel Streit in der Welt, zu viel Hass, die Spaltungen nehmen zu, Kriege und Aggressionen ebenfalls. Da wirkt es erleichternd, ja geradezu befreiend, auf eine Person verweisen zu können, die zumindest den Hoffnungsfunken am Glimmen hält; jemand der dafür steht, dass es auch anders geht, ja ganz anders gehen muss.

Vor diesem Papst, der seine Herkunft aus bescheidenen Verhältnissen in Rio de Janeiro nicht vergessen hat, haben nicht nur Menschen Respekt, die in ihm ihr Kirchenoberhaupt sehen. Es sind nicht nur Katholiken, die morgen nach Rom kommen, um an der Beisetzung in der Kirche Santa Maria Maggiore teilzunehmen. Und viele dieser Vertreter der Länder aus aller Welt meinen es ernst, wenn sie um eine Persönlichkeit trauern, die immer wieder versuchte, die Fronten der gespaltenen Gesellschaft aufzulösen. Ein Mensch, der nicht müde wurde, an die Mitmenschlichkeit zu appellieren.

Papst Franziskus hat diesen Weg des Respekts gesucht. Zum Beispiel als er anlässlich seines Besuchs in Abu Dhabi an die Adresse der Muslime diese wichtigen Worte formulierte: "Man kann keine Verbindung zu Gott haben, wenn man die anderen ignoriert." Und das Reformationsjubiläum 2017 feierte er dann auch gemeinsam mit den Lutheranern. Die Spaltungen der Konfessionen sind damit noch nicht überwunden, und auch die grundsätzliche Andersartigkeit der Religionen wird nicht kaschiert. Aber die Vielfalt kann sich aussöhnen.

Es ist wohl die zentrale Aufgabe der Gegenwart, Einheit in der Vielfalt zu finden. Und das beschränkt sich nicht auf Kirchen, Konfessionen und Religionen. Jede Gesellschaft lebt davon, weder das ein noch das andere aus den Augen zu verlieren. Nicht die Vielfalt, denn der Schutz von Minderheiten gelingt nur dort, wo Unterschiede salonfähig sind. Aber auch nicht der Wunsch nach einem versöhnten Miteinander: Unterschiede würdigen, sich gegenseitig anerkennen, den verschiedenen Traditionen mit Respekt begegnen. Um dieses Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, brauchen wir unbedingt Persönlichkeiten, die diesen Weg vorangehen. Franziskus war eine von ihnen.

Und dann ist es noch eine andere Kleinigkeit, die mich erfreut: Die Kirche, in der Franziskus morgen bestattet wird, hatte schon Martin Luther besucht, als er im Jahr 1510 nach Rom pilgerte. Am liebsten hätte Luther in der Lateranbasilika eine Messe gelesen, damals der Sitz des Papstes. Aber die war überfüllt, für ihn war kein Platz. So kam er - neben den anderen Pilgerkirchen – in die Santa Maria Maggiore, betete dort und las eine Messe. Auch als Lutheraner kann ich mich dort beheimatet fühlen. Es gut, solche Orte zu haben, die das Bemühen nach Einheit in der Vielfalt zum Ausdruck bringen.

Es gilt das gesprochene Wort.

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